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Die erste menschliche Familie

2. Die Flucht der Zwillinge

63:2.1

Nachdem Andon und Fonta den Entschluss gefasst hatten, nach Norden zu fliehen, wurden sie eine Zeitlang von Furcht überwältigt, insbesondere von der Furcht, das Missfallen ihres Vaters und ihrer nächsten Familienangehörigen zu erregen. Sie sahen voraus, dass feindliche Verwandte sie verfolgen würden, und rechneten mit der Möglichkeit, durch ihre ohnehin schon neidischen Stammesangehörigen umgebracht zu werden. Schon als Kinder hatten die Zwillinge die meiste Zeit miteinander verbracht und waren aus diesem Grunde bei ihren tierischen Vettern vom Primatenstamm nie besonders beliebt gewesen. Und durch den Bau einer getrennten und weit besseren Baumbehausung hatten sie ihre Stellung im Stamm nicht gerade verbessert.

63:2.2

Eines Nachts, als sie in diesem neuen Heim über den Baumwipfeln schliefen, wurden sie von einem heftigen Sturm aufgeweckt, und vor Furcht zitternd hielten sie sich zärtlich umschlungen und entschlossen sich endgültig und unwiderruflich zur Flucht, weg von der Stammesbehausung und den heimatlichen Baumkronen.

63:2.3

Etwa eine halbe Tagereise weit nach Norden hatten sie in einer Baumkrone bereits eine behelfsmäßige Zuflucht eingerichtet. Diese sollte ihr geheimes und sicheres Versteck am ersten, fern von ihren heimatlichen Wäldern verbrachten Tag sein. Trotz ihrer mit allen Primaten geteilten Sterbensangst davor, sich nachts am Boden aufzuhalten, traten die Zwillinge kurz nach Einbruch der Dunkelheit ihre Wanderung nach Norden an. Obwohl es ihnen außergewöhnlichen Mut abverlangte, diese nächtliche Reise – selbst bei Vollmond – zu unternehmen, zogen sie den richtigen Schluss, sie würden so mit geringerer Wahrscheinlichkeit von ihren Stammesangehörigen und Verwandten vermisst und verfolgt werden. Und sie langten kurz nach Mitternacht bei ihrem zuvor erstellten Treffpunkt wohlbehalten an.

63:2.4

Auf ihrer Wanderung nach Norden entdeckten sie ein offen daliegendes Feuersteinlager. Darin fanden sie viele Steine, deren Form sich für verschiedene Zwecke eignete, und sie legten davon einen Vorrat für die Zukunft an. Beim Versuch, die Feuersteine abzuwetzen, um sie für bestimmte Aufgaben geeigneter zu machen, entdeckte Andon ihre Eigenschaft, Funken zu erzeugen, und der Gedanke kam ihm, Feuer zu entfachen. Aber zu diesem Zeitpunkt setzte sich die Idee in ihm noch nicht fest, weil das Klima immer noch angenehm war und sie Feuer kaum benötigten.

63:2.5

Aber die Herbstsonne stand immer tiefer am Himmel, und je weiter sie nach Norden wanderten, umso kühler wurden die Nächte. Schon waren sie gezwungen gewesen, Tierfelle zu benutzen, um sich warm zu halten. Sie waren noch nicht einen Monat von zu Hause weg, als Andon seiner Gefährtin zu verstehen gab, er glaube, mit dem Feuerstein Feuer machen zu können. Zwei Monate lang versuchten sie nun, den Feuersteinfunken zur Entfachung eines Feuers zu benutzen, steckten aber nur Misserfolge ein. Tag für Tag schlugen die beiden die Feuersteine gegeneinander und bemühten sich, das Holz zu entzünden. Endlich, eines Abends zur Zeit des Sonnenuntergangs, enthüllte sich ihnen das Geheimnis der Technik, als Fonta auf den Gedanken kam, einen nahen Baum zu erklettern, um sich ein verlassenes Vogelnest zu verschaffen. Das Nest war trocken und leicht entzündbar und flammte lichterloh auf, als ein Funke darauf fiel. Ihr Erfolg überraschte und erschreckte sie dermaßen, dass ihnen darob beinahe das Feuer ausgegangen wäre, aber sie konnten es durch Zugabe geeigneten Brennstoffs retten. Und dann begaben sich die Eltern der ganzen Menschheit zum ersten Mal auf die Suche nach Brennholz.

63:2.6

Das war einer der freudigsten Augenblicke ihres kurzen, aber bewegten Lebens. Die ganze Nacht saßen sie an ihrem Feuer und schauten zu, wie es brannte, und dabei wurde ihnen unklar bewusst, dass sie eine Entdeckung gemacht hatten, die es ihnen ermöglichen würde, dem Klima zu trotzen und für immer von ihren tierischen Verwandten im Süden unabhängig zu bleiben. Nachdem sie sich drei Tage lang ausgeruht und an dem Feuer erfreut hatten, wanderten sie weiter.

63:2.7

Die Primatenahnen Andons hatten oft Feuer unterhalten, das durch Blitze entzündet worden war, aber nie zuvor hatten irdische Geschöpfe eine Methode besessen, um nach Belieben Feuer zu entfachen. Aber es dauerte lange, bis die Zwillinge lernten, dass trockenes Moos und anderes Material sich ebenso leicht entzündeten wie ein Vogelnest.


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