Vor dem Kommen der Mysterienkulte und des Christentums entwickelte sich in den zivilisierten Ländern Nordafrikas und Europas kaum eine persönliche Religion als unabhängige Institution; Religion war mehr eine Angelegenheit der Familie, des Stadtstaates, eine politische, eine kaiserliche Sache. Die hellenischen Griechen entwickelten nie ein zentralisiertes System religiöser Praxis; das Ritual war lokal; sie hatten weder Priesterschaft noch „heiliges Buch“. Wie den religiösen Institutionen der Römer fehlte auch den ihren ein mächtiger Motor zur Bewahrung der höheren sittlichen und geistigen Werte. Zwar stimmt es, dass die Institutionalisierung einer Religion gewöhnlich ihrer geistigen Qualität abträglich gewesen ist, aber es ist auch eine Tatsache, dass es bisher keiner Religion gelungen ist, ohne die Hilfe einer institutionellen Organisation größeren oder geringeren Umfanges zu überleben.
So siechte die abendländische Religion bis zu den Tagen der Skeptiker, Kyniker, Epikuräer und Stoiker dahin, aber wichtiger noch als alles andere, bis zu der Zeit der großen Auseinandersetzung zwischen dem Mithraismus und der neuen christlichen Religion des Paulus.
Während des dritten Jahrhunderts nach Christus waren sich die mithraischen und christlichen Kirchen sowohl in ihrer äußeren Erscheinung als auch im Charakter ihres Rituals sehr ähnlich. Die Mehrzahl dieser Stätten der Anbetung war unterirdisch, und beide besaßen Altäre, in deren Hintergrund auf manche Weise die Leiden des Retters dargestellt waren, welcher der von Sünde heimgesuchten menschlichen Rasse das Heil gebracht hatte.
Schon immer war es Sitte der mithraischen Gläubigen gewesen, ihre Finger beim Betreten des Tempels in heiliges Wasser einzutauchen. Und da es in vielen Gegenden Menschen gab, die eine Zeitlang beiden Religionen angehörten, führte man diesen Brauch in der Mehrzahl der christlichen Kirchen der Umgebung Roms ein. Beide Religionen wandten die Taufe an und nahmen am Sakrament des Brotes und Weines teil. Abgesehen von den Charakteren von Mithras und Jesus war einer der Hauptunterschiede zwischen Mithraismus und Christentum, dass jener den Militarismus ermutigte, während dieses extrem pazifistisch war. Die Toleranz des Mithraismus gegenüber anderen Religionen (außer dem späteren Christentum) führte zu seinem schließlichen Untergang. Aber der ausschlaggebende Faktor im Kampf zwischen den beiden war die Aufnahme der Frauen als vollwertige Mitglieder in die christliche Glaubensgemeinschaft.
Am Ende beherrschte der nominelle christliche Glaube das Abendland. Die griechische Philosophie steuerte die ethischen Wertvorstellungen bei, der Mithraismus die den Kult begleitenden Rituale und das Christentum als solches die Technik zur Erhaltung sittlicher und sozialer Werte.