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Nach Pfingsten

6. Materialismus

195:6.1

Die Wissenschaftler haben die Menschheit unbeabsichtigt in eine materialistische Panik versetzt; sie haben einen unbedachten Ansturm auf die Sittenbank der Zeitalter ausgelöst, aber diese Bank der menschlichen Erfahrung verfügt über unermessliche geistige Mittel; sie kann den gegen sie erhobenen Forderungen standhalten. Nur gedankenlose Menschen ängstigen sich wegen der geistigen Aktivposten der menschlichen Rasse. Wenn die materialistisch-weltliche Panik einmal vorüber ist, wird Jesu Religion nicht bankrott gegangen sein. Die geistige Bank des Königreichs wird allen, die bei ihr „in Seinem Namen“ Bezüge machen, Glauben, Hoffnung und moralische Sicherheit auszahlen.

195:6.2

Was es auch immer mit dem offensichtlichen Konflikt zwischen Material­ismus und Jesu Lehren auf sich haben mag, so könnt ihr getrost sein, dass die Lehren des Meis­ters in den kommenden Zeitaltern voll und ganz siegen werden. In Wirklichkeit kann wahre Religion nicht in irgendeine Auseinandersetzung mit der Wissenschaft verwickelt werden; sie hat mit materiellen Dingen überhaupt nichts zu tun. Die Religion ist einfach indifferent gegenüber der Wissenschaft, obwohl sie ihr wohlwollend gegenübersteht; hingegen befasst sie sich im höchsten Maße mit dem Wissenschaftler.

195:6.3

Die ausschließliche Pflege des Wissens ohne begleitende Interpretation durch Weisheit und ohne geistige Erkenntnis religiöser Erfahrung führt letztlich zu Pessimismus und menschlicher Verzweiflung. Spärliches Wissen ist wirklich beunruhigend.

195:6.4

Zur Stunde dieser Niederschrift ist das Schlimmste des materialistischen Zeitalters vorüber; schon beginnt der Tag eines besseren Verständnisses heraufzudämmern. Die höheren Geister der wissenschaftlichen Welt sind in ihrer Philosophie nicht mehr gänzlich materialistisch, während das Gros der Menschen aufgrund früherer Unterweisung immer noch in diese Richtung tendiert. Aber dieses Zeitalter des naturwissenschaftlichen Realismus ist im irdischen Dasein des Menschen nur eine vorübergehende Episode. Die moderne Wissenschaft hat die wahre Religion – die Lehren Jesu, wie sie im Leben der an ihn Glaubenden zum Ausdruck kommen – unberührt gelassen. Alles, was die Wissenschaft getan hat, war nur, die kindlichen Illusionen zu zerstören, die aus Fehlinterpretationen des Lebens hervorgegangen waren.

195:6.5

Was das menschliche Leben auf Erden anbelangt, ist Wissenschaft eine quantitative Erfahrung und Religion eine qualitative Erfahrung. Wissenschaft befasst sich mit Phänomenen, Religion mit Ursprüngen, Werten und Zielen. Physische Phänomene mit Ursachen erklären zu wollen, kommt dem Einges­tändnis gleich, nichts von letzten Realitäten zu wissen, und führt den Wissen­schaftler am Ende nur wieder auf geradem Wege zur ersten großen Ursache zurück – zum Universalen Paradies-Vater.

195:6.6

Der heftige Übergang von einem wundergläubigen Zeitalter zu einem Zeitalter der Maschinen hat die Menschen völlig aus dem Gleichgewicht geworfen. Gerade die Klugheit und Geschicklichkeit der falschen mechanistischen Philosophien sind es, die ihre mechanistischen Behauptungen Lügen strafen. Gerade die fatalis­tische Beweg­lichkeit des Denkens eines Materialisten widerlegt für immer seine Behaup­tungen, dass das Universum ein blindes und zielloses energetisches Phänomen sei.

195:6.7

Der mechanistische Naturalismus einiger angeblich gebildeter Menschen und auch der unbesonnene Säkularismus des Durchschnittsmenschen beschäf­tigen sich aus­schlie­ßlich mit Dingen ; sie ermangeln aller wahren Werte, aller Belohnung und Befriedigung geistiger Natur und entbehren ebenso des Glaubens, der Hoffnung und ewiger Gewissheiten. Eine der Haupt­schwie­rigkeiten des modernen Lebens ist, dass die Menschen denken, sie seien zu beschäftigt, um Zeit für geistiges Meditieren und religiöse Hingabe zu finden.

