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Jesus in Jerusalem

4. Erster und zweiter Tag im Tempel

125:4.1

Unterdessen war Jesus den ganzen Nachmittag über im Tempel geblieben, wo er den Diskussionen zuhörte und die stillere und würdigere Atmosphäre genoss, nachdem die großen Mengen der Passahwoche nahezu verschwunden waren. Nach dem Abschluss der nachmittäglichen Diskussionen, an denen sich Jesus nicht beteiligt hatte, begab er sich nach Bethanien, wo er gerade eintraf, als Simons Familie sich anschickte, das Abendessen einzunehmen. Die drei jungen Leute waren außer sich vor Freude, Jesus zu empfangen, und er blieb über Nacht in Simons Haus. Er plauderte nur wenig im Verlaufe des Abends und hielt sich lange Zeit allein und in Gedanken versunken im Garten auf.

125:4.2

Am nächsten Morgen war Jesus schon früh auf dem Weg zum Tempel. Auf der Kuppe des Ölbergs blieb er stehen und weinte über den Anblick, der sich seinem Auge bot – ein geistig verarmtes, traditionsgebundenes Volk, das unter der Überwachung der römischen Legionen lebte. Am frühen Vormittag war er mit dem festen Vorsatz im Tempel, an den Diskussionen teilzunehmen. Unter­dessen waren auch Joseph und Maria in der frühen Morgendämmerung aufgestanden, entschlossen, nach Jerusalem zurückzukehren. Zuerst begaben sie sich in aller Eile zu ihren Verwandten, wo sie als Familie in der Passahwoche gewohnt hatten, aber ihre Erkundigungen erbrachten, dass niemand Jesus gesehen hatte. Nachdem sie den ganzen Tag vergeblich gesucht und keine Spur von ihm gefunden hatten, kehrten sie für die Nacht zu ihren Verwandten zurück.

125:4.3

In der zweiten Gesprächsrunde erkühnte sich Jesus, Fragen zu stellen, und in einer höchst erstaunlichen Weise nahm er nun an den Tempel­diskussionen teil, jedoch immer in einer seiner Jugend geziemenden Art. Manchmal brachten seine gezielten Fragen die gelehrten Lehrer des jüdischen Gesetzes einigermaßen in Verlegenheit, aber er legte einen solchen Geist aufrichtiger Anständigkeit und einen so offensichtlichen Wissens­hunger an den Tag, dass die Mehrzahl der Tempellehrer geneigt war, ihn mit aller Achtung zu behandeln. Als er sich aber herausnahm zu bezweifeln, ob es gerecht sei, einen betrunkenen Heiden hinzurichten, der außerhalb des Hofes der Heiden umhergegangen war und ahnungslos die verbotenen und angeblich heiligen Tempelvorhöfe betreten hatte, verlor einer der weniger verständnisvollen Lehrer angesichts der versteckten Kritik des Jungen die Geduld und fragte, ihn finster anblickend, wie alt er sei. Jesus antwortete: „Es fehlen etwas mehr als vier Monate bis zu meinem dreizehnten Jahr.“ Der nun erzürnte Lehrer erwiderte: „Und wieso bist du hier, obschon du nicht das Alter eines Sohnes des Gesetzes hast?“ Und nachdem Jesus erklärt hatte, dass er die Weihe während des Passah erhalten und seinen Lehrgang an den Schulen von Nazareth abgeschlossen hatte, gaben die Lehrer einhellig in spöttischem Ton zurück: „Wir hätten es wissen können; er kommt aus Nazareth.“ Aber der Leiter betonte, dass man nicht Jesus dafür tadeln dürfe, wenn die Verantwortlichen der Synagoge von Nazareth ihn technisch mit zwölf statt dreizehn Jahren zur Schlussprüfung zugelassen hatten; und obwohl einige seiner Kritiker sich erhoben und weggingen, wurde beschlossen, dass der Junge weiterhin unbehelligt als Schüler an den Tempeldiskussionen teilnehmen dürfe.

125:4.4

Als dieser sein zweiter Tag im Tempel zu Ende war, begab er sich für die Nacht wieder nach Bethanien. Und wiederum ging er in den Garten, um zu meditieren und zu beten. Ganz offensichtlich war sein Geist mit der Betrachtung schwerwiegender Probleme beschäftigt.


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