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Schrift 125
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Jesus in Jerusalem

1 . Jesus besichtigt den Tempel1 . Jesus besichtigt den Tempel

125:1.1

Wo immer Jesus in den Tempelhöfen hinkam, war er schockiert und angewidert vom Geist der Ehrfurchtslosigkeit, den er beobachtete. Er fand, dass das Benehmen der Menschenmenge im Tempel mit ihrer Gegenwart im „Hause seines Vaters“ nicht vereinbar sei. Aber der Schock seines jungen Lebens traf ihn, als sein Vater ihn in den Hof der Heiden begleitete, wo sich lärmende Gassensprache, lautes Reden und Fluchen in wildem Durcheinander mit dem Geblöke der Schafe und den klimpernden Geräuschen vermischten, welche die Anwesenheit der Geldwechsler und der Anbieter von Opfertieren und allerlei anderen Handelswaren verrieten.

125:1.2

Aber am stärksten wurde sein Anstandsgefühl beim Anblick der frivolen Kurtisanen verletzt, die sich innerhalb des Tempelvorhofes zur Schau stellten, gerade solch geschminkter Frauen, wie er sie kürzlich während eines Besuchs in Sepphoris gesehen hatte. Diese Entweihung des Tempels erregte vollends seine ganze jugendliche Empörung, und er zögerte nicht, sich dazu Joseph gegenüber frei zu äußern.

125:1.3

Jesus bewunderte die Atmosphäre und den Dienst des Tempels, aber er erschrak ob der geistigen Hässlichkeit, die er auf den Gesichtern so vieler gedankenloser Tempelgänger wahrnahm.

125:1.4

Sie stiegen nun in den unterhalb des Felsenrandes gegenüber dem Tempel gelegenen Hof der Priester hinunter, wo der Altar stand, um zuzusehen, wie die Tiere herdenweise getötet wurden und wie sich die diensttuenden Schlächter­priester am Bronzebrunnen das Blut von den Händen wuschen. Das blutverschmierte Pflaster, die besudelten Hände der Priester und die Schreie der verendenden Tiere waren mehr, als dieser naturliebende Knabe ertragen konnte. Der schreckliche Anblick ekelte den Jungen aus Nazareth an; er fasste seinen Vater am Arm und bat darum, fortgebracht zu werden. Sie gingen durch den Hof der Heiden zurück, und sogar das grobe Gelächter und die profanen Späße, die er hier zu hören bekam, waren eine Erleichterung nach dem eben Erlebten.

125:1.5

Joseph hatte gesehen, wie seinem Sohn beim Anblick der Tempelriten übel wurde, und er nahm ihn klugerweise mit, um ihm das „schöne Tor“, das künstlerische Tor aus korinthischer Bronze zu zeigen. Aber Jesus hatte genug von seinem ersten Tempelbesuch. Sie kehrten in den oberen Hof zu Maria zurück und gingen dann eine Stunde lang abseits der Menschenmengen an der frischen Luft spazieren und besichtigten den Palast der Hasmonäer, den prachtvollen Wohnsitz des Herodes, und den Turm der römischen Garde. Unterwegs erklärte Joseph Jesus, dass es einzig den Bewohnern Jerusalems gestattet sei, den täglichen Opferungen im Tempel beizuwohnen, und dass die Bewohner Galiläas nur dreimal im Jahr herkamen, um am Tempelgottesdienst teilzunehmen: zum Passahfest, zum Pfingstfest (sieben Wochen nach Passah) und zum Laubhüttenfest im Oktober. Diese Feste hatte Moses eingeführt. Dann sprachen sie über die zwei Feste, die später eingeführt worden waren: das Tempelweihfest und das Purimfest. Anschließend begaben sie sich zu ihrer Unterkunft und bereiteten sich auf die Passahfeier vor.


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