195:6.8

Der Materialismus reduziert den Menschen auf einen seelenlosen Automaten und macht aus ihm bloß ein arithmetisches Symbol, das in der mathematischen Formel eines unromantischen und mechanistischen Universums einen hilflosen Platz einnimmt. Aber woher kommt denn dieses ganze weite Universum der Mathematik ohne einen Meister der Mathematik? Wissenschaft mag sich langatmig über die Erhaltung der Materie auslassen, aber Religion bestätigt die Erhaltung der menschlichen Seele – Religion handelt von der Erfahrung der Menschen mit geistigen Realitäten und ewigen Werten.

195:6.9

Der materialistische Soziologe von heute beobachtet eine Gemeinschaft, schreibt über sie einen Bericht und lässt die Leute zurück, wie er sie gefunden hat. Vor neunzehn Jahrhunderten beobachteten ungebildete Galiläer, wie Jesus sein Leben als geistigen Beitrag an die innere Erfahrung des Menschen hingab, machten sich dann auf und stellten das ganze Römische Reich auf den Kopf.

195:6.10

Aber religiöse Führer begehen einen gewaltigen Fehler, wenn sie versuchen, den modernen Menschen mit dem Trompetengeschmetter des Mittelalters zum geistigen Kampf aufzurufen. Die Religion muss sich neue und zeitgemäße Werbesprüche zulegen. Weder die Demokratie noch irgendein anderes politisches Patentrezept wird sich an die Stelle des geistigen Fortschritts setzen können. Falsche Religionen mögen eine Flucht vor der Realität darstellen, aber mit seinem Evangelium hat Jesus dem sterblichen Menschen wahrhaftig das Tor zu einer ewigen Realität geistigen Fortschritts geöffnet.

195:6.11

Zu sagen, der Verstand sei aus der Materie „hervorgegangen“, erklärt nichts. Wäre das Universum nur ein Mechanismus und unterschiede sich der Verstand nicht von der Materie, hätten wir nie zwei voneinander abweichende Interpre­tationen irgendeines beobachteten Phänomens. Die Konzepte von Wahrheit, Schönheit und Güte sind weder der Physik noch der Chemie inhärent. Eine Maschine kann nicht wissen und noch weniger die Wahrheit erkennen, nach Rechtschaffenheit hungern oder das Gute lieben.

195:6.12

Die Wissenschaft mag physischer Natur sein, aber der Verstand des die Wahrheit erkennenden Wissenschaftlers ist sogleich übermateriell. Die Materie kennt die Wahrheit nicht, sie kann nicht Barmherzigkeit lieben, noch sich geistiger Realitäten erfreuen. Sittliche Überzeugungen, die sich auf geistige Erleuchtung gründen und in menschlicher Erfahrung wurzeln, sind ebenso wirklich und gewiss wie mathematische Rückschlüsse, die auf physischer Beobachtung beruhen, aber auf einer anderen und höheren Ebene.

195:6.13

Wären die Menschen nur Maschinen, würden sie gegenüber einem materiellen Universum mehr oder weniger einheitlich reagieren. Individualität würde nicht existieren, und Persönlichkeit noch viel weniger.

195:6.14

Die Tatsache des absoluten Mechanismus des Paradieses im Zentrum des Uni­versums der Universen in Gegenwart des uneingeschränkten Willens des Zweiten Zentralen Ursprungs macht es für immer sicher, dass die vorausbestimmenden Faktoren nicht das ausschließliche Gesetz des Kosmos sind. Der Materia­lismus existiert, aber nicht ausschließlich; der Mechanismus existiert, aber nicht uneingeschränkt; der Determinismus existiert, aber er ist nicht allein.

195:6.15

Das endliche Universum der Materie würde letztendlich gleichförmig und deterministisch werden, wäre da nicht die Anwesenheit von Verstand und Geist in ihrem Zusammenwirken. Der Einfluss des kosmischen Verstandes flößt sogar den materiellen Welten unablässig Spontaneität ein.

195:6.16

Freiheit oder Initiative auf jedem Gebiet der Existenz ist direkt proportional zum Grad des geistigen Einflusses und der Kontrolle durch den kosmischen Verstand; das ist in der menschlichen Erfahrung der Grad, in dem man tatsächlich „des Vaters Willen“ tut. Wenn ihr euch also einmal auf die Suche nach Gott macht, ist das der endgültige Beweis dafür, dass Gott euch schon gefunden hat.

195:6.17

Das ehrliche Bemühen um Güte, Schönheit und Wahrheit führt zu Gott. Und jede wissenschaftliche Entdeckung beweist gleichzeitig die Existenz von Freiheit und Konstanz im Universum. Der Entdecker war frei, die Entdeckung zu machen. Die entdeckte Sache ist real und allem Anschein nach konstant, denn sonst hätte sie nicht als ein Ding erkannt werden können.


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