Einer der Diebe schimpfte über Jesus mit den Worten: „Wenn du der Sohn Gottes bist, warum rettest du dich und uns nicht?“ Aber auf diesen an Jesus gerichteten Vorwurf hin sagte der andere Dieb, der den Meister viele Male hatte lehren hören: „Fürchtest du dich nicht einmal vor Gott? Siehst du nicht, dass wir gerechterweise für unsere Taten leiden, dass dieser Mann dagegen ungerechterweise leidet? Wir täten besser daran, um Vergebung für unsere Sünden und für die Rettung unserer Seelen zu bitten.“ Als Jesus den Dieb so sprechen hörte, wandte er ihm sein Gesicht zu und lächelte zustimmend. Als der Übeltäter das ihm zugewandte Gesicht Jesu erblickte, nahm er seinen ganzen Mut zusammen, fachte seine flackernde Glaubensflamme an und sagte: „Herr, erinnere dich meiner, wenn du in dein Königreich kommst.“ Und Jesus sagte darauf: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir heute, du wirst dereinst mit mir im Paradies sein.“
Der Meister fand inmitten von Todesqualen Zeit, den seinen Glauben bekennenden Dieb anzuhören. Als diesen nach Rettung verlangte, fand er Erlösung. Viele Male zuvor hatte er sich gedrängt gefühlt, an Jesus zu glauben, aber erst in diesen letzten bewussten Stunden wandte er sich von ganzem Herzen der Lehre des Meisters zu. Als er Jesu Art sah, am Kreuz dem Tod ins Gesicht zu schauen, konnte dieser Dieb sich nicht länger gegen die Überzeugung wehren, dass dieser Menschensohn tatsächlich der Sohn Gottes war.
Während dieser Episode der Bekehrung des Diebes durch Jesus und seiner Aufnahme in das Königreich war der Apostel Johannes abwesend, da er in die Stadt gegangen war, um seine Mutter und ihre Freundinnen an den Schauplatz der Kreuzigung zu bringen. Lukas hörte diese Geschichte später vom bekehrten römischen Wachthauptmann.
Der Apostel Johannes berichtete über die Kreuzigung so, wie er sich des Ereignisses zwei Jahrhundertdrittel danach entsann. Den anderen Aufzeichnungen liegt die Schilderung des diensttuenden römischen Zenturio zu Grunde, der in der Folge durch das, was er sah und hörte, zum Glauben an Jesus kam und ein vollwertiges Mitglied des Königreichs des Himmels auf Erden wurde.
Der junge, reuige Bandit war von Leuten, die das Räuberhandwerk als einen wirksamen patriotischen Protest gegen politische Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit priesen, in ein Leben der Gewalt und Missetat hineingezogen worden. Und diese Art von Lehre verbunden mit Abenteuerlust führte viele im Übrigen redliche junge Leute dazu, sich an solchen verwegenen Raubzügen zu beteiligen. Dieser junge Mann hatte zu Barabbas als einem Helden aufgeblickt. Nun sah er, dass er sich geirrt hatte. Hier am Kreuz neben sich sah er einen wirklich großen Mann, einen wahren Helden. Hier war ein Held, der seine Begeisterung entfachte, seine höchsten Vorstellungen von sittlicher Selbstachtung inspirierte und all seine Ideale von Mut, Männlichkeit und Tapferkeit wiederbelebte. Während er Jesus betrachtete, erwachte in seinem Herzen ein überwältigendes Gefühl von Liebe, Treue und echter Größe.
Und wenn in der höhnenden Menge irgendjemand anderes erlebt hätte, wie in seiner Seele der Glaube geboren wurde, und er an Jesu Erbarmen appelliert hätte, wäre ihm dieselbe liebende Aufmerksamkeit, die Jesus dem gläubigen Banditen schenkte, zuteil geworden.
Gleich nachdem der reuige Dieb des Meisters Versprechen vernommen hatte, sie würden sich dereinst im Paradies wiedersehen, kehrte Johannes mit seiner Mutter und einer Gruppe von fast einem Dutzend gläubiger Frauen aus der Stadt zurück. Johannes nahm seinen Platz neben Maria, Jesu Mutter, wieder ein und stützte sie. Ihr Sohn Jude stand auf ihrer anderen Seite. Als Jesus auf diese Szene herabblickte, war es Mittag, und er sagte zu seiner Mutter: „Frau, siehe, dein Sohn!“ Und zu Johannes sagte er: „Mein Sohn, siehe deine Mutter!“ Und dann wandte er sich an alle beide mit den Worten: „Ich wünsche, dass ihr diesen Ort verlasst.“ Und so führten Johannes und Jude Maria von Golgatha fort. Johannes brachte Jesu Mutter in Jerusalem an den Ort, wo er sich selbst aufhielt, und eilte dann an den Schauplatz der Kreuzigung zurück. Nach Passah kehrte Maria nach Bethsaida zurück, wo sie den Rest ihres natürlichen Lebens im Hause des Johannes zubrachte. Maria überlebte Jesu Tod um ein knappes Jahr.
Als Maria gegangen war, zogen sich die übrigen Frauen auf geringe Entfernung zurück. Sie wachten über Jesus, bis er am Kreuz verschied, und sie standen immer noch dabei, als der Leichnam des Meisters zur Bestattung heruntergenommen wurde.