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Evolution des Gotteskonzeptes bei den Hebräern

9. Hebräische Geschichte

97:9.1

Es hat nie zwölf Israelitenstämme gegeben – nur drei oder vier in Palästina sesshafte Stämme. Die hebräische Nation entstand infolge der Vereinigung der so genannten Israeliten mit den Kanaaniten. „Und die Kinder Israels wohnten unter den Kanaaniten. Und sie nahmen deren Töchter zu Frauen und gaben ihre Töchter den Söhnen der Kanaaniten.“ Die Hebräer verjagten die Kanaaniten nie aus Palä­stina, obwohl die Priesterberichte ohne zu zögern das Gegenteil behaupteten.

97:9.2

Das israelitische Bewusstsein entstand in der bergigen Landschaft von Ephraim; das spätere jüdische Bewusstsein nahm seinen Ursprung im südlichen Klan Judas. Die Juden (Judaiten) trachteten immer danach, die Geschichte der nördlichen Israeliten (Ephraimiten) zu verleumden und anzuschwärzen.

97:9.3

Die anmaßende hebräische Geschichte beginnt damit, dass Saul die nördlichen Klane um sich schart, um sich einem Angriff der Ammoniten auf ihre Stammesfreunde – die Gileaditen – im Osten des Jordans zu widersetzen. Mit einer Armee von etwas mehr als dreitausend Mann schlug er den Feind, und diese Kriegstat bewegte die Gebirgsstämme, ihn zum König zu machen. Als die exilierten Priester diese Geschichte neu schrieben, erhöhten sie Sauls Armee auf 330 000 Mann und fügten der Liste der an der Schlacht beteiligten Stämme „Juda“ an.

97:9.4

Unmittelbar nach der Niederlage der Ammoniten wurde Saul durch Volkswahl von seinen Truppen zum König gemacht. Weder ein Priester noch ein Prophet war an diesem Vorgang beteiligt. Aber die Priester setzten später in die Annalen, dass Saul durch den Propheten Samuel gemäß göttlichen Anweisungen zum König gekrönt worden sei. Das taten sie, um eine „göttliche Stammlinie“ für Davids judäisches Königtum zu schaffen.

97:9.5

Die größte aller Verdrehungen der jüdischen Geschichte geschah im Zusammenhang mit David. Nach Sauls Sieg über die Ammoniten (den er Jahve zuschrieb) gerieten die Philister in Harnisch und begannen, die nördlichen Klane anzugreifen. David und Saul konnten sich nie vertragen. David, der sechshundert Mann befeh­ligte, schloss mit den Philistern ein Bündnis und marschierte der Küste entlang hinauf nach Esdraelon. Bei Gat befahlen die Philister David, das Schlachtfeld zu verlassen, da sie befürchteten, er könnte zu Saul übergehen. David zog sich zurück; die Philister gingen zum Angriff über und bereiteten Saul eine Niederlage. Sie wären dazu nicht fähig gewesen, wenn David Israel treu geblieben wäre. Davids Armee war eine vielsprachige Ansammlung Unzufriedener, die zum größten Teil aus sozialen Außenseitern und solchen, die vor der Justiz flohen, bestand.

97:9.6

Die tragische Niederlage, die die Philister Saul bei Gilboa bereiteten, ließ in den Augen der umliegenden Kanaaniten Jahves Ansehen im Kreis der Götter tief sinken. Gewöhnlich wäre Sauls Niederlage einer Abkehr von Jahve zugeschrieben worden, aber diesmal lasteten die judäischen Verfasser es rituellen Fehlern an. Sie brauchten die Tradition Sauls und Samuels als Hintergrund für Davids Königtum.

97:9.7

Mit seiner kleinen Armee errichtete David sein Hauptquartier in der nichthebräischen Stadt Hebron. Bald riefen ihn seine Landsleute zum König des neuen Königtums Juda aus. Juda bestand zum größten Teil aus nichthebräischen Elementen – aus Keniten, Kalebiten, Jebusiten und anderen Kanaaniten. Es waren Nomaden – Hirten – sie hingen also der hebräischen Idee über Landbesitz an. Sie besaßen die Ideologien der Wüstenklane.

