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Der Justierer und die Seele

4. Das innere Leben

111:4.1

Wahrnehmung ist der intellektuelle Prozess des Zusammenpassens der von der äußeren Welt empfangenen sensorischen Eindrücke mit den Gedächtnis­modellen des Einzelwesens. Verstehen bedeutet, dass diese wahrgenommenen sensorischen Eindrücke und die ihnen zugesellten Gedächtnismodelle darüber hinaus zu einem dynamischen Netzwerk von Prinzipien integriert und organisiert worden sind.

111:4.2

Bedeutungen werden abgeleitet aus einer Kombination von Wahrnehmen und Verstehen. In einer restlos sensorischen oder materiellen Welt gibt es keine Bedeutungen. Bedeutungen und Werte werden nur in den inneren oder übermateriellen Sphären der menschlichen Erfahrung wahrgenommen.

111:4.3

Die Fortschritte wahrer Zivilisation werden alle in dieser inneren Welt der Menschheit geboren. Nur das innere Leben ist wahrhaft schöpferisch. Die Zivilisation kann schwerlich Fortschritte machen, wenn die Mehrheit der Jugend einer Generation ihre Interessen und Energien auf die materialistische Beschäftigung mit der sensorischen oder äußeren Welt richtet.

111:4.4

Die innere und die äußere Welt haben einen verschiedenen Wertekatalog. Jedwelche Zivilisation ist gefährdet, wenn drei Viertel ihrer Jugendlichen materia­listische Berufe ergreifen und sich der Verfolgung der sensorischen Aktivitäten der äußeren Welt verschreiben. Die Zivilisation befindet sich in Gefahr, wenn die Jungen es versäumen, sich für Ethik, Soziologie, Eugenik, Philosophie, die schönen Künste, Religion und Kosmologie zu interessieren.

111:4.5

Nur auf den höheren Ebenen des überbewussten Verstandes, wo dieser an das geistige Reich menschlicher Erfahrung grenzt, kann man jene höheren Konzepte zusammen mit wirksamen Haupt-Urmustern finden, die zum Bau einer besseren und dauerhafteren Zivilisation beitragen werden. Die Persönlichkeit ist von Natur aus schöpferisch, aber sie kann nur im Innenleben des Einzelnen schöpferisch wirken.

111:4.6

Schneekristalle haben immer eine sechseckige Form, aber nie sind ihrer zwei gleich. Kinder gehören gewissen Typen an, aber nie sind ihrer zwei genau gleich, auch nicht im Fall von Zwillingen. Persönlichkeit hält sich an gewisse Typen, ist aber immer einmalig.

111:4.7

Glück und Freude entspringen dem inneren Leben. Wahre Freude kann nicht allein erfahren werden. Ein einsames Leben ist für das Glück unheilvoll. Selbst Familien und Nationen werden sich stärker am Leben freuen, wenn sie es mit anderen teilen.

111:4.8

Ihr könnt die äußere Welt – euer Umfeld – nicht vollständig kontrollieren. Eurer Führung am stärksten unterworfen ist die Kreativität der inneren Welt, weil eure Persönlichkeit dort so weitgehend von den Fesseln der Gesetze von Ursache und Wirkung befreit ist. Mit der Persönlichkeit ist eine begrenzte Souveränität des Willens verbunden.

111:4.9

Da das innere Leben des Menschen wahrhaft schöpferisch ist, fällt jeder Person die Verantwortung für die Wahl zu, ob diese Kreativität spontan und völlig zufällig oder aber kontrolliert, gerichtet und konstruktiv sein soll. Wie kann eine schöpferische Vorstellungskraft achtbare Ergebnisse zeitigen, wenn der Ort ihres Wirkens bereits von Vorurteilen, Hass, Ängsten, Ressentiments, Rachegefühlen und Fanatismus besetzt ist?

111:4.10

Ideen können Reizen aus der äußeren Welt entspringen, aber Ideale werden nur in den schöpferischen Reichen der inneren Welt geboren. Heutigentags werden die Nationen der Welt von Menschen geleitet, die von Ideen überquellen, aber nur armselige Ideale besitzen. Das ist die Erklärung von Armut, Trennung, Krieg und Rassenhass.

111:4.11

Hierin liegt das Problem: Wenn der mit freiem Willen begabte Mensch über die Macht der Kreativität des inneren Menschen gebietet, dann müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die mit freiem Willen begabte Kreativität auch das Potential der mit freiem Willen begabten Destruktivität umfasst. Und wenn sich Kreativität in Destruktivität verwandelt, stehen wir den Verwüstungen des Üblen und der Sünde gegenüber – Unterdrückung, Krieg und Vernichtung. Das Üble ist eine bruchstückhafte Kreativität, die zu Desintegration und schließlicher Zerstörung neigt. Jeder Konflikt ist übel, indem er die schöpferische Funktion des inneren Lebens hemmt – er ist eine Art Bürgerkrieg in der Persönlichkeit.

111:4.12

Innere Kreativität trägt zur Charakterveredlung durch Persönlichkeitsintegration und Einigung des Selbst bei. Es bleibt ewig wahr: Die Vergangenheit ist nicht mehr zu ändern; nur die Zukunft kann verändert werden durch das Wirken der Kreativität des inneren Selbst in der Gegenwart.


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