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Die zwölf Apostel

12. Judas Iskariot

139:12.1

Judas Iskariot, der zwölfte Apostel, wurde von Nathanael gewählt. Er wurde in Kerioth, einer kleinen Stadt im südlichen Judäa, geboren. Als er ein Junge war, übersiedelten seine Eltern nach Jericho, wo er lebte und in verschiedenen Geschäftsunternehmen seines Vaters arbeitete, bis er sich für die Predigt und das Werk von Johannes dem Täufer zu interessieren begann. Judas‘ Eltern waren Sadduzäer, und als ihr Sohn sich den Jüngern des Johannes anschloss, verstießen sie ihn.

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Als Nathanael Judas in Tarichäa begegnete, suchte dieser eine Anstellung bei einem Unternehmen zum Trocknen von Fischen am unteren Ende des Galiläischen Meeres. Er war dreißig Jahre alt und unverheiratet, als er zu den Aposteln kam. Er war wahrscheinlich der Gebildetste unter den Zwölfen und der einzige Judäer in des Meisters apostolischer Familie. Judas besaß keine auffallenden Charakterzüge persönlicher Stärke, wohl aber viele sichtbare Merkmale von Bildung und anerzogenen Sitten. Er war ein guter Denker, aber nicht immer ein wahrhaft ehrlicher Denker. Judas verstand sich selber nicht wirklich; er war nicht wirklich aufrichtig im Umgang mit sich selbst.

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Andreas ernannte Judas zum Schatzmeister der Zwölf, eine Stellung, der er hervorragend gewachsen war, und bis zu der Zeit des Verrats an seinem Mei­ster entledigte er sich seines verantwortungsvollen Amtes ehrlich, zuverlässig und höchst effizient.

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Judas bewunderte keinen besonderen Charakterzug Jesu mehr als die allgemein anziehende und äußerst bezaubernde Persönlichkeit des Meisters. Judas konnte seine judäischen Vorurteile gegenüber seinen galiläischen Gefährten nie überwinden; er beanstandete insgeheim sogar an Jesus so manches. Ihn, zu dem elf der Apostel als dem vollkommenen Menschen aufschauten, dem „ganz Großen und Höchsten unter Zehntausenden“, wagte dieser selbstzufriedene Judäer häufig in seinem Herzen zu kritisieren. Er hatte tatsächlich die Vorstellung, Jesus sei zaghaft und schrecke davor zurück, seine eigene Macht und Autorität geltend zu machen.

139:12.5

Judas war ein guter Geschäftsmann. Es erforderte Takt, Geschick, Geduld und auch eine gewissenhafte Hingabe, um die Geldangelegenheiten eines Ideali­sten wie Jesus zu regeln, ganz zu schweigen von dem Ringen mit den chaotischen Geschäftsmethoden einiger seiner Apostel. Judas war wirklich ein hervorragender Geschäftsführer und ein weit blickender und fähiger Finanzmann. Er war peinlichst genau in der Organisation. Keiner der Zwölf kritisierte Judas jemals. Soweit sie es beurteilen konnten, war Judas Iskariot ein unvergleichlicher Schatzmeister, ein bewanderter Mann, ein treuer (wenn auch manchmal kritischer) Apostel und in jeder Hinsicht ein großer Erfolg. Die Apostel liebten Judas; er war wirklich einer der ihren. Er muss an Jesus geglaubt haben, aber wir bezweifeln, ob er den Meister wirklich von ganzem Herzen liebte. Judas‘ Fall illustriert die Wahrheit des Sprichworts: „Es gibt einen Weg, der einem Menschen richtig erscheint, aber an dessen Ende steht der Tod.“ Es ist durchaus möglich, der friedlichen Täuschung einer angenehmen Anpassung an die Pfade von Sünde und Tod zum Opfer zu fallen. Seid versichert, dass Judas seinem Meister und seinen Apostelkameraden gegenüber in Geldangelegenheiten stets loyal war. Geld hätte nie der Beweggrund zu seinem Verrat am Meister sein können.

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Judas war der einzige Sohn unkluger Eltern. In sehr frühem Alter wurde er verwöhnt und verhätschelt; er war ein verzogenes Kind. Als er heranwuchs, hatte er übertriebene Vorstellungen von seiner eigenen Wichtigkeit. Er war ein schlech­ter Verlierer. Er hatte ungenaue und verzerrte Auffassungen von fairem Verhalten und gab Hassgefühlen und Verdächtigungen nach. Er verstand sich bestens darauf, die Worte und Taten seiner Freunde falsch auszulegen. Sein ganzes Leben lang pflegte er es jenen heimzuzahlen, die ihn seiner Meinung nach schlecht behandelt hatten. Sein Gespür für Werte und Treueverhältnisse war geschädigt.