97:9.8

Der Unterschied zwischen heiliger und weltlicher Geschichte kommt schön zum Ausdruck am Beispiel der beiden voneinander abweichenden Erzählungen über Davids Wahl zum König, wie man sie im Alten Testament findet. Einen Teil der weltlichen Darstellung der Art, wie seine unmittelbaren Anhänger (seine Armee) ihn zum König machten, hatten die Priester aus Unachtsamkeit in ihrem Bericht stehen lassen. Danach fertigten sie die langatmige und prosaische Version der heiligen Geschichte an, worin beschrieben wird, wie der Prophet Samuel auf göttliche Weisung David aus seinen Brüdern auswählte und daran ging, ihn förmlich und in komplizierten, feierlichen Zeremonien zum König über die Hebräer zu salben, um ihn dann zum Nachfolger Sauls auszurufen.

97:9.9

So oft versäumten es die Priester, nachdem sie ihre fiktiven Erzählungen über Gottes mirakulösen Umgang mit Israel ausgearbeitet hatten, die klaren und prosai­schen Aussagen, die sich bereits in den Annalen befanden, völlig auszumerzen.

97:9.10

David ging daran, sich politisch zu festigen, indem er zuerst Sauls Tochter heiratete, darauf die Witwe Nabals, des reichen Edomiten, und danach die Tochter Talmais, des Königs von Gesur. Er nahm sich sechs Gattinnen unter den Frauen von Jebus, ganz zu schweigen von Batseba, der Frau des Hetiters.

97:9.11

Mit solchen Methoden und mit Hilfe solcher Leute baute David die Fiktion eines göttlichen Königreichs Juda auf, das die Nachfolge von Erbe und Traditionen des sterbenden nördlichen Königreichs des ephraimitischen Israels antrat. Davids kosmopolitischer Stamm Juda war mehr nichtjüdisch als jüdisch; trotzdem kamen die unterdrückten Ältesten Ephraims zu ihm herab und „salbten ihn zum König Israels“. Nach einer militärischen Drohung schloss David mit den Jebusiten einen Vertrag in Jebus (Jerusalem), das eine von starken Mauern umgebene Stadt halbwegs zwischen Juda und Israel war. Die Philister wurden aufgerüttelt und griffen David bald an. In einer wilden Schlacht wurden sie geschlagen, und einmal mehr war Jahve als „Der Herr Gott der Heerscharen“ gefestigt.

97:9.12

Aber Jahve musste gezwungenermaßen etwas von seinem Ruhm mit den kanaanitischen Göttern teilen, weil das Gros von Davids Armee nichthebräisch war. Und so erscheint in eurer Schrift diese verräterische (von den judäischen Herausgebern übersehene) Aussage: „Jahve hat vor mir eine Bresche in meine Feinde geschlagen. Deshalb hat er diesen Ort Baal-Perazim genannt.“ Und das geschah, weil achtzig Prozent von Davids Soldaten Anhänger Baals waren.

97:9.13

David erklärte Sauls Niederlage bei Gilboa damit, dass Saul eine kanaanitische Stadt, Gibeon, angegriffen hatte, deren Einwohner mit den Ephraimiten einen Friedensvertrag abgeschlossen hatten. Aus diesem Grunde habe Jahve ihn verlassen. Schon zu Sauls Lebzeiten hatte David die kanaanitische Stadt Keila gegen die Philister verteidigt, und dann errichtete er seine Hauptstadt in einer kanaanitischen Stadt. Getreu seiner Politik der Kompromisse mit den Kanaaniten lieferte David sieben Nachkommen Sauls an die Gibeoniten aus, damit sie sie erhängten.

97:9.14

Nach der Niederlage der Philister gelangte David in den Besitz der „Lade Jahves“, brachte sie nach Jerusalem und machte die Verehrung Jahves zum offiziellen Kult seines Königreichs. Als Nächstes auferlegte er den Nachbar­stämmen – den Edomiten, Moabiten, Ammoniten und Syrern – schwere Tribute.

97:9.15

Davids korrupter politischer Apparat begann, sich in Verletzung der hebräi­schen Sitten im Norden persönlichen Landbesitz anzueignen, und legte bald Hand auf die Zollgebühren für die Karawanen, die zuvor von den Philistern erhoben worden waren. Und dann folgte eine Serie von Abscheulichkeiten, die in der Ermordung Urias gipfelten. Alle Justizappelle wurden in Jerusalem entschieden; „die Ältesten“ durften nicht mehr Recht sprechen. Kein Wunder, dass eine Rebellion ausbrach. Heute würde man Absolom wohl einen Demagogen nennen; seine Mutter war eine Kanaanitin. Es gab ein halbes Dutzend Thronanwärter nebst dem Sohn Batsebas – Salomo.

