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Auf dem Weg nach Jerusalem

Der Abschied von Pella  •  Über die Berechnung des Preises  •  Die Rundreise durch Peräa  •  Unterweisung in Livias  •  Der blinde Mann zu Jericho  •  Der Besuch bei Zachäus  •  „Während Jesus vorüberging“  •  Gleichnis von den Pfunden

AM Tag nach der denkwürdigen Predigt über „Das Königreich des Himmels“ kündigte Jesus an, dass er sich am folgenden Tag mit den Aposteln zum Passahfest nach Jerusalem aufmachen und unterwegs zahlreiche Städte im südlichen Peräa besuchen werde.

171:0.2

Die Ansprache über das Königreich und die Ankündigung, dass er sich zum Passahfest begeben werde, ließ all seine Anhänger annehmen, dass er nach Jerusalem gehe, um das zeitliche Königreich jüdischer Oberhoheit zu eröffnen. Was Jesus auch immer über den nichtmateriellen Charakter des Königreichs sagen mochte, so konnte er doch aus den Gemütern seiner jüdischen Zuhörer die Idee nicht ganz entfernen, dass es Aufgabe des Messias sei, irgendeine Art nationalistischer Regierung mit Sitz in Jerusalem einzusetzen.

171:0.3

Was Jesus in dieser Sabbatpredigt sagte, trug nur dazu bei, die Mehrheit seiner Anhänger zu verwirren; sehr wenige wurden durch die Rede des Meisters erleuchtet. Die führenden Jünger begriffen etwas von seinen das innere Königreich, „das Königreich des Himmels in euch“, betreffenden Lehren, aber sie hatten ihn auch über ein anderes, künftiges Königreich sprechen hören, und sie glaubten, er gehe jetzt nach Jerusalem hinauf, um dieses Königreich zu errichten. Als sie in dieser Erwartung enttäuscht wurden, als er von den Juden zurückgewiesen wurde, und als später Jerusalem buchstäblich vernichtet wurde, klammerten sie sich immer noch an diese Hoffnung und glaubten wahrhaftig, der Meister werde bald in großer Macht und majestätischer Herrlichkeit zur Erde zurückkehren, um das versprochene Königreich zu errichten.

171:0.4

An diesem Sonntagnachmittag geschah es, dass Salome, die Mutter von Ja­kobus und Johannes Zebedäus, mit ihren beiden Apostelsöhnen zu Jesus kam und versuchte, in der Art, wie man sich einem orientalischen Potentaten nähert, von ihm das Versprechen zu erhalten, ihr im Voraus jede Bitte zu gewähren, die sie an ihn richten würde. Aber der Meister wollte nichts versprechen; stattdessen fragte er sie: „Was möchtest du von mir?“ Da antwortete Salome: „Meister, jetzt, da du nach J­erusalem hinaufgehst, um das Königreich zu begründen, möchte ich dich im Voraus darum bitten, mir zu versprechen, dass diese meine Söhne die Ehre haben werden, in deinem Königreich der eine zu deiner Rechten und der andere zu deiner Linken zu sitzen.“

171:0.5

Als Jesus dieses Ansinnen Salomes vernahm, sagte er: „Frau, du weißt nicht, was du verlangst.“ Und darauf sagte er zu den zwei nach Ehren trachtenden Aposteln, indem er ihnen gerade in die Augen schaute: „Weil ich euch lange gekannt und geliebt habe und weil ich sogar in eurer Mutter Haus gewohnt habe und weil Andreas euch dazu bestimmt hat, jederzeit bei mir zu sein: deshalb erlaubt ihr eurer Mutter, mich heimlich aufzusuchen und dieses unziemliche Ansinnen an mich zu stellen. Aber lasst mich euch fragen: Seid ihr fähig, den Kelch zu trinken, den ich bald trinken werde?“ Und ohne einen Augenblick zu überlegen, antworteten Jakobus und Johannes: „Ja, Meister, wir sind dazu fähig.“ Da sagte Jesus: „Ich bin betrübt, dass ihr nicht begreift, weshalb wir nach Jerusalem hinaufgehen; es bekümmert mich, dass ihr die Art meines Königreichs verkennt. Ich bin enttäuscht, dass ihr eure Mutter herbringt, um so etwas von mir zu erbitten; aber ich weiß, dass ihr mich in euren Herzen liebt; deshalb erkläre ich, dass ihr tatsächlich aus meinem Kelch der Bitternis trinken und meine Demütigung teilen werdet, aber mir steht es nicht zu, die Sitze an meiner Rechten und an meiner Linken zu vergeben. Solche Ehren sind denen vorbehalten, die von meinem Vater dazu bestimmt worden sind.“

171:0.6

Unterdessen hatte jemand Petrus und den anderen Aposteln die Nachricht von dieser Besprechung hinterbracht, und sie waren hell empört darüber, dass Jakobus und Johannes versucht hatten, ihnen bevorzugt zu werden, und sie heimlich mit ihrer Mutter gegangen waren, um eine solche Bitte vorzubringen. Als sie untereinander zu streiten begannen, rief Jesus sie alle zusammen und sagte: „Ihr wisst gut, wie die Gebieter der Nichtjuden sich ihren Untertanen gegenüber als Herren aufspielen, und wie die Großen ihre Autorität ausüben. Aber im Königreich des Himmels soll es nicht so sein. Wer unter euch groß sein möchte, werde zuerst euer Diener. Wer im Königreich der erste sein möchte, lasse euch seine tätige Liebe spüren. Ich erkläre euch, dass der Menschensohn nicht gekommen ist, um bedient zu werden, sondern um zu dienen; und ich gehe jetzt nach Jerusalem hinauf, um in Ausführung des Willens meines Vaters und im Dienst an meinen Brüdern mein Leben hinzugeben.“ Als die Apostel diese Worte hörten, zogen sie sich zurück, um jeder für sich zu beten. Infolge der Bemühungen von Petrus entschuldigten sich Jakobus und Johannes an diesem Abend gebührend bei ihren zehn Brüdern und wurden von ihnen wieder angenommen.

171:0.7

Als die Söhne des Zebedäus Plätze zur Rechten und zur Linken Jesu in Jerusalem begehrten, ahnten sie nicht, dass ihr geliebter Lehrer in weniger als einem Monat an einem römischen Kreuz hängen würde mit einem sterbenden Dieb auf der einen Seite und einem anderen Missetäter auf der anderen. Und ihre Mutter, die bei der Kreuzigung zugegen war, erinnerte sich lebhaft an die törichte Bitte, mit der sie in Pella an Jesus herangetreten war, als sie so unklug für ihre Apostelsöhne Ehrenplätze verlangt hatte.


 
 
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Das Urantia Buch