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Die Zeit im Grabe

4. Bedeutung des Todes am Kreuz

188:4.1

Obwohl Jesus nicht am Kreuz starb, um die Rassenschuld der sterblichen Menschen zu sühnen, noch um ihnen so etwas wie einen wirksamen Zugang zu einem sonst beleidigten und nachtragenden Gott zu verschaffen; obwohl der Menschensohn sich nicht als Opfer darbrachte, um Gottes Zorn zu besänftigen und den sündigen Menschen den Weg zur Errettung aufzutun; und obwohl all diese Vorstellungen von Sühne und Opfer irrig sind, so kommen Jesu Tod am Kreuz doch Bedeutungen zu, die man nicht übersehen sollte. Es ist eine Tatsache, dass man auf anderen bewohnten Nachbarplaneten von Urantia als von der „Welt des Kreuzes“ spricht.

188:4.2

Jesus wünschte, auf Urantia das vollständige sterbliche Dasein eines Menschen zu leben. Der Tod ist normalerweise ein Teil des Lebens. Der Tod ist im sterblichen Drama der letzte Akt. In eurem redlichen Bemühen, die abergläubischen Irrtümer einer falschen Auslegung der Bedeutung des Kreuz­estodes zu vermeiden, solltet ihr darauf achten, nicht in den großen Fehler zu fallen, die wahre Bedeutung und den tiefen Sinn des Todes des Meisters zu übersehen.

188:4.3

Der sterbliche Mensch war nie Eigentum der Erzbetrüger. Jesus starb nicht, um den Menschen aus den Klauen der abtrünnigen Herrscher und gefallenen Fürsten der Welten loszukaufen. Nie ersann der Vater im Himmel eine so krasse Ungerechtigkeit wie jene, eine sterbliche Seele wegen der Übeltaten ihrer Vorfahren zu verdammen. Ebenso wenig war der Kreuzestod des Meisters ein Opfer, das darin bestand, Gott eine Schuld zu bezahlen, die sich die Menschenrasse ihm gegenüber aufgeladen hätte.

188:4.4

Bevor Jesus auf Erden lebte, wäre euer Glaube an einen solchen Gott möglicherweise zu rechtfertigen gewesen, aber er ist es nicht mehr, seit der Meister unter euren sterblichen Brüdern lebte und starb. Moses lehrte die Würde und Gerechtigkeit eines Schöpfergottes; aber Jesus verkörperte die Liebe und Barm­herzigkeit eines himmlischen Vaters.

188:4.5

Die tierische Natur – der Hang zu üblem Tun – mag sich vererben, aber die Sünde überträgt sich nicht von den Eltern auf die Kinder. Sünde ist ein Akt bewusster und vorsätzlicher Auflehnung eines einzelnen Willensgeschöpfes gegen den Willen des Vaters und die Gesetze des Sohnes.

188:4.6

Jesus lebte und starb für ein ganzes Universum, nicht nur für die Rassen dieser einen Welt. Zwar besaßen die Sterblichen der Welten die Errettung schon, bevor Jesus auf Urantia lebte und starb; trotzdem ist es eine Tatsache, dass seine Selbsthingabe auf dieser Welt den Weg der Errettung um vieles erhellte. Sein Tod trug viel dazu bei, das Fortleben der Sterblichen nach dem leiblichen Tod für immer zu einer völligen Gewissheit werden zu lassen.

188:4.7

Obwohl es kaum zutreffend ist, von Jesus als von einem Opferlamm, Freikäufer oder Wiedergutmacher zu sprechen, ist es vollkommen richtig, sich auf ihn als einen Retter zu berufen. Er hat den Weg der Errettung (das Fortleben nach dem Tode) für immer klarer und gewisser gemacht und allen Sterblichen auf allen Welten des Universums von Nebadon den Weg zur Errettung deutlicher und sicherer gezeigt.

188:4.8

Wenn ihr einmal die Idee von Gott als einem wahren und liebenden Vater – das einzige Konzept, das Jesus je gelehrt hat – erfasst habt, müsst ihr folgerichtig sofort all diese primitiven Vorstellungen von Gott als einem beleidigten Monar­chen, finsteren und allgewaltigen Herrscher völlig aufgeben, von einem, dessen größte Wonne es ist, seine Untertanen bei Vergehen zu ertappen und dafür zu sorgen, dass sie gebührend bestraft werden, es sei denn, ein ihm fast ebenbürtiges Wesen wolle freiwillig an ihrer Stelle leiden und stellvertretend für sie sterben. Die ganze Idee von Loskauf und Sühneopfer ist unvereinbar mit der Gottes­vorstellung, wie Jesus von Nazareth sie gelehrt und beispielhaft gelebt hat. Die unendliche Liebe Gottes ist nichts anderem in der göttlichen Natur untergeordnet.

188:4.9

Die ganze Vorstellung von Sühneopfer und Errettung durch Opferung wurzelt in Selbstsucht und gründet darauf. Jesus lehrte, dass der Dienst an seinen Mitmenschen die höchste Vorstellung von Brüderlichkeit der im Geiste Glaubenden ist. Die Errettung sollte von denen, die an die Vaterschaft Gottes glauben, für selbstverständlich gehalten werden. Nicht der selbstische Wunsch nach persönlicher Errettung sollte die Hauptsorge des Gläubigen sein, sondern der selbstlose Drang, seine Mitmenschen so zu lieben und ihnen folglich so zu dienen, wie Jesus die sterblichen Menschen geliebt und ihnen gedient hat.

188:4.10

Und echte Gläubige sorgen sich auch nicht sonderlich wegen kommender Bestrafung für begangene Sünden. Der wahre Gläubige ist einzig besorgt wegen vorhandener Trennung von Gott. Es ist wahr, dass weise Väter ihre Kinder gelegentlich züchtigen, aber sie tun es aus Liebe und in korrigierender Absicht. Sie bestrafen nicht im Zorn, noch züchtigen sie zur Vergeltung.

188:4.11

Selbst wenn Gott der harte und streng gesetzliche Monarch eines Universums wäre, in dem Gerechtigkeit allesbeherrschend wäre, so würde ihn die kindische Idee, einen schuldigen Missetäter durch einen unschuldig Leidenden zu ersetzen, gewiss nicht befriedigen.

188:4.12

Was Jesu Tod für die Bereicherung der menschlichen Erfahrung und die Erweiterung des Heilsweges so groß macht, ist nicht die Tatsache seines Todes, sondern vielmehr die überragende Art und der unvergleichliche Geist, in denen er dem Tod begegnete.

188:4.13

Die ganze Vorstellung von einem Loskauf durch Sühneopfer stellt die Errettung auf eine unrealistische Ebene; eine solche Vorstellung ist rein philosophisch. Die menschliche Errettung ist real ; sie gründet auf zwei Tatsachen, die der Glaube des Geschöpfes erfassen kann und die dadurch Bestandteil der individuellen menschlichen Erfahrung werden: die Tatsache der Vaterschaft Gottes und der mit ihr verbundenen Wahrheit der Bruderschaft der Menschen. Am Ende ist es wahr, dass man euch „eure Schulden vergeben wird, wie auch ihr euren Schuldigern vergebt“.


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