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Erscheinungen vor den Aposteln und anderen Führern

Die Erscheinung vor Petrus  •  Erste Erscheinung vor den Aposteln  •  Bei den morontiellen Geschöpfen  •  Die zehnte Erscheinung (in Philadelphia)  •  Zweite Erscheinung vor den Aposteln  •  Die Erscheinung in Alexandrien

DER Auferstehungssonntag war ein schrecklicher Tag im Leben der Apostel; zehn von ihnen verbrachten ihn überwiegend im oberen Raum hinter verschlossenen Türen. Sie hätten aus Jerusalem flüchten können, aber sie hatten Angst, von den Häschern des Sanhedrins aufgegriffen zu werden, wenn man sie im Freien antreffen würde. Thomas brütete in Bethphage allein über seinen Problemen. Es wäre ihm besser ergangen, wenn er bei seinen Apostelgefährten geblieben wäre, denn er hätte ihnen helfen können, ihre Diskussionen in eine nützlichere Bahn zu lenken.

191:0.2

Den ganzen Tag über hielt Johannes am Gedanken fest, Jesus sei von den Toten auferstanden. Er zählte nicht weniger als fünf verschiedene Gelegen­heiten auf, bei denen der Meister versichert hatte, er werde auferstehen, und mindestens drei, als er auf den dritten Tag angespielt hatte. Die Einstellung des Johannes hatte einen beträchtlichen Einfluss auf sie, besonders auf seinen Bruder Jakobus und auf Nathanael. Und Johannes hätte sie noch stärker beeinflusst, wäre er nicht der Jüngste der Gruppe gewesen.

191:0.3

Ihre Schwierigkeiten waren vor allem auf ihre Isolierung zurückzuführen. Johannes Markus hielt sie über das, was im Tempel vor sich ging, auf dem Laufenden, und trug ihnen die vielen Gerüchte zu, die sich in der Stadt ausbreiteten, aber es fiel ihm nicht ein, sich Nachrichten von den verschiedenen Gruppen von Gläubigen, denen Jesus bereits erschienen war, zu beschaffen. Das war jene Dienstleistung, welche bislang von Davids Boten erbracht worden war, aber diese waren alle abwesend in Ausführung ihres letzten Auftrags, den fern von Jerusalem wohnenden Gruppen von Gläubigen die Auferstehung zu verkündigen. Zum ersten Mal in all diesen Jahren kam es den Aposteln zum Bewusstsein, wie sehr sie für ihre tägliche Information über alles, was das Königreich betraf, von Davids Boten abhängig gewesen waren.

191:0.4

Den ganzen Tag über schwankte Petrus in der ihm eigenen gefühlsmäßigen Weise zwischen Glauben und Zweifeln an des Meisters Auferstehung hin und her. Er kam von dem Anblick der Grabtücher nicht los, die dort in der Gruft lagen, als ob Jesu Leib sich einfach daraus verflüchtigt hätte. „Aber,“ so überlegte Petrus, „wenn er auferstanden ist und sich den Frauen zeigen kann, warum erscheint er dann nicht uns, seinen Aposteln?“ Kummer überkam Petrus bei dem Gedanken, Jesus komme vielleicht wegen seiner, des Petrus, Anwesenheit unter den Aposteln nicht zu ihnen, weil er ihn in jener Nacht im Hofe des Hannas verleugnet hatte. Und dann richtete er sich wiederum an der ihm von den Frauen überbrachten Äußerung auf: „Geht und sagt es meinen Aposteln – und Petrus.“ Aber wollte er aus dieser Botschaft Mut schöpfen, setzte das seinen Glauben daran voraus, dass die Frauen den auferstandenen Meister tatsächlich gesehen und gehört hatten. Und so pendelte Petrus den ganzen Tag lang zwischen Glauben und Zweifel hin und her bis kurz nach acht Uhr, als er sich in den Hof hinauswagte. Petrus dachte daran, sich aus der Mitte der Apostel zurückzuziehen, um Jesus wegen seiner Verleugnung des Meisters nicht daran zu hindern, zu ihnen zu kommen.

191:0.5

Jakobus Zebedäus trat zuerst dafür ein, dass sich alle zum Grab begeben sollten; er wollte unbedingt etwas tun, um das Geheimnis zu ergründen. Es war Nathanael, der sie davon abhielt, sich auf Jakobus‘ Drängen hin in der Öffentlichkeit zu zeigen, und er tat dies, indem er sie an Jesu Warnung erinnerte, zu diesem Zeitpunkt ihr Leben nicht unnötig aufs Spiel zu setzen. Bis zum Mittag hatte sich Jakobus so weit beruhigt, dass er mit den anderen alles Weitere wachsam abwarten konnte. Er sprach nur wenig; er war zutiefst enttäuscht darüber, dass Jesus ihnen nicht erschien, und er wusste nichts von den vielen Erscheinungen Jesu vor anderen Gruppen und Einzelnen.

191:0.6

Andreas hörte an diesem Tag vor allem zu. Die Situation versetzte ihn in größte Ratlosigkeit, und er hatte mehr als sein Teil Zweifel, aber er genoss wenigstens ein gewisses Gefühl der Befreiung von der Verantwortung für die Führung seiner Mitapostel. Er war dem Meister wirklich dankbar, ihn von der Last der Führung befreit zu haben, bevor diese qualvollen Stunden für sie begannen.

