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Das letzte Abendmahl

3. Waschung der Füße der Apostel

179:3.1

Jüdischer Brauch wollte, dass der Gastgeber, nachdem er den ersten Passah­kelch getrunken hatte, sich vom Tisch erhob und seine Hände wusch. Im weiteren Verlauf des Mahls und nach dem zweiten Kelch erhoben sich alle Gäste ebenso und wuschen ihre Hände. Da die Apostel wussten, dass ihr Meister sich nie an diesen Ritus zeremonieller Handwaschung hielt, waren sie sehr neugierig zu erfahren, was zu tun er im Sinne hatte, als er, nachdem sie den ersten Kelch getrunken hatten, sich vom Tisch erhob und schweigend auf die Tür zu ging, neben der Wasserkrüge, Waschbecken und Tücher bereitgestellt waren. Und ihre Neugierde verwandelte sich in Erstaunen, als sie sahen, wie der Meister sein Obergewand ablegte, sich ein Tuch umband und damit begann, Wasser in eines der Fußbecken zu schütten. Stellt euch die Verwunderung dieser zwölf Männer vor, die sich noch eben geweigert hatten, einander die Füße zu waschen, und die sich in so unziemlicher Weise um die Ehrenplätze am Tisch gestritten hatten, als sie Jesus um das leerstehende Ende des Tisches herum auf den geringsten Platz des Festes zugehen sahen, wo Simon Petrus lagerte, und wo er in der Haltung eines Dieners niederkniete und sich anschickte, Simon die Füße zu waschen. Als der Meister kniete, sprangen alle Zwölf wie ein Mann auf. Sogar der verräterische Judas vergaß seine Niedertracht einen Augenblick lang und erhob sich mit seinen Apostelgefährten in dieser Kundgebung von Überraschung, Respekt und äußerster Verblüffung.

179:3.2

Da stand nun Simon Petrus und schaute auf das nach oben gewandte Gesicht seines Meisters herab. Jesus sagte nichts; es war nicht nötig, dass er sprach: Seine Haltung brachte unmissverständlich zum Ausdruck, dass es seine Absicht war, Simon Petrus die Füße zu waschen. Trotz seiner menschlichen Schwächen liebte Petrus den Meister. Dieser galiläische Fischer war das erste menschliche Wesen, das von ganzem Herzen an die Göttlichkeit Jesu glaubte und diesen Glauben auch öffentlich voll bekannte. Und Petrus hatte die göttliche Natur des Meisters danach nie wirklich in Zweifel gezogen. Da Petrus Jesus in seinem Herzen so sehr verehrte und hochhielt, war es nicht verwunderlich, dass seine Seele sich gegen den Gedanken sträubte, Jesus hier vor ihm in der Haltung eines geringen Dieners knien und sich anschicken zu sehen, ihm wie ein Sklave die Füße zu waschen. Als sich Petrus gleich darauf so weit gefasst hatte, um das Wort an den Meister zu richten, sprach er all seinen Apostelgefährten aus dem Herzen.

179:3.3

Nach einigen Augenblicken größter Verlegenheit sagte Petrus: „Meister, beabsichtigst du tatsächlich, mir die Füße zu waschen?“ Da schaute Jesus zu Petrus auf und sprach: „Vielleicht begreifst du nicht ganz, was zu tun ich mich anschicke, aber später wirst du die Bedeutung all dieser Dinge verstehen.“ Da holte Simon Petrus tief Atem und sagte: „Meister, nie und nimmer wirst du mir die Füße waschen!“ Und jeder der Apostel stimmte mit einem Kopfnicken der entschiedenen Weigerung des Petrus zu, es Jesus zu erlauben, sich in dieser Weise vor ihnen zu demütigen.

179:3.4

Der dramatische Appell dieser ungewöhnlichen Szene rührte zuerst sogar das Herz von Judas Iskariot; aber als sein anmaßender Intellekt das Schauspiel beurteilte, kam er zu dem Schluss, dass diese Geste der Demut nur eine weitere Episode war, die schlüssig bewies, dass Jesus sich niemals als Befreier Israels eignen würde, und dass er selber mit seinem Entschluss, die Sache des Meisters im Stich zu lassen, keinen Fehler gemacht hatte.

