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Adam und Eva

8. Die Schöpfungslegende

74:8.1

Die Geschichte der Erschaffung Urantias in sechs Tagen gründete auf der Überlieferung, dass Adam und Eva für ihre erste Besichtigung des Gartens gerade sechs Tage gebraucht hatten. Dieser Umstand gab der Zeitspanne einer Woche, die ursprünglich von den Dalamatianern eingeführt worden war, eine fast heilige Bekräftigung. Dass Adam sechs Tage damit verbrachte, den Garten in Augenschein zu nehmen und erste Organisationspläne zu formulieren, war nicht vorgesehen gewesen; es hatte sich von Tag zu Tag so ergeben. Die Wahl des siebenten Tages für die Anbetung beruhte einzig auf den hier erzählten Umständen.

74:8.2

Die Legende von der Erschaffung der Welt in sechs Tagen war in Wir­klichkeit ein nachträglicher, über dreißigtausend Jahre jüngerer Einfall. Eine Einzelheit der Erzählung, nämlich das plötzliche Erscheinen von Sonne und Mond, mag ihren Ursprung in dem von der Tradition berichteten einstigen plötzlichen Hervorgehen der Welt aus einer dichten, aus winziger Materie bestehenden Raumwolke haben, die lange Zeit Sonne und Mond verdunkelt hatte.

74:8.3

Die Geschichte von der Erschaffung Evas aus einer Rippe Adams ist ein wirres, verdichtetes Amalgam aus der adamischen Ankunft und der mit der Auswechslung lebendiger Substanzen verbundenen himmlischen Chirurgie beim Kommen des körperlichen Stabs des Planetarischen Fürsten mehr als vierhundertfünfzigtausend Jahre zuvor.

74:8.4

Die Völker der Welt sind in ihrer Mehrzahl durch die Überlieferung beeinflusst worden, dass für Adam und Eva bei ihrer Ankunft auf Urantia physische Formen geschaffen wurden. Der Glaube, dass der Mensch aus Lehm erschaffen wurde, war in der östlichen Hemisphäre nahezu universell; diese Tradition kann man um die ganze Welt von den Inseln der Philippinen bis nach Afrika verfolgen. Und viele Gruppen akzeptierten diese Geschichte vom Entstehen des Menschen aus Lehm durch irgendeine besondere Schöpfungsart anstelle ihres früheren Glaubens an eine allmähliche Schöpfung – Evolution.

74:8.5

Fern vom Einfluss Dalamatias und Edens neigten die Menschen zum Glauben an den schrittweisen Aufstieg der menschlichen Rasse. Die Tatsache der Evolution ist keine moderne Entdeckung; die Alten begriffen den langsamen, evolutionären Charakter des menschlichen Fortschritts sehr wohl. Die frühen Griechen hatten darüber trotz ihrer Nähe zu Mesopotamien klare Vorstellungen. Obwohl die verschiedenen Rassen der Erde in ihren Evolutions­vorstellungen in betrübliche Verwirrung gerieten, so glaubten und lehrten doch viele primitive Stämme, sie seien die Abkömmlinge verschiedener Tiere. Primitive Völker hatten die Angewohnheit, für ihre „Totems“ ihr vermutetes Ahnentier zu wählen. Gewisse nordamerikanische Indianerstämme glaubten, Biber und Präriewölfe zu Ahnen zu haben. Bestimmte afrikanische Stämme lehren, dass sie von der Hyäne abstammen, ein Malaienstamm leitet sich vom Lemur und eine Gruppe auf Neu-Guinea vom Papagei ab.

74:8.6

Aufgrund ihres unmittelbaren Kontaktes mit den Resten der Zivilisation der Adamiten erweiterten die Babylonier die Geschichte von der Erschaffung des Menschen und schmückten sie aus; sie lehrten, dass er direkt von den Göttern herabgestiegen sei. Sie hielten an einem aristokratischen Ursprung der Rasse fest, der sich nicht einmal mit der Lehre von der Erschaffung aus Lehm vertrug.

74:8.7

Die Schöpfungsgeschichte des Alten Testamentes datiert aus einer lange nach Moses liegenden Zeit; nie lehrte dieser die Hebräer eine derart entstellte Geschichte. Aber tatsächlich bot er den Israeliten eine einfache und gedrängte Darstellung der Schöpfung in der Hoffnung, dadurch seinen Appell zur Verehrung des Schöpfers zu verstärken, des Universalen Vaters, den er den Herrn Gott Israels nannte.

