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Gottes Beziehung zum Einzelnen

4. Gott in der Religion

5:4.1

Die Sittlichkeit der evolutionären Religionen treibt die Menschen auf ihrer Gottsuche durch die bewegende Macht der Furcht voran. Die Offenbarungsreligionen gewinnen die Menschen dafür, nach einem Gott der Liebe zu suchen, weil sie sich danach sehnen, ihm ähnlich zu werden. Aber Religion ist nicht nur ein passives Gefühl „absoluter Abhängigkeit“ und der „Gewissheit des Fortlebens nach dem Tode“; sie ist eine lebendige und dynamische Erfahrung göttlicher Vollbringung, die sich auf den Dienst an der Menschheit gründet.

5:4.2

Der große und sofortige Dienst wahrer Religion ist die Herstellung einer dauerhaften Einheit in der menschlichen Erfahrung, eines beständigen Friedens und einer tiefen Sicherheit. Für den primitiven Menschen ist sogar der Polytheismus eine vergleichsweise Vereinheitlichung des sich entwickelnden Gottheitsgedankens; Polytheismus ist im Werden begriffener Monotheismus. Früher oder später ist Gott bestimmt, als Wirklichkeit der Werte, als Substanz der Bedeutungen und als das Leben der Wahrheit verstanden zu werden.

5:4.3

Gott bestimmt nicht nur das Schicksal; er ist des Menschen ewige Bestimmung. Alle nichtreligiösen menschlichen Tätigkeiten versuchen, das Universum dem deformierenden Dienst des Selbst gefügig zu machen; der wahrhaft religiöse Mensch versucht, das Selbst mit dem Universum zu identifizieren und dann die Tätigkeiten dieses geeinten Selbst dem Dienst der Universumsfamilie brüderlicher Wesen, menschlicher und übermenschlicher, zu widmen.

5:4.4

Die Bereiche der Philosophie und Kunst liegen zwischen den nichtreligiösen und den religiösen Tätigkeiten des menschlichen Selbst. Kunst und Philosophie laden den materiell gesinnten Menschen zu der Betrachtung geistiger Realitäten und universaler Werte mit ewigen Bedeutungen ein.

5:4.5

Alle Religionen lehren die Anbetung der Gottheit und irgendwelche Glau­benssätze über menschliche Errettung. Die buddhistische Religion verspricht Erlösung vom Leiden, nie endenden Frieden; die jüdische Religion verspricht Rettung aus Schwierigkeiten und auf Rechtschaffenheit beruhenden Wohlstand; die griechische Religion versprach Rettung aus Disharmonie und Hässlichkeit durch Verwirklichung des Schönen; das Christentum verspricht Rettung von Sünde, Heiligkeit; der Mohammedanismus verschafft Befreiung von den strengen sittlichen Maßstäben von Judaismus und Christentum. Die Religion Jesu ist Rettung vom Selbst, Befreiung von den Übeln der Geschöpf­esisolierung in Zeit und Ewigkeit.

5:4.6

Die Hebräer gründeten ihre Religion auf Güte, die Griechen die ihre auf Schönheit, und beide Religionen suchten die Wahrheit. Jesus offenbarte einen Gott der Liebe, und die Liebe umfasst alle Wahrheit, Schönheit und Güte.

5:4.7

Die Zoroastrier besaßen eine auf Moral beruhende Religion, die Hindu eine metaphysische Religion und die Konfuzianer eine ethische Religion. Jesus lebte eine Religion des Dienens. All diese Religionen sind insofern wertvoll, als sie brauchbare Annäherungen an die Religion Jesu sind. Religion ist dazu bestimmt, zur Realität der geistigen Einigung alles dessen zu werden, was in menschlicher Erfahrung gut, schön und wahr ist.

5:4.8

Die griechische Religion hatte die Losung „Kenne dich selbst“; die Lehre der Hebräer hatte „Kenne deinen Gott“ zum Mittelpunkt; die Christen predigen ein Evangelium, dessen Ziel die „Kenntnis des Herrn Jesus Christus“ ist; Jesus verkündete die gute Nachricht, „Gott zu kennen, und dich selber als Sohn Gottes“. Diese unterschiedlichen Auffassungen von der Aufgabe der Religion bestimmen die Haltung des Einzelnen in verschiedenen Lebenssituationen und lassen die Tiefe seiner Anbetung und das Wesen seiner persönlichen Gebetsgewohnheiten ahnen. Auf den geistigen Rang einer beliebigen Religion kann man aus der Art ihrer Gebete schließen.

5:4.9

Die Vorstellung von einem halb menschlichen und eifersüchtigen Gott ist ein unvermeidlicher Übergang vom Polytheismus zum geläuterten Monotheismus. Ein erhabener Anthropomorphismus ist die höchste Ebene, die eine rein evolutionäre Religion erreichen kann. Das Christentum hat das Konzept des Anthropomorphismus vom Ideal des Humanen hinaufgehoben zum transzendenten und göttlichen Konzept der Person des glorifizierten Christus. Und dies ist der höchste Anthropomorphismus, den der Mensch je ersinnen kann.

5:4.10

Die christliche Vorstellung von Gott ist ein Versuch der Kombination dreier getrennter Lehren:

5:4.11

1. Des hebräischen Konzepts – Gott als ein Verteidiger sittlicher Werte, ein rechtschaffener Gott.

5:4.12

2. Das griechische Konzept – Gott als ein Einiger, ein Gott der Weisheit .

5:4.13

3. Das Konzept Jesu – Gott als ein lebendiger Freund und liebender Vater, als die göttliche Gegenwart.

5:4.14

Es ist deshalb offensichtlich, dass die christliche Mischtheologie großen Schwierigkeiten begegnet, wenn sie Stimmigkeit erreichen will. Diese Schwierigkeit wird durch die Tatsache verschlimmert, dass die Lehren des frühen Christentums im Allgemeinen auf der persönlichen religiösen Erfahrung von drei verschiedenen Personen beruhten: von Philo von Alexandrien, Jesus von Nazareth und Paulus von Tharsus.

5:4.15

Wenn ihr das religiöse Leben Jesu studiert, dann seht ihn positiv. Denkt weniger an seine Sündenfreiheit als an seine Rechtschaffenheit, sein liebendes Dienen. Jesus hob die passive Liebe, die sich in der hebräischen Vorstellung vom him­mlischen Vater ausdrückt, hinauf zu der höheren aktiven, die Geschöpfe liebenden Zunei­gung eines Gottes, der der Vater jedes Einzelnen und sogar des Übeltäters ist.


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