179:3.5

Während sie alle in atemloser Verwunderung dastanden, sagte Jesus: „Petrus, ich erkläre, dass, wasche ich dir nicht die Füße, du nicht mit mir an dem teilnehmen wirst, was ich zu vollführen gedenke.“ Als Petrus diese Erklärung hörte und Jesus nach wie vor zu seinen Füßen kniete, fasste er einen jener Entschlüsse blinder Willfährigkeit gegenüber dem Wunsch eines, den er respektierte und liebte. Als es in Simon Petrus zu dämmern begann, dass der geplanten Darstellung des Dienens eine Bedeutung zukam, die für die eigene zukünftige Verbindung mit des Meisters Werk bestimmend war, söhnte er sich nicht nur mit dem Gedanken aus, Jesus zu erlauben, ihm die Füße zu waschen, sondern er sprach in seiner charakteristischen und ungestümen Art: „Dann wasche mir nicht nur die Füße, Meister, sondern auch die Hände und den Kopf.“

179:3.6

Als der Meister sich anschickte, Petrus die Füße zu waschen, sprach er: „Wer schon rein ist, dem brauchen nur die Füße gewaschen zu werden. Ihr, die ihr heute Abend hier mit mir zusammen sitzt, seid rein – aber nicht alle. Ihr hättet den Staub von euren Füßen abwaschen sollen, bevor ihr euch mit mir zum Mahl niedersetztet. Zudem möchte ich diesen Dienst an euch als ein Gleichnis tun, das den Sinn eines neuen Gebotes, das ich euch gleich geben will, veranschaulichen soll.“

179:3.7

In derselben Weise machte der Meister schweigend die Runde um den Tisch, wobei er die Füße seiner zwölf Apostel wusch und nicht einmal Judas ausließ. Als Jesus mit dem Waschen der Füße der Zwölf zu Ende war, zog er sein Übergewand an, kehrte an seinen Platz des Gastgebers zurück und sagte nach einem Blick auf seine verstörten Apostel:

179:3.8

„Begreift ihr wirklich, was ich an euch getan habe? Ihr nennt mich Meister, und ihr tut gut so, denn ich bin es. Wenn also der Meister euch die Füße gewaschen hat, wie kommt es, dass ihr nicht willens wart, einander die Füße zu waschen? Welche Lehre solltet ihr aus diesem Gleichnis ziehen, in dem der Meister so bereitwillig den Dienst erbringt, den seine Brüder einander gegenseitig verweigert haben? Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ein Diener ist nicht größer als sein Meister; noch ist einer, der gesandt wurde, größer als derjenige, der ihn sendet. Ihr habt die Art des Dienens gesehen, die ich unter euch gelebt habe; und gesegnet sind diejenigen von euch, die den Mut und die Güte aufbringen werden, auf diese Weise zu dienen. Aber wieso seid ihr so langsam zu begreifen, dass das Geheimnis der Größe im geistigen Reich verschieden ist von den Methoden der Macht in der materiellen Welt?

179:3.9

Als ich heute Abend diesen Raum betrat, habt ihr euch nicht nur stolz geweigert, einander die Füße zu waschen, sondern ihr habt auch noch darüber zu streiten begonnen, wem die Ehrenplätze an meinem Tisch gebührten. Das sind Ehren, die die Pharisäer und die Kinder dieser Welt suchen, aber unter den Botschaftern des himmlischen Königreichs sollte es anders sein. Wisst ihr nicht, dass es an meinem Tisch keinen Vorzugsplatz geben kann? Versteht ihr nicht, dass ich einen jeden von euch genau so liebe wie alle anderen? Wisst ihr nicht, dass der Platz zunächst von mir – aus menschlicher Sicht ein Ehrenplatz – für eure Stellung im Königreich des Himmels überhaupt nichts bedeuten kann? Ihr wisst, dass die Könige der Nichtjuden die Gewalt über ihre Untertanen besitzen und man diejenigen, die diese Autorität ausüben, manchmal Wohltäter nennt. Aber im Königreich des Himmels wird es nicht so sein. Wer unter euch groß sein möchte, werde wie ein Jüngerer an Jahren; und wer ein Vorgesetzter sein möchte, werde wie einer, der dient. Wer ist größer, derjenige, der beim Mahl sitzt oder derjenige, der bedient? Gilt nicht derjenige, der beim Mahl sitzt, gewöhnlich als der größere? Aber ihr könnt feststellen, dass ich unter euch bin als einer, der dient. Wenn ihr gewillt seid, meine Mitdiener in Ausübung des Willens des Vaters zu werden, werdet ihr im kommenden Königreich in der Fülle der Macht bei mir sein und damit fortfahren, den Willen des Vaters zu tun in künftiger Herrlichkeit.“

179:3.10

Als Jesus fertig gesprochen hatte, trugen die Alphäus-Zwillinge für den nächsten Gang des letzten Abendmahls Brot und Wein auf nebst bitteren Kräutern und einer Paste aus getrockneten Früchten.


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