97:9.16

Nach Davids Tod reinigte Salomo den politischen Apparat von allen nördlichen Einflüssen, setzte aber die ganze Tyrannei und Besteuerung des väterlichen Regimes fort. Salomo ruinierte die Nation durch seinen verschwenderischen Hofstil und seine anspruchsvollen Bauvorhaben: Da gab es das Haus Libanon, den Palast der Tochter des Pharao, den Tempel Jahves, den Königspalast und die Erneuerung der Mauern zahlreicher Städte. Salomo schuf eine bedeutende hebräische Flotte, die von syrischen Schiffsleuten betrieben wurde und mit der ganzen Welt Handel trieb. Sein Harem zählte an die tausend Frauen.

97:9.17

Zu dieser Zeit hatte der Tempel Jahves in Silo sein Ansehen eingebüßt, und die ganze Anbetung der Nation konzentrierte sich in der prachtvollen königlichen Kapelle in Jebus. Das nördliche Königreich kehrte mehrheitlich zur Verehrung Elohims zurück. Es genoss die Gunst der Pharaonen, die später Juda versklavten, indem sie dem südlichen Königreich einen Tribut auferlegten.

97:9.18

Es gab Höhen und Tiefen – Kriege zwischen Israel und Juda. Nach vier Jahren Bürgerkrieg und drei Dynastien fiel Israel unter die Herrschaft von Städtedespoten, die begannen, mit Land zu handeln. Sogar König Omri versuchte, die Besitzung Semers zu kaufen. Aber das Ende nahte rasch, als Salmanassar III sich entschloss, die Mittelmeerküste zu kontrollieren. König Ahab von Ephraim scharte noch zehn andere Gruppen um sich und stellte sich ihm bei Karkar entgegen; die Schlacht endete mit einem Unentschieden. Der Assyrer wurde zwar aufgehalten, aber die Verbündeten wurden stark dezimiert. Diese gewaltige Schlacht findet im Alten Testament nicht einmal Erwähnung.

97:9.19

Neue Wirren begannen, als König Ahab von Nabot Land kaufen wollte. Seine phönizische Gattin fälschte Ahabs Namen auf Schreiben, welche die Konfiskation des Landes Nabots aufgrund der Anklage befahlen, Nabot habe die Namen „Elohims und des Königs“ geschmäht. Nabot und seine Söhne wurden auf der Stelle hingerichtet. Da trat der kraftvolle Elia auf und klagte Ahab des Mordes an der Familie Nabots an. So begann Elia, einer der größten Propheten, seine Lehrtätigkeit als Verteidiger der alten Bodensitten gegen die den Landverkauf befürwortende Einstellung der Baalisten, gegen den Versuch der Städte, das Land zu beherrschen. Aber die Reform hatte erst Erfolg, als der ländliche Gutsbesitzer Jehu seine Kräfte mit denen des Zigeunerchefs Jonadab verband, um in Samaria die Propheten Baals (Grund­stückmakler) umzubringen.

97:9.20

Neues Leben kam mit Joasch und seinem Sohn Jerobeam, die Israel von seinen Feinden befreiten. Aber zu dieser Zeit regierte in Samaria ein Gangsteradel, dessen Räubereien mit denen der davidschen Dynastie vergangener Tage wetteiferten. Staat und Kirche gingen Hand in Hand. Der Versuch, die Redefreiheit zu unterdrücken, bewegte Elia, Amos und Hosea dazu, insgeheim mit Schreiben zu beginnen, und das war der tatsächliche Anfang der jüdischen und christlichen Bibel.

97:9.21

Aber das nördliche Königreich verschwand erst aus der Geschichte, als der König von Israel sich mit dem König von Ägypten verschwor und sich weigerte, Assyrien weiterhin Tribut zu zahlen. Da begann eine dreijährige Belagerung, die mit der völligen Auflösung des nördlichen Königreichs endete. So ging Ephraim (Israel) unter. In Juda – bei den Juden, dem „Rest Israels“ – hatte die Land­konzentration in den Händen einiger weniger begonnen, indem diese – mit den Worten Jesajas – „Haus zu Haus und Feld zu Feld fügten“. Bald stand in Jerusalem neben dem Tempel Jahves ein Tempel Baals. Diese Schreckens­herrschaft wurde durch einen monotheistischen Aufstand unter Führung des Knabenkönigs Joasch beendet, der fünfunddreißig Jahre lang für Jahve kämpfte.

