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Jesu Geburt und Kindheit

5. Jesu irdische Eltern

122:5.1

Joseph war ein Mann von sanftem Umgang, äußerst gewissenhaft und in jeder Weise den religiösen Sitten und Gebräuchen seines Volkes treu ergeben. Er sprach wenig, aber dachte viel. Die missliche Lage des jüdischen Volkes erfüllte ihn mit großer Trauer. Als Jugendlicher zwischen seinen acht Brüdern und Schwestern war er heiterer gewesen, aber in den ersten Ehejahren (während Jesu Kindheit) war er periodisch leichter geistiger Entmutigung unterworfen. Diese Stimmungsäußerungen besserten sich erheblich kurz vor seinem frühzeitigen Tod und nachdem die wirtschaftliche Lage seiner Familie sich durch seinen Aufstieg vom Rang eines Zimmermanns zur Rolle eines wohlhabenden Bauunternehmers verbessert hatte.

122:5.2

Marias Temperament war demjenigen ihres Ehemanns ganz und gar entgegengesetzt. Sie war im Allgemeinen fröhlich, war nur sehr selten niedergeschlagen und besaß ein immer sonniges Wesen. Maria gab ihren Gefühlen gern frei und häufig Ausdruck, und niemand hatte sie bis zum plötzlichen Tod Josephs je traurig gesehen. Kaum hatte sie sich von diesem Schock erholt, als die Ängste und Fragen im Zusammenhang mit dem außerordentlichen Werdegang ihres ältesten Sohnes, der sich vor ihren erstaunten Augen so schnell entwickelte, sie bedrängten. Aber während dieser ganzen ungewöhnlichen Erfahrung war Maria gefasst, mutig und recht besonnen im Umgang mit ihrem seltsamen und wenig verstandenen erstgeborenen Sohn und seinen überlebenden Brüdern und Schwestern.

122:5.3

Seinem Vater verdankte Jesus viel von seiner ungewöhnlichen Sanftheit und seinem wunderbar mitfühlenden Verstehen der menschlichen Natur. Von seiner Mutter erbte er seine Gabe als großer Lehrer und seine gewaltige Fähigkeit zu gerechter Empörung. Als Erwachsener war Jesus in seinen gefühlsmäßigen Reaktionen auf seine Umwelt zeitweilig wie sein Vater, nachdenklich und andächtig, manchmal von offensichtlicher Traurigkeit gekennzeichnet; aber häufiger schritt er in der zuversichtlichen und entschiedenen Art seiner Mutter voran. Alles in allem schien Marias Temperament im Werdegang des göttlichen Sohnes mehr und mehr die Oberhand zu gewinnen, während er aufwuchs und die bedeutsamen Schritte in sein Erwachsenenleben tat. In gewissen Eigenschaften war Jesus eine Mischung der Charakterzüge beider Elternteile; in anderer Hinsicht zeigte er die Züge des einen im Kontrast zu denen des anderen.

122:5.4

Von Joseph erhielt Jesus seine strenge Schulung in den Gebräuchen des jüdischen Zeremoniells und seine außergewöhnliche Vertrautheit mit den hebräischen Schriften; Maria verdankte er eine weniger enge Auffassung vom religiösen Leben und eine großzügigere Vorstellung von persönlicher geistiger Freiheit.

122:5.5

Die Familien beider, sowohl Josephs als auch Marias, waren für ihre Zeit sehr gebildet. Die Bildung Josephs und Marias lag weit über dem Durchschnitt jener Tage und ihrer gesellschaftlichen Stellung. Er war ein Denker; sie war eine Planerin, verstand es, sich mit Leichtigkeit anzupassen und war praktisch in der unmittelbaren Ausführung. Joseph hatte schwarze Augen und braune Haare; Maria hatte braune Augen und war fast blond.

122:5.6

Hätte Joseph gelebt, so wäre er zweifellos zum festen Glauben an die göttliche Sendung seines ältesten Sohnes gelangt. Maria schwankte zwischen Glauben und Zweifeln und stand dabei stark unter dem Einfluss der von ihren übrigen Kindern und von ihren Freunden und Verwandten vertretenen Ansichten, aber immer wurde sie in ihrer endgültigen Haltung bestärkt durch die Erinnerung an die Erscheinung Gabriels vor ihr unmittelbar nach der Empfängnis des Kindes.

122:5.7

Maria war eine geschickte Weberin und besaß eine überdurchschnittliche Fertigkeit in den meisten Haushaltstätigkeiten jener Tage. Sie war eine gute Haushälterin und eine hervorragende Hausfrau. Joseph und Maria waren beide gute Lehrer, und sie wachten darüber, dass ihre Kinder im Wissen jener Zeit gut bewandert waren.

122:5.8

Als junger Mann arbeitete Joseph für Marias Vater an einem Anbau für dessen Haus, und so geschah es, als Maria während eines Mittagessens Joseph eine Schale mit Wasser brachte, dass die eigentliche Zeit des Werbens für das Paar begann, das bestimmt war, Jesu Eltern zu werden.

122:5.9

Joseph und Maria wurden gemäß jüdischem Brauch in Marias Haus in der Umgebung von Nazareth verheiratet, als Joseph einundzwanzig Jahre alt war. Diese Heirat stand am Ende einer normalen, fast zweijährigen Zeit des Werbens. Kurz darauf bezogen sie ihr neues Heim in Nazareth, das Joseph mit Hilfe zweier seiner Brüder gebaut hatte. Das Haus lag dicht am Fuße des nahen Hügels, der sich so reizvoll über der umgebenden Landschaft erhob. In diesem eigens dazu vorbereiteten Haus gedachten die jungen und erwartungsvollen Eltern, das Kind der Vorsehung willkommen zu heißen, nicht ahnend, dass dieses für ein ganzes Universum hochbedeutende Ereignis während ihrer Abwesenheit von zu Hause in Betlehem in Judäa stattfinden würde.

122:5.10

Der größere Teil von Josephs Familie schloss sich Jesu Lehren an, aber nur sehr wenige von Marias Anhang glaubten an ihn, bevor er aus dieser Welt schied. Joseph neigte mehr dem geistigen Konzept vom erwarteten Messias zu, aber Maria und ihre Familie, besonders ihr Vater, hielten sich an die Idee vom Messias als einem zeitlichen Befreier und politischen Herrscher. Marias Vorfahren hatten sich in vorderster Reihe den Aktivitäten der Makkabäer angeschlossen, die damals erst sehr kurze Zeit zurücklagen.

122:5.11

Joseph hielt sich entschieden an die östlichen oder babylonischen Sicht­weisen der jüdischen Religion, während Maria stark der freieren und großzügigeren westlichen oder hellenistischen Auslegung des Gesetzes und der Propheten zuneigte.


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