191:0.7

Mehr als einmal während der langen und erschöpfenden Stunden dieses tragischen Tages waren die charakteristischen philosophischen Ratschläge, die Nathanael häufig von sich gab, der einzige stützende Einfluss in der Gruppe. Während des ganzen Tages war er wirklich die steuernde Kraft unter den Zehn. Nicht ein einziges Mal ließ er verlauten, ob er an des Meisters Auferstehung glaube oder nicht. Aber wie der Tag allmählich verging, neigte er immer mehr zu dem Glauben, Jesus habe sein Versprechen aufzuerstehen erfüllt.

191:0.8

Simon Zelotes war zu niedergeschlagen, um an den Diskussionen teilzunehmen. Die meiste Zeit lag er in einer Ecke des Raumes mit dem Gesicht zur Wand auf einem Lager ausgestreckt; er sprach während des ganzen Tages weniger als ein halbes Dutzend Mal. Seine Vorstellung vom Königreich des Himmels war zusammengebrochen, und er vermochte nicht zu erkennen, inwiefern des Meisters Auferstehung die Situation wesentlich verändern könnte. Seine Enttäuschung war sehr persönlich und allzu übermächtig, als dass er sich kurzfristig hätte davon erholen können, auch nicht angesichts einer derart ungeheuren Tatsache wie der Auferstehung.

191:0.9

Seltsamerweise redete Philipp, der sich sonst kaum äußerte, im Laufe des Nachmittags sehr viel. Am Vormittag hatte er nur wenig zu sagen, aber den ganzen Nachmittag über stellte er den anderen Aposteln Fragen. Petrus ärgerte sich oft über Philipps Fragen, aber die anderen ertrugen sie gutmütig. Philipp war insbesondere begierig zu wissen, ob Jesu Leib, wenn er wirklich vom Grab auferstanden war, wohl noch die physischen Spuren der Kreuzigung trug.

191:0.10

Matthäus war höchst verwirrt; er hörte den Diskussionen seiner Gefähr­ten zu, aber die meiste Zeit beschäftigte er sich mit dem Problem ihrer zukünftigen Finanzen. Von Jesu möglicher Auferstehung einmal ganz abgesehen: Judas war gegangen, David hatte ihm das Geld in unsanfter Weise übergeben und sie waren ohne maßgeblichen Führer. Noch bevor Matthäus so weit war, sich mit den die Auferstehung betreffenden Argumenten ernsthaft au­sei­nan­derzusetzen, hatte er den Meister schon von Angesicht zu Ange­sicht gesehen.

191:0.11

Die Alphäus-Zwillinge nahmen an diesen ernsten Diskussionen kaum teil; sie hatten genug mit ihren gewohnten Aufgaben zu tun. Einer von ihnen drückte beider Haltung aus, als er auf eine Frage Philipps erwiderte: „Wir verstehen das mit der Auferstehung nicht, aber unsere Mutter sagt, sie habe mit dem Meister gesprochen, und wir glauben ihr.“

191:0.12

Thomas befand sich mitten in einer seiner typischen Perioden verzweifelter Niedergeschlagenheit. Er verschlief einen Teil des Tages und wanderte den Rest der Zeit in den Bergen umher. Er verspürte den Drang, zu seinen Apostelgefährten zurückzukehren, aber der Wunsch, mit sich allein zu sein, war stärker.

191:0.13

Der Meister schob seine erste morontielle Erscheinung vor den Aposteln aus mehreren Gründen hinaus. Erstens wollte er, dass sie, nachdem sie von seiner Auferstehung erfahren hatten, Zeit hätten, alles gut zu überdenken, was er ihnen über seinen Tod und seine Auferstehung gesagt hatte, als er noch als Mensch unter ihnen weilte. Der Meister wollte, dass Petrus sich durch einige seiner besonderen Schwierigkeiten hindurchkämpfe, bevor er ihnen allen erscheinen würde. Zweitens wünschte er, dass Thomas zur Zeit seiner ersten Erscheinung bei ihnen sei. Johannes Markus machte Thomas an diesem Sonntagmorgen früh im Hause Simons in Bethphage ausfindig und benachrichtigte die Apostel davon gegen elf Uhr. Thomas wäre an diesem Tag jederzeit zu ihnen zurückgekehrt, wenn Nathanael oder irgend zwei andere Apostel ihn geholt hätten. Er wünschte wirklich zurückzukehren, aber so, wie er sie am Abend zuvor verlassen hatte, war er zu stolz, es so bald aus eigenem Antrieb zu tun. Am nächsten Tag war er derart niedergeschlagen, dass er fast eine Woche brauchte, bis er sich zur Rückkehr entschloss. Die Apostel warteten auf ihn, und er wartete darauf, dass seine Brüder ihn aufspürten und ihn bäten, zu ihnen zurückzukehren. So blieb Thomas seinen Gefährten fern bis am nächsten Samstagabend, als Petrus und Johannes nach Einbruch der Dunkelheit nach Bethphage hinübergingen und ihn mit sich zurückbrachten. Und das ist auch der Grund, weshalb sie nicht sofort nach Galiläa gingen, nachdem Jesus ihnen zum ersten Mal erschienen war; sie wollten nicht ohne Thomas gehen.


 
 
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Das Urantia Buch