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Die spätere Kindheit Jesu

2. Das zehnte Jahr (4 n. Chr.)

124:2.1

Am 5. Juli, dem ersten Sabbat des Monats, während er mit seinem Vater durch die Gegend streifte, drückte Jesus zum ersten Mal Gefühle und Ideen aus, die darauf hinwiesen, dass er sich der ungewöhnlichen Natur seiner Lebens­auf­gabe bewusst wurde. Joseph hörte den bedeutsamen Worten seines Sohnes aufmerksam zu, sagte aber nur wenig dazu und gab selber keine Auskunft. Am nächsten Tag hatte Jesus mit seiner Mutter ein ähnliches, aber längeres Gespräch. Maria hörte den Erklärungen des Jungen in gleicher Weise zu, aber auch sie gab keinerlei Auskunft. Es dauerte fast zwei Jahre, bevor Jesus erneut mit seinen Eltern über die zunehmende Offenbarung im eigenen Bewusstsein bezüglich der Natur seiner Persönlichkeit und der Art seiner Sendung auf Erden sprach.

124:2.2

Im August trat er in die Schule für Fortgeschrittene der Synagoge ein. Hier sorgte er ständig für Aufregung durch die Fragen, die er hartnäckig stellte. In wachsendem Maße sorgte er in ganz Nazareth für mehr oder weniger Unruhe. Seine Eltern waren nicht willens, ihm diese beunruhigenden Fragen zu verbieten, und sein Hauptlehrer war über die Neugier, das Verständnis und den Wissenshunger des Jungen höchst verblüfft.

124:2.3

Die Gefährten Jesu sahen in seinem Verhalten nichts Übernatürliches. Er war in fast jeder Hinsicht genau wie sie. Sein Interesse am Lernen war etwas überdurchschnittlich, aber nicht völlig ungewöhnlich. Tatsächlich stellte er mehr Fragen in der Schule als andere aus seiner Klasse.

124:2.4

Sein ungewöhnlichster und auffallendster Charakterzug war vielleicht, dass er es ablehnte, für seine Rechte zu kämpfen. Da er doch ein für sein Alter so gut entwickelter Knabe war, kam es seinen Spielgefährten merkwürdig vor, dass er eine Abneigung hatte, sich selber zu verteidigen, sogar wenn er Unrecht erlitt oder persönlich misshandelt wurde. Es fügte sich, dass er dank seiner Freundschaft mit Jakob, einem um ein Jahr älteren Nachbarsjungen, wegen dieser Eigenheit nicht viel zu leiden hatte. Dieser war der Sohn des Steinmetzen, eines Geschäftspartners Josephs. Jakob war ein großer Bewunderer von Jesus und machte es sich zur Aufgabe, darüber zu wachen, dass niemand es wagte, Jesu Abneigung gegen körperlichen Kampf auszunützen. Mehrere Male griffen ältere und rohe Jugendliche Jesus an, sich auf seine bekannte Fügsamkeit verlassend, erlitten aber jedes Mal rasche und sichere Vergeltung durch die Hände seines selbsternannten Beschützers und immer bereiten Verteidigers Jakob, des Steinmetzensohnes.

124:2.5

Jesus war der allgemein anerkannte Anführer derjenigen Jungen von Nazareth, die für die höheren Ideale ihrer Zeit und Generation eintraten. Seine jungen Gefährten liebten ihn wirklich, nicht nur, weil er Gerechtigkeitsgefühl besaß, sondern auch, weil ihm eine seltene und verständnisvolle Art von Sympathie zu eigen war, die Liebe ahnen ließ und an eine verhaltene Form von Mitgefühl grenzte.

124:2.6

In diesem Jahr begann er, eine offenkundige Vorliebe für die Gesellschaft älterer Personen zu zeigen. Er liebte es, sich mit Älteren über kulturelle, erzieherische, soziale, wirtschaftliche, politische und religiöse Dinge zu unterhalten, und die Tiefe seiner Gedankengänge und die Schärfe seiner Beobachtung bezauberten seine erwachsenen Gesprächspartner so sehr, dass sie ihn nur zu gern für ein Gespräch aufsuchten. Bis zu der Zeit, da er für den Unterhalt der Familie verantwortlich wurde, bemühten sich seine Eltern stets, ihn dahingehend zu beeinflussen, anstelle der Gesellschaft älterer und kenntnisreicherer Leute, für die er eine solche Vorliebe bekundete, diejenige von Gleichaltrigen oder nur wenig Älteren zu suchen.

124:2.7

Spät in diesem Jahr war er zwei Monate lang mit seinem Onkel auf Fisch­fang auf dem See Genezareth und war dabei sehr erfolgreich. Noch vor Errei­chen des Mannesalters war er ein erfahrener Fischer geworden.

124:2.8

Er entwickelte sich körperlich weiter; in der Schule war er ein fortgeschrittener und privilegierter Schüler; zu Hause kam er mit seinen jüngeren Brüdern und Schwestern recht gut aus, wobei er den Vorteil besaß, dreieinhalb Jahre älter als das älteste der anderen Kinder zu sein. Man war ihm in Nazareth freund­lich gesinnt mit Ausnahme der Eltern einiger der schwerfälligeren Kinder, die ihm oft vorlautes Wesen und Mangel an angemessener Beschei­denheit und der Jugend geziemender Zurückhaltung vorwarfen. Er zeigte eine wachsende Neigung, die Spiele seiner jungen Gefährten in ernstere und überlegtere Bahnen zu lenken. Er war ein geborener Lehrer und konnte ein entsprechendes Verhalten einfach nicht unterdrücken, auch wenn er vermeintlich ganz beim Spiel war.

124:2.9

Joseph begann früh damit, Jesus über die verschiedenen Möglichkeiten zu in­for­mieren, wie man seinen Lebensunterhalt verdienen könne, wobei er ihm die Vorteile der Landwirtschaft gegenüber Gewerbe und Handel erklärte. Galiläa war eine schönere und wohlhabendere Gegend als Judäa, und die Lebens­kosten betrugen etwa ein Viertel von denen Jerusalems und Judäas. Es war eine Provinz mit Bauerndörfern und blühenden, gewerbetreibenden Orten und zählte mehr als zweihundert Städte mit über fünftausend und dreißig mit über fünfzehntausend Einwohnern.

124:2.10

Auf seinem ersten Ausflug mit seinem Vater, den sie unternahmen, um das Fischereigewerbe am See Genezareth zu beobachten, hatte sich Jesus fast entschlossen, Fischer zu werden; aber seine enge Beziehung zum Beruf seines Vaters beeinflusste ihn später, Zimmermann zu werden, und noch später führte ihn das Zusammenwirken verschiedener Einflüsse zu der endgültigen Wahl, ein religiöser Lehrer einer neuen Art zu werden.


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