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Die Natur Gottes

6. Die Güte Gottes

2:6.1

Im materiellen Universum können wir die göttliche Schönheit schauen und in der intellektuellen Welt die ewige Wahrheit erkennen, aber Gottes Güte kann einzig in der geistigen Welt persönlicher religiöser Erfahrung gefunden werden. In ihrem wahren Wesen ist Religion gläubiges Vertrauen in die Güte Gottes. In der Philosophie könnte Gott groß und absolut und sogar auf irgendeine Weise intelligent und persönlich sein, aber in der Religion muss er auch sittlich sein; er muss gut sein. Der Mensch fürchtet wohl einen großen Gott, aber Vertrauen und Liebe bringt er nur einem guten Gott entgegen. Diese Güte Gottes ist ein Teil der Persönlichkeit Gottes, und voll offenbart sie sich nur in der persönlichen religiösen Erfahrung der gläubigen Söhne Gottes.

2:6.2

Religion schließt mit ein, dass die höhere Welt geistiger Natur die grundlegenden Bedürfnisse der menschlichen Welt kennt und auf sie anspricht. Evolutionäre Religion kann ethisch werden, aber nur offenbarte Religion wird im wahren und geistigen Sinne sittlich. Die alte Vorstellung von Gott als einer von königlicher Sittlichkeit beherrschten Gottheit wurde von Jesus emporgehoben auf die liebevoll-rührende Stufe der in der Eltern-Kind-Beziehung vorhandenen innigen Familiensittlichkeit; denn eine zartere und schönere als diese gibt es in der sterblichen Erfahrung nicht.

2:6.3

Die „so überaus reiche Güte Gottes führt den irrenden Menschen zur Reue“. „Jede gute Gabe und jede vollkommene Gabe kommt herab vom Vater des Lichts.“ „Gott ist gut; er ist der ewige Zufluchtsort der Menschenseele.“ „Gott der Herr ist barmherzig und voller Gnade. Er ist langmütig und überreich an Güte und Wahrheit.“ „Koste und siehe, wie gut der Herr ist! Gesegnet ist der Mensch, der sein Vertrauen in ihn setzt.“ „Der Herr ist gnädig und voller Mitgefühl. Er ist der Gott des Heils.“ „Er heilt, die gebrochenen Herzens sind, und er verbindet die Wunden der Seele. Er ist der allmächtige Wohltäter des Menschen.“

2:6.4

Obwohl die Vorstellung von Gott als einem König und Richter einen hohen sittlichen Maßstab entwickelte und bewirkte, dass das Volk als Ganzes die Gesetze respektierte, beließ es doch den einzelnen Gläubigen in Bezug auf seine Stellung in Zeit und Ewigkeit in einer misslichen Lage der Unsicherheit. Die späteren hebräischen Propheten verkündeten, Gott sei der Vater Israels; Jesus offenbarte Gott als den Vater jedes menschlichen Wesens. Die gesamte menschliche Gottesvorstellung wird durch Jesu Leben auf trans ­zendente Weise erleuchtet. Selbstlosigkeit liegt in der Natur der elterlichen Liebe. Gott liebt nicht wie ein Vater, sondern als ein Vater. Er ist der Paradies-Vater jeder Persönlichkeit des Universums.

2:6.5

Rechtschaffenheit beinhaltet, dass Gott der Ursprung des sittlichen Gesetzes des Universums ist. Wahrheit zeigt Gott als einen Offenbarer, als einen Lehrer. Aber Liebe schenkt Zuwendung und sehnt sich nach ihr, sie sucht ein verstehendes herzliches Verhältnis, wie es zwischen Eltern und Kind besteht. Rechtschaffenheit mag der göttliche Gedanke sein, aber Liebe ist eines Vaters Haltung. Die irrtümliche Annahme, dass die Rechtschaffenheit Gottes unvereinbar sei mit der selbstlosen Liebe des himmlischen Vaters, setzte das Fehlen von Einheit in der Natur der Gottheit voraus und führte direkt zur Entwicklung der Sühneopfer-Lehre, welche einen philosophischen Angriff sowohl auf die Einheit Gottes als auch auf seinen freien Willen darstellt.

2:6.6

Der liebevolle himmlische Vater, dessen Geist in seinen Erdenkindern wohnt, ist keine gespaltene Persönlichkeit – eine gerechte und eine erbarmende – und kein Vermittler ist nötig, um des Vaters Gunst oder Vergebung zu erlangen. Die göttliche Rechtschaffenheit wird nicht von einer starr vergeltenden Gerechtigkeit beherrscht; Gott als Vater geht weit über Gott als Richter hinaus.

2:6.7

Gott ist nie zornig, rachsüchtig oder ungehalten. Es ist wahr, dass Weisheit oft seine Liebe zurückhält und dass Gerechtigkeit seine Barmherzigkeit bestimmt, wenn diese zurückgewiesen wird. Seine Liebe zur Rechtschaffenheit kann nicht anders, als ebensolchen Abscheu vor der Sünde zu zeigen. Der Vater ist keine inkonsequente Persönlichkeit; die göttliche Einheit ist vollkommen. In der Paradies-Trinität herrscht trotz der ewigen Identitäten der Gleichgeordneten Gottes absolute Einheit.

2:6.8

Gott liebt den Sünder und hasst die Sünde: Eine solche Aussage ist im philosophischen Sinne wahr, aber Gott ist eine transzendente Persönlichkeit, und Personen können nur andere Personen lieben und hassen. Die Sünde ist keine Person. Gott liebt den Sünder, weil dieser eine (potentiell ewige) Persönlichkeitsrealität ist, während Gott der Sünde gegenüber keine persönliche Haltung einnimmt, da Sünde ja keine geistige Realität ist; sie ist nicht persönlich; deshalb nimmt einzig die Gerechtigkeit Gottes ihre Existenz zur Kenntnis. Die Liebe Gottes rettet den Sünder; das Gesetz Gottes zerstört die Sünde. Diese Haltung der göttlichen Natur würde sich scheinbar ändern, sollte sich der Sünder schließlich ganz und ebenso vollständig mit der Sünde identifizieren, wie derselbe sterbliche Verstand sich auch mit dem ihm innewohnenden geistigen Justierer völlig identifizieren kann. Ein solcher mit der Sünde identisch gewordener Sterblicher würde dann in seinem Wesen völlig ungeistig (und deshalb persönlich irreal) und müsste schließlich die Auslöschung seines Daseins erfahren. Irrealität, ja sogar Unvollständigkeit der Geschöpfesnatur, kann in einem immer realeren und geistigeren Universum auf die Dauer nicht existieren.

2:6.9

In der Welt der Persönlichkeit lässt sich Gott als eine liebende Person entdecken; in der geistigen Welt ist er persönliche Liebe; in der religiösen Erfahrung ist er beides. Die Liebe kennzeichnet den wollenden Willen Gottes. Die Güte Gottes liegt dem göttlichen freien Willen zugrunde – der universalen Tendenz zu lieben, Barmherzigkeit zu zeigen, Geduld zu üben und zu vergeben.


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