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Nach Pfingsten

5. Das moderne Problem

195:5.1

Das zwanzigste Jahrhundert hat dem Christentum und allen anderen Religionen neue Probleme zur Lösung aufgegeben. Je höher eine Zivilisation aufsteigt, umso dringlicher wird die Pflicht, bei allen menschlichen Anstrengungen zur Stabilisierung der Gesellschaft und zur Erleichterung der Lösung ihrer materiellen Probleme „zuerst die Realitäten des Himmels zu suchen“.

195:5.2

Die Wahrheit wird oft verwirrend und sogar irreführend, wenn sie zerstückelt, aufgeteilt, isoliert und zu stark analysiert wird. Die lebendige Wahrheit unterrichtet den Wahrheitssucher nur im richtigen Sinne, wenn sie als Ganzes und als lebendige geistige Realität erfasst wird und nicht als ein Faktum der materiellen Wissenschaft oder als eine Inspiration vermittelnder Kunst.

195:5.3

Die Religion offenbart dem Menschen seine göttliche und ewige Bestimmung. Religion ist eine rein persönliche und geistige Erfahrung und muss für immer von allen anderen hohen Formen menschlichen Denkens unterschieden werden wie:

195:5.4

1. Das logische Verhalten des Menschen gegenüber den Dingen der materiellen Realität.

195:5.5

2. Des Menschen ästhetische Würdigung des Schönen im Gegensatz zum Hässlichen.

195:5.6

3. Des Menschen ethische Anerkennung sozialer Obliegenheiten und politischer Pflichten.

195:5.7

4. Selbst sein Sinn für menschliche Sittlichkeit ist an und für sich nicht religiös.

195:5.8

Bestimmung der Religion ist es, jene Werte im Universum zu finden, die Glauben, Vertrauen und Sicherheit wachrufen; die Religion gipfelt in der Anbetung. Die Religion entdeckt der Seele jene höchsten Werte, die im Kontrast stehen zu den relativen, vom Verstand entdeckten Werten. Solch übermenschliche Erkenntnis kann nur durch echte religiöse Erfahrung gewonnen werden.

195:5.9

Ein gesellschaftliches System, dessen Sittlichkeit nicht auf geistigen Realitäten gründet, kann auf die Dauer ebenso wenig aufrechterhalten werden wie das Sonnensystem ohne Schwerkraft.

195:5.10

Versucht nicht, während des einen kurzen Menschenlebens alle Neugier zu befriedigen oder jeden latenten, in der Seele erwachenden Erlebnishunger zu stillen. Seid geduldig! Lasst euch nicht dazu verleiten, euch einem zügellosen Eintauchen in billige und schmutzige Abenteuer hinzugeben. Macht euch eure Energien zunutze und zügelt eure Leidenschaften; seid ruhig, während ihr auf die majestätische Entfaltung eines endlosen Werdegangs stetig zunehmender Abenteuer und begeisternder Entdeckungen wartet.

195:5.11

Wenn euch der Ursprung des Menschen verwirrt, so verliert seine ewige Bestim­mung nicht aus den Augen. Vergesst nicht, dass Jesus sogar kleine Kinder liebte und für immer den großen Wert der menschlichen Persönlichkeit klarmachte.

195:5.12

Wenn ihr die Welt betrachtet, dann ruft euch in Erinnerung, dass die schwarzen Flecken des Bösen, die ihr seht, sich von einem weißen Hintergrund des grundlegend Guten abheben. Ihr seht nicht nur weiße Flecken des Guten, die sich kümmerlich von einem schwarzen Hintergrund des Bösen abheben.

195:5.13

Warum sollten die Menschen angesichts von so viel guter Wahrheit, die es zu veröffentlichen und zu verkündigen gibt, so sehr auf das Böse in der Welt Nachdruck legen, nur weil es als eine Tatsache erscheint? Die Schönheiten der geistigen Werte der Wahrheit sind erfreulicher und erhebender als das Phänomen des Bösen.

195:5.14

In der Religion empfahl und befolgte Jesus die Methode der Erfahrung, genau so wie die moderne Wissenschaft das Verfahren des Experiments anwendet. Wir finden Gott durch die Führung des geistigen Schauens, aber diesem Schauen der Seele nähern wir uns durch die Liebe zum Schönen, durch Verfolgung des Wahren, durch Pflichttreue und Verehrung der göttlichen Güte. Aber von all diesen Werten ist die Liebe der wahre Führer zu wirklichem Schauen.


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