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Die beiden entscheidenden Jahre

5. Das finanzielle Ringen

126:5.1

Allmählich kehrten Jesus und seine Familie zu dem einfachen Leben ihrer früheren Jahre zurück. Ihre Kleidung und sogar ihre Nahrung wurden einfacher. Sie hatten reichlich Milch, Butter und Käse und ernteten im Wechsel der Jahreszeiten die Früchte ihres Gartens, aber jeder kommende Monat nötigte sie zu noch größerer Einschränkung. Ihr Frühstück war sehr genügsam; sie sparten die besten Speisen für das Abendessen auf. Dessen ungeachtet zog unter den Juden der Mangel an materiellen Gütern keine gesellschaftliche Schlechterstellung nach sich.

126:5.2

Schon hatte dieser junge Mensch ein beinahe vollkommenes Verständnis der Lebensweise der Menschen seiner Zeit erworben. Und wie gut er das Leben im Hause, auf dem Feld und in der Werkstatt kannte, zeigt sich in seinen späteren Lehren, die ein so beredter Ausdruck seiner innigen Vertrautheit mit allen Aspekten menschlicher Erfahrung sind.

126:5.3

Der Chazan von Nazareth hielt nach wie vor an seinem Glauben fest, Jesus werde einmal ein großer Lehrer, möglicherweise der Nachfolger des berühmten Gamaliel in Jerusalem.

126:5.4

Offenbar waren alle Pläne Jesu für seinen Werdegang durchkreuzt worden. So wie die Dinge sich jetzt entwickelten, sah die Zukunft nicht rosig aus. Aber er schwankte nicht und ließ sich nicht entmutigen. Er lebte weiter, Tag für Tag, löste die jeweils anstehende Aufgabe gut und nahm gewissenhaft seine unmittelbare Verantwortung in der jeweiligen Lebenslage wahr. Das Leben Jesu ist der immerwährende Trost aller enttäuschten Idealisten.

126:5.5

Der Lohn eines gewöhnlichen, im Tagelohn arbeitenden Zimmermanns ging langsam zurück. Am Ende dieses Jahres vermochte Jesus, obwohl von früh bis spät an der Arbeit, nur etwa fünfundzwanzig heutige Cents pro Tag zu verdienen. Im nächsten Jahr hatten sie Mühe, die Bürgersteuer zu bezahlen, ganz zu schweigen von den Synagogenabgaben und der Tempelsteuer von einem halben Schekel. Im Laufe dieses Jahres versuchte der Steuereinzieher, zusätzliche Einnahmen aus Jesus herauszupressen und drohte sogar, ihm die Harfe wegzunehmen.

126:5.6

Weil er befürchtete, sein Exemplar der griechischen Schriften könnte von den Steuereinziehern entdeckt und beschlagnahmt werden, schenkte Jesus es an seinem fünfzehnten Geburtstag mit erreichter Reife der Bibliothek der Synagoge von Nazareth als Gabe an den Herrn.

126:5.7

Ein harter Schlag traf den fünfzehnjährigen Jesus, als er nach Sepphoris hinüberging, um einen Schiedsspruch des Herodes entgegenzunehmen. Es ging dabei um die Berufung, die bei diesem in der Auseinandersetzung um den Geldbetrag eingelegt worden war, den man Joseph zum Zeitpunkt seines Unfalltodes schuldete. Jesus und Maria hatten gehofft, eine beträchtliche Summe Geldes zu erhalten; der Schatzmeister in Sepphoris hatte ihnen aber nur einen schäbigen Betrag angeboten. Josephs Brüder hatten sich mit einer Berufung an Herodes selbst gewendet, und nun stand Jesus im Palast und hörte Herodes verfügen, dass seinem Vater im Augenblick seines Todes nichts zugestanden hätte. Wegen einer so ungerechten Entscheidung traute Jesus Herodes Antipas nie wieder. Es ist nicht erstaunlich, dass er einst auf ihn als „jenen Fuchs“ anspielte.

