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Religion in menschlicher Erfahrung

2. Geistiges Wachstum

100:2.1

Die geistige Entwicklung hängt erstens von der Aufrechterhaltung einer lebendigen geistigen Verbindung mit wahren geistigen Kräften ab, und zweitens vom steten Hervorbringen geistiger Früchte: von der dienenden Weitergabe dessen an seine Mitmenschen, was man von seinen geistigen Wohltätern empfangen hat. Geistiger Fortschritt gründet auf dem intellektuellen Feststellen der eigenen geistigen Armut sowie auf dem Bewusstsein, nach Vollkommenheit zu hungern, auf dem Wunsch, Gott zu kennen und ihm zu gleichen, und auf der rückhaltlosen Entschlossenheit, den Willen des Vaters im Himmel zu tun.

100:2.2

Geistiges Wachstum ist erst einmal ein Erwachen zu Bedürfnissen, dann ein Erkennen von Bedeutungen und schließlich ein Entdecken von Werten. Der Beweis wahrer geistiger Entwicklung besteht im Erscheinen einer menschlichen Persönlichkeit, deren Motivation die Liebe, deren Triebkraft selbstloser Dienst ist und die beherrscht wird von einer aus ganzem Herzen kommenden Verehrung der Vollkommenheitsideale der Göttlichkeit. Und diese ganze Erfahrung bildet die Realität der Religion im Gegensatz zu bloß theologischem Fürwahrhalten.

100:2.3

Religion kann bis zu jener Erfahrungsebene vorstoßen, wo sie zu einer erleuchteten und weisen Methode geistiger Reaktion auf das Universum wird. Solch eine verherrlichte Religion kann auf drei Ebenen der menschlichen Persönlichkeit wirksam sein: auf der intellektuellen, der morontiellen und der geistigen; also auf den Verstand, in der sich entwickelnden Seele und mit dem innewohnenden Geist wirken.

100:2.4

Die Geistigkeit wird zugleich zu einem Gradmesser für jemandes Nähe zu Gott und zum Maß seiner Nützlichkeit für seine Mitmenschen. Geistigkeit steigert die Fähigkeit, die Schönheit in den Dingen aufzuspüren, die Wahrheit in den Bedeutungen zu erkennen und die Güte in den Werten zu entdecken. Die geistige Entwicklung wird durch die Fähigkeit dazu bestimmt und steht in direktem Verhältnis zur Reinigung der Liebe von ihren egoistischen Elementen.

100:2.5

Ein gegebener geistiger Status ist das Maß für die Annäherung an die Gottheit, für die Einstimmung auf den Justierer. Das Erreichen letzter Vergeistigung ist gleichbedeutend mit dem Erlangen eines Höchstmaßes an Realität, mit maximaler Gottähnlichkeit. Das ewige Leben ist die endlose Suche nach unendlichen Werten.

100:2.6

Das Ziel menschlicher Selbstverwirklichung sollte geistig, nicht materiell sein. Die einzigen erstrebenswerten Realitäten sind göttlich, geistig und ewig. Der sterbliche Mensch hat ein Anrecht auf den Genuss physischer Freuden und die Befriedigung menschlicher Liebe; er zieht Nutzen aus seiner Treue zu menschlichen Vereinigungen und zeitlichen Institutionen; aber das sind nicht die ewigen Fundamente, auf denen sich die unsterbliche Persönlichkeit aufbauen lässt, welche den Raum überschreiten, die Zeit besiegen und die ewige Bestimmung erreichen muss – göttliche Vollkommenheit und Dienen als Finalist.

100:2.7

Jesus beschrieb die tiefe Sicherheit eines Gott kennenden Sterblichen, als er sagte: „Was kümmert es den, der Gott kennt und an das Königreich glaubt, wenn alle irdischen Dinge in Trümmer gehen?“ Zeitliche Sicherheiten sind verwundbar, aber geistige Sicherheiten sind unbezwingbar. Wenn die Wogen menschlicher Not, Selbstsucht, Grausamkeit, Todfeindschaft, Bosheit und Eifersucht über der menschlichen Seele zusammenschlagen, könnt ihr in der Sicherheit ruhen, dass es eine innere Bastion, die Zitadelle des Geistes, gibt, die absolut uneinnehmbar ist; wenigstens trifft das für jedes menschliche Wesen zu, das seine Seele der Hut des ihm innewohnenden Geistes des ewigen Gottes anvertraut hat.

100:2.8

Nach einer derartigen geistigen Vollbringung, die durch allmähliches Wachstum oder durch eine besondere Krise herbeigeführt worden ist, geschieht eine Neuorientierung der Persönlichkeit und entwickelt sich ein neuer Wertemaßstab. Solche aus dem Geiste geborene Wesen sind in ihrem Leben derart neu motiviert, dass sie ruhig zusehen können, wie ihre teuersten Ambi­tionen sterben und ihre innigsten Hoffnungen zusammenbrechen; sie wissen mit Sicherheit, dass solche Katastrophen nur in eine neue Richtung weisende Erschütterungen sind, die ihre zeitlichen Schöpfungen vernichten, bevor mit dem Bau edlerer und dauerhafterer Realitäten auf einer neuen und erhabeneren Ebene universeller Vollbringung begonnen werden kann.


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