97:9.22

Der nächste König, Amazja, bekam Schwierigkeiten mit den sich erhebenden steuerpflichtigen Edomiten und ihren Nachbarn. Nach einem eklatanten Sieg wandte er sich gegen seine nördlichen Nachbarn und erlebte eine ebenso eklatante Niederlage. Darauf erhoben sich die Landbewohner; ermordeten den König und setzten seinen sechzehn Jahre alten Sohn auf den Thron. Das war Asarja, den Jesaja Usja nannte. Nach Usja verschlimmerte sich die Lage immer mehr, und Juda existierte hundert Jahre lang, indem es den Königen von Assyrien Tribut bezahlte. Der erste Jesaja sagte seinen Zuhörern, dass Jerusalem – die Stadt Jahves – nie fallen werde. Aber Jeremia zögerte nicht, seinen Untergang anzukündigen.

97:9.23

Der eigentliche Ruin Judas wurde durch einen korrupten und reichen Poli­tik­erkreis herbeigeführt, der unter der Regierung eines Knabenkönigs, Manasse, wirkte. Ein wirtschaftlicher Umschwung begünstigte die Rückkehr des Baalkultes, dessen privater Handel mit Land der Ideologie Jahves zuwiderlief. Der Fall Assyriens und der Aufstieg Ägyptens brachten Juda eine Zeitlang Befreiung, und die Landbevölkerung übernahm die Macht. Unter Josja beseitigte sie den korrupten Politikerring Jerusalems.

97:9.24

Aber diese Ära nahm ein tragisches Ende, als sich Josja unterfing, der mächtigen Armee Nechos entgegenzuziehen und ihr den Weg abzuschneiden, als sie von Ägypten her die Küste entlang heraufzog, um Assyrien gegen Babylon zu Hilfe zu eilen. Er wurde vernichtend geschlagen, und Juda wurde Ägypten gegenüber tributpflichtig. Die politische Baalpartei gelangte in Jerusalem wiederum an die Macht, und die wirk­liche ägyptische Versklavung begann jetzt. Darauf folgte eine Periode, während welcher die Baal-Politiker das Rechtswesen und die Priesterschaft beherrschten. Der Baalkult war ein wirtschaftliches und gesellschaftliches System, das ebenso sehr mit Besitzrechten wie mit Bodenfruchtbarkeit zu tun hatte.

97:9.25

Mit Nebukadnezars Sieg über Necho geriet Juda unter die Herrschaft Babylons und bekam zehn Jahre der Gnade zugestanden, erhob sich aber schon bald. Als Nebukadnezar gegen die Judaiten heranzog, schritten sie zu sozialen Reformen wie Sklavenbefreiung, um Jahve zu beeinflussen. Als die babylonische Armee sich vorübergehend zurückzog, frohlockten die Hebräer darüber, dass ihre reformerische Magie sie befreit habe. Zu dieser Zeit war es, dass Jeremia ihnen das bevorstehende Verhängnis ankündigte, und bald darauf kehrte Nebukadnezar zurück.

97:9.26

Und damit kam das jähe Ende Judas. Die Stadt wurde zerstört und die Men­schen wurden nach Babylon verschleppt. Der Kampf zwischen Jahve und Baal endete in der Gefangenschaft. Und der Schock der Gefangenschaft trieb den Rest Israels in den Monotheismus.

97:9.27

In Babylon kamen die Juden zu der Überzeugung, dass sie als kleine Gruppe mit ihren besonderen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gepflogenheiten in Palä­stina nicht existieren konnten und dass sie, sollten sich ihre Ideologien behaupten, die Nichtjuden bekehren mussten. So entstand die neue Vorstellung von ihrer Bestimmung – die Idee, dass die Juden die auserwählten Diener Jahves werden mussten. Die jüdische Religion des Alten Testamentes entwickelte sich ganz eigentlich in der babylonischen Gefangenschaft.

97:9.28

Auch die Lehre von der Unsterblichkeit nahm in Babylon Gestalt an. Die Juden hatten bisher gedacht, dass die Beschäftigung mit einem zukünftigen Leben von dem auf sozialer Gerechtigkeit liegenden Schwerpunkt ihres Evangeliums ablenke. Zum ersten Mal verdrängte jetzt die Theologie Soziologie und Wirtschaft. Religion bildete sich mehr und mehr als ein von Politik, Soziologie und Wirtschaft getrenntes System menschlichen Denkens und Verhaltens heraus.

97:9.29

Und so lässt die Wahrheit über das jüdische Volk erkennen, dass vieles, was als heilige Geschichte betrachtet worden ist, sich als kaum mehr als die Chronik gewöhnlicher weltlicher Geschichte herausstellt. Der Judaismus war der Boden, dem das Christentum entwuchs, aber die Juden waren kein mirakulöses Volk.


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