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Für Jesus war Judas ein Glaubensabenteuer. Von Anfang an sah der Meister sehr genau die Schwäche dieses Apostels und er war sich der Gefahren, ihn als Gefährten anzunehmen, durchaus bewusst. Aber es liegt in der Natur der Söhne Gottes, jedem erschaffenen Wesen eine volle und ebenbürtige Gelegenheit zur Rettung und zum Überleben zu geben. Jesus wollte, dass dies nicht nur die Sterblichen dieser Welt, sondern auch die Zuschauer auf ungezählten anderen Welten erführen: Wenn hinsichtlich Aufrichtigkeit und Rückhaltlosigkeit der Hingabe eines Geschöpfes an das Königreich Zweifel bestehen, entscheiden die Richter über die Menschen ausnahmslos, den zweifelhaften Kandidaten voll zu akzeptieren. Das Tor zum ewigen Leben steht allen weit offen; „wer immer will, mag kommen“; es gibt weder Einschränkungen noch Qualifikationen außer dem Glauben dessen, der kommt.

139:12.8

Das ist genau der Grund, weshalb Jesus es Judas erlaubte, bis ganz ans Ende mit ihm zu gehen, während er alles Mögliche unternahm, um diesen schwachen und verwirrten Apostel zu verwandeln und zu retten. Aber wenn man das Licht nicht aufrichtig empfängt und entsprechend lebt, neigt es dazu, die Seele zu verdunkeln. Judas wuchs intellektuell in Bezug auf Jesu Lehren vom Königreich, aber er kam nicht voran in der Erlangung eines geistigen Charakters wie die übrigen Apostel. Es glückte ihm nicht, befriedigende persönliche Fortschritte in der geistigen Erfahrung zu machen.

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Judas brütete immer mehr über seinen persönlichen Enttäuschungen und wurde schließlich Opfer seines Grolls. Seine Gefühle waren oft verletzt worden, und er wurde ungewöhnlich misstrauisch gegen seine besten Freunde, sogar gegen den Meister. Bald ließ ihn die Idee nicht mehr los, es ihnen heimzuzahlen, alles zu tun, um sich zu rächen, ja sogar seine Gefährten und seinen Meister zu verraten.

139:12.10

Aber diese bösen und gefährlichen Gedanken nahmen erst an dem Tage endgültige Gestalt an, an dem eine dankbare Frau zu Füßen Jesu ein kostbares Weihrauchgefäß zerbrach. Judas empfand das als Verschwendung, und als Jesus seinen lauten Protest in Hörweite aller vehement missbilligte, war das zu viel. Dieses Ereignis bewirkte die Mobilisierung all dessen, was sich während eines ganzen Lebens an Hass, Verletztheit, Bosheit, Vorurteilen, Eifersucht und Groll aufgestaut hatte, und er entschloss sich, mit irgendjemandem abzurechnen; aber er konzentrierte nur deshalb die ganze Schlechtigkeit seiner Natur auf die einzige unschuldige Person in dem ganzen schäbigen Drama seines unglückseligen Lebens, weil Jesus zufällig der Hauptakteur in der Episode war, die seinen Übergang vom progressiven Königreich des Lichts zum selbstgewählten Reich der Finsternis kennzeichnete.

139:12.11

Der Meister hatte Judas viele Male sowohl vertraulich als auch öffentlich gewarnt, dass er fehlginge, aber göttliche Warnungen sind im Umgang mit verbitterter menschlicher Natur gewöhnlich nutzlos. Jesus unternahm alles erdenklich Mögliche, was sich mit der sittlichen Freiheit des Menschen vereinbaren lässt, um Judas davon abzuhalten, den falschen Weg zu wählen. Die große Prüfung kam schließlich. Der Sohn des Grolls scheiterte; er gab den verbitterten und schmutzigen Forderungen eines hochmütigen und rachedurstigen Sinnes übertriebener Selbstüberhebung nach und stürzte rasch in Verwirrung, Verzweiflung und Verderbnis.

139:12.12

Judas machte sich nun an die niederträchtige und beschämende Intrige, seinen Herrn und Meister zu verraten, und setzte den ruchlosen Plan rasch in die Tat um. Während der Ausführung seiner dem Zorn entsprungenen Pläne verräterischen Treuebruchs überkamen ihn von Zeit zu Zeit Reue und Scham, und in diesen lichten Augenblicken verfiel er zur Selbstverteidigung auf den feigen Gedanken, Jesus würde vielleicht seine Macht ausüben und sich im letzten Moment selber retten.

139:12.13

Als das schmutzige und sündige Geschäft ausgeführt war, stürmte dieser abtrünnige Sterbliche, der seinen Freund leichthin für dreißig Silberstücke verkauft hatte, um seinen über lange Zeit genährten Rachedurst zu stillen, hinaus und fügte dem Drama der Flucht vor den Realitäten der sterblichen Existenz den letzten Akt hinzu – er beging Selbstmord.

139:12.14

Die elf Apostel waren entsetzt und wie betäubt. Jesus sah nur mit Mitleid auf den Verräter. Die Welten haben es schwer gefunden, Judas zu vergeben, und in einem ganzen, unermesslichen Universum vermeidet man es, seinen Namen auszusprechen.


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