74:8.8

In seinen frühen Lehren machte Moses aus weiser Überlegung keinen Versuch, vor Adams Zeit zurückzugehen, und da Moses der höchste Lehrer der Hebräer war, wurden die Geschichten über Adam in enge Verbindung mit jenen über die Schöp­fung gebracht. Dass die früheren Überlieferungen eine voradamische Zivilisation anerkannten, zeigt klar die Tatsache, dass spätere Herausgeber, die beabsichtigten, alles auszulöschen, was sich auf menschliche Angelegenheiten vor Adams Zeiten bezog, es unterließen, den verräterischen Hinweis auf Kains Auswanderung in das „Land Nods“, wo er sich eine Frau nahm, zu entfernen.

74:8.9

Die Hebräer besaßen noch lange, nachdem sie in Palästina angekommen waren, keine allgemein benutzte geschriebene Sprache. Sie lernten den Gebrauch eines Alphabets von den benachbarten Philistern, die als politische Flüchtlinge aus der höher entwickelten Zivilisation Kretas gekommen waren. Die Hebräer schrieben bis um 900 v. Chr. nur wenig, und da sie bis zu einem so späten Zeitpunkt keine geschriebene Sprache hatten, zirkulierten unter ihnen verschiedene Schöpfungsgeschichten. Aber nach der babylonischen Gefangenschaft waren sie eher geneigt, eine abgeänderte mesopotamische Version anzunehmen.

74:8.10

Die jüdische Tradition kristallisierte sich um Moses, und weil er sich bemüht hatte, den Stammbaum Abrahams bis zu Adam zurückzuführen, nahmen die Juden an, Adam sei der erste aller Menschen gewesen. Jahve war der Schöpfer, und da man in Adam den ersten Menschen erblickte, musste Jahve die Welt gleich vor Adam erschaffen haben. Und dann wurde die Überlieferung der sechs Tage Adams in die Geschichte eingewoben mit dem Endergebnis, dass fast tausend Jahre nach Mose Aufenthalt auf Erden die überlieferte Sechs-Tage-Schöpfung verfasst und später ihm zugeschrieben wurde.

74:8.11

Als die jüdischen Priester nach Jerusalem zurückkehrten, hatten sie ihre Darstellung vom Anfang aller Dinge bereits fertig niedergeschrieben. Bald stellten sie die Behauptung auf, dass diese Erzählung eine neulich aufgefundene, von Moses geschriebene Schöpfungsgeschichte sei. Aber die zeitgenössischen Hebräer um 500 v. Chr. sahen in diesen Schriften keine göttlichen Offen­barungen. Sie betrachteten sie etwa so, wie spätere Völker ihre mythologischen Erzählungen betrachten.

74:8.12

Auf dieses unechte Dokument, das angeblich die Lehren Mose wiedergab, wurde Ptolemäus, der griechische König Ägyptens, aufmerksam gemacht, und er ließ es durch eine Kommission von siebzig Gelehrten für seine neue Bibliothek in Alexandrien ins Griechische übersetzen. Und so fand diese Darstellung ihren Platz unter jenen Schriften, die in der Folge einen Teil der späteren Sammlungen der „heiligen Schriften“ der hebräischen und der christlichen Religion bildeten. Und über die Identifikation vieler abendländischer Völker mit diesen theologischen Systemen hatten solche Konzepte auf ihre Philosophie lange Zeit einen tiefgreifenden Einfluss.

74:8.13

Die christlichen Lehrer hielten am Glauben an eine auf Befehl erschaffene menschliche Rasse fest, und all das führte direkt zur Entstehung der Hypothese von einem ehemaligen goldenen Zeitalter utopischer Glückseligkeit und der Theorie vom Fall des Menschen oder Übermenschen, der für den nichtutopischen Zustand der Gesellschaft verantwortlich war. Diese Sicht des Lebens und der Stellung des Menschen im Universum war zumindest entmutigend, da sie auf einem Rückschritts-statt Fortschrittsglauben fußte und eine rachsüchtige Gottheit einschloss, die an der menschlichen Rasse als Vergeltung für die Irrtümer bestimmter einstiger planetarischer Verwalter ihren Zorn ausließ.

74:8.14

Das „goldene Zeitalter“ ist ein Mythos, aber Eden war eine Tatsache, und die Zivilisation des Gartens wurde wirklich vernichtet. Adam und Eva verfolgten ihr Werk im Garten hundertsiebzehn Jahre lang, als sie sich wegen Evas Ungeduld und Adams Fehleinschätzung anmaßten, vom vorgeschriebenen Weg abzuweichen, was über sie selber rasch Unheil brachte und für ganz Urantia eine ruinöse Verzögerung von Entwicklung und Fortschritt zur Folge hatte.

74:8.15

[Erzählt von Solonia, der seraphischen „Stimme im Garten“.]


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