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Die sozialen Probleme der Religion

5. Soziale Aspekte der Religion

99:5.1

Während Religion eine ausschließlich persönliche, geistige Erfahrung ist – Gott als einen Vater zu kennen – erfordert die logische Folgerung aus dieser Erfahrung – den Menschen als einen Bruder zu kennen – die Abstimmung des Selbst auf das Selbst anderer, und hierin liegt der soziale oder Gruppenaspekt des religiösen Lebens. Die Religion ist zuerst eine innere oder persönliche Ein­stimmung, und danach wird sie zu einer Angelegenheit sozialen Dienstes oder der Einstimmung auf die Gruppe. Die Tatsache des menschlichen Herden­instinktes bringt es zwangsläufig mit sich, dass religiöse Gruppen ins Dasein treten. Was mit solchen religiösen Gruppen geschieht, hängt sehr stark von intelligenter Führerschaft ab. In der primitiven Gesellschaft ist die religiöse Gruppe nicht immer sehr verschieden von wirtschaftlichen oder politischen Gruppen. Religion ist immer eine Bewahrerin der Sittlichkeit und Stabilisatorin der Gesellschaft gewesen. Und das ist immer noch wahr, trotz der gegenteiligen Lehre vieler moderner Sozialisten und Humanisten.

99:5.2

Denkt stets daran: Wahre Religion ist, Gott als euren Vater und den Menschen als euren Bruder zu kennen. Religion ist kein sklavischer Glaube an angedrohte Strafen oder magische Versprechungen künftiger mystischer Belohnungen.

99:5.3

Jesu Religion ist der dynamischste aller je die menschliche Rasse aktivierenden Einflüsse. Jesus zerschmetterte die Tradition, zerstörte das Dogma und rief die Menschheit zur Verwirklichung ihrer höchsten Ideale in Zeit und Ewigkeit auf – vollkommen zu sein, wie der Vater im Himmel vollkommen ist.

99:5.4

Die Religion hat nur geringe Aussicht zu funktionieren, bevor sich die religiöse Gruppe von allen anderen Gruppen trennt – zum gesellschaftlichen Zusam­menschluss der geistigen Angehörigen des himmlischen Königreichs wird.

99:5.5

Die Lehre von der völligen Verworfenheit des Menschen zerstörte einen guten Teil des in der Religion vorhandenen Potentials zur Zeitigung von sozialen Auswirkungen erhebender Natur und inspirierenden Wertes. Jesus trachtete danach, die menschliche Würde wiederherzustellen, als er erklärte, dass alle Menschen Kinder Gottes sind.

99:5.6

Jede religiöse Überzeugung, die sich auf einen Gläubigen vergeistigend auswirkt, wird mit Sicherheit in dessen sozialem Leben mächtige Auswirkungen haben. Die religiöse Erfahrung bringt unfehlbar die „Früchte des Geistes“ im täglichen Leben des vom Geist geführten Sterblichen hervor.

99:5.7

Ebenso sicher, wie Menschen denselben religiösen Glauben teilen, bilden sie eine religiöse Gruppe irgendwelcher Art, die schließlich gemeinsame Ziele schafft. Eines Tages werden die religiösen Menschen zusammenspannen und tatsächlich auf der Basis von einheitlichen Idealen und Zielsetzungen zur Zusammenarbeit schreiten, anstatt dasselbe auf der Basis von psychologischen Meinungen und theologischen Anschauungen zu versuchen. Ziele, und nicht Kredos, sollten die Gläubigen vereinen. Da wahre Religion eine Angelegenheit persönlicher geistiger Erfahrung ist, muss jeder einzelne Gläubige notwendigerweise von der Verwirklichung dieser geistigen Erfahrung eine eigene persönliche Interpretation haben. Der Sinn des Wortes „Glaube“ sollte viel eher die Beziehung des Einzelnen zu Gott sein als die kredohafte Formulierung dessen, worauf sich eine Gruppe von Sterblichen als gemeinsame religiöse Haltung geeinigt hat. „Glaubst du? Dann glaube an dich selber.“

99:5.8

Dass Glauben nur mit dem Festhalten an idealen Werten zu tun hat, bezeugt jene Definition des Neuen Testamentes, die erklärt, dass der Glaube die Substanz der Dinge ist, die man erhofft, und die Selbstverständlichkeit von Dingen, die man nicht sieht.

99:5.9

Der primitive Mensch strengte sich kaum an, seine religiösen Überzeugungen in Worte zu fassen. Er drückte seine Religion viel eher im Tanz als in Worten aus. Die modernen Menschen haben viele Kredos ausgesonnen und viele Kriterien religiösen Glaubens geschaffen. Die Gläubigen der Zukunft müssen ihre Religion leben, sich von ganzem Herzen dem Dienst an der menschlichen Bruderschaft hingeben. Es ist höchste Zeit, dass die religiöse Erfahrung des Menschen so persönlich und sublim wird, dass sie sich einzig durch „Gefühle, die für Worte zu tief sind“, erleben und ausdrücken lässt.

99:5.10

Jesus verlangte von seinen Anhängern nicht, sich periodisch zu versammeln, um formelhafte Worte herzusagen, die den ihnen gemeinsamen Glauben wiedergäben. Er gebot ihnen einzig zusammenzukommen, um tatsächlich etwas zu tun – teilzunehmen am gemeinsamen Abendmahl der Erinnerung an sein Leben der Selbsthingabe auf Urantia.

99:5.11

Was für einen Fehler begehen doch Christen, die Christus als höchstes Ideal geistiger Führerschaft preisen, wenn sie es wagen, von gottbewussten Männern und Frauen zu verlangen, die historische Führerschaft von gottnahen Menschen abzulehnen, die in vergangenen Zeitaltern zur Erleuchtung ihrer jeweiligen Nation oder Rasse beigetragen haben!


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