Von seinem fünfzehnten Geburtstag an stand es Jesus offiziell zu, am Sabbat auf der Synagogenkanzel zu stehen. Viele Male zuvor hatte man ihn gebeten, die Schriften zu lesen, wenn gerade kein Redner anwesend war, aber nun war der Tag gekommen, da er laut Gesetz den Gottesdienst leiten durfte. Deshalb traf der Chazan die nötigen Anordnungen, damit Jesus am ersten Sabbat nach seinem fünfzehnten Geburtstag den Morgendienst in der Synagoge übernehmen konnte. Und nachdem sich alle Gläubigen von Nazareth versammelt hatten, stand der junge Mann, der seine Auswahl unter den Schriften getroffen hatte, auf und begann zu lesen:
„Der Geist Gottes, des Herrn, ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Sanftmütigen eine frohe Botschaft bringe und alle heile, die gebrochenen Herzens sind; damit ich den Gefangenen die Freiheit verkündige und die in geistiger Gefangenschaft sind befreie; damit ich ein Gnadenjahr des Herrn und den Tag der Abrechnung unseres Gottes ausrufe; damit ich alle Trauernden tröste und ihnen Schönheit statt Asche bringe, Freudenöl statt Wehklagen und ein Preislied anstelle des Trauergeistes. Und man wird sie die Bäume der Rechtschaffenheit nennen, die Pflanzung des Herrn, durch die er verherrlicht werden möge.
Sucht das Gute, nicht das Böse, damit ihr lebet, und der Herr, der Gott der Heerscharen, wird mit euch sein. Hasst das Böse und liebt das Gute, und verschafft dem Recht vor Gericht Geltung! Vielleicht wird Gott, der Herr, den Nachkommen Josephs gnädig sein.
Wascht euch, reinigt euch! Lasst ab von eurem üblen Treiben! Hört auf, vor meinen Augen Böses zu tun! Lernt, Gutes zu tun! Sorgt für Gerechtigkeit! Helft den Unterdrückten! Verschafft den Vaterlosen Recht und tretet für die Witwen ein!
Womit soll ich vor den Herrn treten und mich verneigen vor dem Gott der ganzen Erde? Soll ich mit Brandopfern vor ihn treten, mit einjährigen Kälbern? Hat der Herr Gefallen an Tausenden von Widdern, an Zehntausenden von Schafen und an Strömen von Öl? Soll ich meinen Erstgeborenen hingeben für meine Vergehen, die Frucht meines Leibes für die Sünde meiner Seele? Nein! Denn der Herr hat uns, oh Menschen, gezeigt, was gut ist. Was verlangt der Herr anderes von euch, als Recht zu tun, die Barmherzigkeit zu lieben und in Demut den Weg mit eurem Gott zu gehen?
Mit wem wollt ihr Gott vergleichen, der über dem Erdkreis thront? Blickt auf und seht, wer all diese Welten erschaffen hat, wer ihre Heerscharen in großer Zahl hervorbringt und sie alle bei ihrem Namen nennt! Er tut all diese Dinge durch seine große Macht, und da seine Kraft gewaltig ist, versagt auch nicht einer. Er gibt den Schwachen Kraft und den Müden neue Energie. Fürchtet euch nicht, denn ich bin bei euch; bleibt unbeirrt, denn ich bin eurer Gott. Ich werde euch stärken und euch helfen. Ja, mit der rechten Hand meiner Gerechtigkeit werde ich euch aufrechthalten, denn ich bin der Herr, euer Gott. Und ich werde eure rechte Hand halten und euch sagen: fürchtet euch nicht, denn ich werde euch helfen.
Und du bist mein Zeuge, spricht der Herr, und mein Diener, den ich auserwählt habe, damit alle mich kennen und mir glauben und begreifen, dass ich der Ewige bin. Ich, ja ich bin der Herr, und außer mir gibt es keinen Retter.“
Und nachdem er gelesen hatte, setzte er sich, und die Leute gingen nach Hause und dachten über die Worte nach, die er ihnen so freundlich vorgelesen hatte: Nie hatten seine Mitbürger ihn so wunderbar feierlich gesehen; nie hatte sich seine Stimme so ernst und aufrichtig angehört; nie war er ihnen so männlich und entschlossen, so voller Autorität, erschienen.
An diesem Sabbatnachmittag erklomm Jesus mit Jakobus die Anhöhe von Nazareth, und bei ihrer Rückkehr schrieb er mit Kohle die Zehn Gebote in Griechisch auf zwei glatte Tafeln. Später färbte und schmückte Martha diese Tafeln, und lange Zeit hingen sie an der Wand über Jakobus‘ kleiner Werkbank.