126:5.8

Die harte Zimmermannsarbeit an der Werkbank nahm Jesus in diesem und in den folgenden Jahren die Möglichkeit, sich unter die Karawanenreisenden zu mischen. Der Bedarfsladen der Familie war schon von seinem Onkel übernommen worden, und Jesus arbeitete jetzt ganz und gar zu Hause in der Werkstatt, wo er stets nahe war, Maria mit der Familie zu helfen. Um diese Zeit begann er damit, Jakob in die Karawanserei zu schicken, um Informationen über das Gesche­hen in der Welt zu erhalten. Auf diese Weise versuchte er, sich über die Tages­neu­heiten auf dem Laufenden zu halten.

126:5.9

Während er zum Mann heranwuchs, machte er all jene Konflikte und Wirr­nisse durch, welche die meisten jungen Leute vor und nach ihm durchgemacht haben. Aber die harte Erfahrung, seine Familie zu unterhalten, schützte ihn sicher davor, zu viel Zeit auf müßiges Meditieren zu verwenden oder mystischen Neigungen nachzugeben.

126:5.10

In diesem Jahr mietete Jesus ein ansehnliches, gleich im Norden ihres Hauses gelegenes Stück Land, das als Garten für die Familienmitglieder aufgeteilt wurde. Jedes der älteren Kinder hatte seinen eigenen Garten, und sie traten untereinander bei ihren landwirtschaftlichen Bemühungen in lebhaften Wettstreit. Zur Zeit des Gemüseanbaus verbrachte ihr ältester Bruder jeden Tag einige Zeit mit ihnen im Garten. Während Jesus mit seinen jüngeren Geschwistern im Garten arbeitete, hegte er oft den Wunsch, sie könnten alle auf einem Bauernhof draußen auf dem Lande wohnen und dort ein freies und ungebundenes Leben führen. Aber sie konnten sich mit dem Gedanken, auf dem Lande aufzuwachsen, nicht anfreunden; und Jesus, der sowohl ein durch und durch praktischer Junge, als auch ein Idealist war, packte sein Problem so, wie er es vorfand, mit Intelligenz und Tatkraft an, und tat alles in seiner Macht Stehende, um sich und seine Familie den Realitäten ihrer Situation anzupassen und ihre Lage auf die größtmögliche Befriedigung ihrer individuellen und kollektiven Wünsche hin auszurichten.

126:5.11

Einmal hegte Jesus die schwache Hoffnung, genügend Mittel zusammenzubringen, um den Erwerb eines kleinen Bauernhofs ins Auge zu fassen, vorausgesetzt, sie könnten sich die beträchtliche Summe verschaffen, die man seinem Vater für die am Palast des Herodes ausgeführten Arbeiten schuldete. Er hatte wirklich allen Ernstes geplant, mit seiner Familie aufs Land zu ziehen. Aber als Herodes sich weigerte, ihnen auch nur den kleinsten Teil der Beträge zu bezahlen, die man Joseph schuldete, gaben sie den Wunsch nach einem eigenen Haus auf dem Lande auf. Unter den gegebenen Umständen brachten sie es trotzdem fertig, sich vieler Erfahrungen des Bauernlebens zu erfreuen, da sie nun zusätzlich zu den Tauben noch drei Kühe, vier Schafe, eine Schar Hühner, einen Esel und einen Hund besaßen. Sogar die ganz Kleinen hatten ihre regelmäßigen Pflichten innerhalb des wohlgeordneten Organisationsplans, der charakteristisch für das häusliche Leben dieser nazarenischen Familie war.

126:5.12

Mit Beendigung seines fünfzehnten Jahres vollendete Jesus auch die Durch­querung jenes gefährlichen und schwierigen Abschnittes der menschlichen Existenz, jener Übergangszeit zwischen den eher unbeschwerten Jahren der Kindheit und dem Bewusstsein des nahenden Mannesalters mit seinen wachsen­den Verantwortlichkeiten und Gelegenheiten, immer mehr Erfah­rungen zum Erwerb eines edlen Charakters zu sammeln. Die Wachstums­phase für Verstand und Körper war abgeschlossen, und nun begann der wirkliche Lebensweg dieses jungen Mannes aus Nazareth.


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