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Johannes der Täufer

11. Johannes im Gefängnis

135:11.1

Johannes machte im Gefängnis eine einsame und recht bittere Erfahrung. Nur wenigen seiner Anhänger wurde gestattet, ihn zu besuchen. Er sehnte sich danach, Jesus zu sehen, aber er musste sich damit begnügen, durch diejenigen seiner Anhänger, die an den Menschensohn glaubten, über dessen Werk unterrichtet zu werden. Oft geriet er in Versuchung, an Jesus und dessen göttlicher Sendung zu zweifeln. Warum unternahm Jesus, wenn er wirklich der Messias war, nichts, um ihn aus seiner unerträglichen Kerkerhaft zu befreien? Mehr als anderthalb Jahre lang siechte dieser rauhe, an Gottes freie Natur gewöhnte Mann in dem abscheulichen Kerker dahin. Diese ganze Erfahrung war für Johannes in der Tat eine große Prüfung seines Glaubens an Jesus und seiner Treue zu ihm. Tatsächlich war sie eine schwere Prüfung sogar seines Glaubens an Gott. Viele Male war er versucht, selbst die Echtheit seiner eigenen Sendung und Erfahrung zu bezweifeln.

135:11.2

Nachdem er schon einige Monate im Gefängnis zugebracht hatte, kam eine Gruppe seiner Jünger zu ihm, die, nachdem sie ihm über Jesu öffentliche Tätigkeit berichtet hatten, zu ihm sagten: „Du siehst also, Lehrer, dass es ihm, der bei dir am oberen Jordan war, wohl ergeht und dass er alle empfängt, die zu ihm kommen. Er speist sogar mit Zöllnern und Sündern. Du bekanntest dich mutig zu ihm, und doch unternimmt er nichts, um deine Befreiung zu erwirken.“ Aber Johannes antwortete seinen Freunden: „Dieser Mann kann nichts tun, was ihm nicht von seinem Vater im Himmel eingegeben worden wäre. Ihr erinnert euch gut daran, dass ich sagte: ‚Ich bin nicht der Messias, aber einer, der ihm voraus gesandt wurde, um ihm den Weg zu bereiten.‘ Und das habe ich getan. Derjenige, dem die Braut gehört, ist der Bräutigam, aber der Freund des Bräutigams, der in der Nähe ist und ihn hört, empfindet große Freude, weil er die Stimme des Bräutigams hört. Deshalb ist meine Freude jetzt vollkommen. Er muss größer werden, ich aber kleiner. Ich bin von dieser Erde und habe meine Botschaft verkündet. Jesus von Nazareth ist vom Himmel auf die Erde herabgekommen und steht über uns allen. Der Menschensohn ist von Gott herabgestiegen, und er wird euch Gottes Worte verkünden. Denn der Vater im Himmel bemisst den Geist nicht, den er seinem eigenen Sohn gibt. Der Vater liebt seinen Sohn und wird bald alle Dinge in dessen Hände legen. Derjenige, der an den Sohn glaubt, hat das ewige Leben. Und diese Worte, die ich spreche, sind wahr und bleibend.“

135:11.3

Diese Erklärung des Johannes übte auf die staunenden Jünger eine solche Wirkung aus, dass sie schweigend weggingen. Auch Johannes war sehr erregt, denn er war sich bewusst, eine Prophetie ausgesprochen zu haben. Nie wieder zog er Sendung und Göttlichkeit Jesu völlig in Zweifel. Aber es war eine herbe Enttäuschung für ihn, dass Jesus ihm nichts ausrichten ließ, ihn nicht besuchen kam und keine seiner großen Kräfte einsetzte, um ihn aus der Gefangenschaft zu befreien. Jesus jedoch wusste das alles. Er empfand große Liebe für Johannes; aber da er sich seiner göttlichen Natur jetzt ganz bewusst war und volle Kenntnis von den großen Dingen hatte, die Johannes beim Verlassen dieser Erde erwarteten, und da er auch wusste, dass die Arbeit des Johannes auf Erden abgeschlossen war, zwang er sich, nicht in den natürlichen Ablauf des Lebensweges des großen Prediger-Propheten einzugreifen.

135:11.4

Diese lange Zeit der Ungewissheit im Gefängnis war menschlich unerträglich. Nur wenige Tage vor seinem Tod sandte Johannes wiederum zwei Vertrauens­männer zu Jesus mit der Frage: „Ist mein Werk getan? Warum schmachte ich im Gefängnis? Bist du wirklich der Messias, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Als die beiden Jünger Jesus diese Botschaft ausrichteten, antwortete der Menschensohn: „Kehrt zu Johannes zurück und sagt ihm, dass ich ihn nicht vergessen habe, aber dass er auch das noch erdulden müsse; denn es ist an uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Sagt Johannes, was ihr gesehen und gehört habt – dass den Armen die frohe Botschaft verkündet wird – und richtet schließlich dem geliebten Herold meiner irdischen Sendung aus, dass er im kommenden Zeitalter reiche Segnungen erfahren wird, wenn er bei keiner Gelegenheit an mir zweifelt, noch über mich strauchelt.“ Und das war die letzte Mitteilung, die Johannes von Jesus erhielt. Diese Botschaft brachte ihm großen Trost und trug viel dazu bei, seinen Glauben zu festigen und ihn auf sein tragisches Lebensende vorzubereiten, das dicht auf dieses denkwürdige Geschehen folgte.


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