In der evolutionären Religion stellt man sich die Götter als den Menschen in Dasein und Gestalt ähnlich vor; in der offenbarten Religion werden die Menschen gelehrt, dass sie Gottes Söhne sind, ja dass sie dem endlichen Bild der Göttlichkeit nachgestaltet sind; in Glaubenssystemen, die eine Synthese darstellen, weil sie aus den Lehren der Offenbarung und den Produkten der Evolution zusammengesetzt sind, ist das Gotteskonzept eine Mischung aus:
1. Den zuvor existierenden Ideen der evolutionären Kulte.
2. Den sublimen Idealen offenbarter Religion.
3. Den persönlichen Anschauungen der großen religiösen Führer, Propheten und Lehrer der Menschheit.
Die meisten großen religiösen Epochen sind durch das Leben und die Lehren irgendeiner überragenden Persönlichkeit eingeweiht worden; Führerschaft hat die Mehrzahl der nennenswerten sittlichen Bewegungen der Geschichte ausgelöst. Und die Menschen haben immer dazu geneigt, den Führer zu verehren, sogar auf Kosten seiner Lehren, und seine Persönlichkeit zu beweihräuchern, auch wenn sie dabei die Wahrheiten, die er verkündete, aus den Augen verloren. Und das geschah nicht ohne Grund; denn es gibt im Herzen des evolutionären Menschen eine instinktive Sehnsucht nach Hilfe von oben und aus dem Jenseits. Dieses Sehnen hat die Bestimmung, das Erscheinen des Planetarischen Fürsten und später des Materiellen Paares auf Erden herbeizurufen. Auf Urantia sind die Menschen dieser übermenschlichen Führer und Herrscher beraubt worden, und deshalb versuchen sie ständig, diesen Verlust wettzumachen, indem sie ihre menschlichen Führer mit Legenden umranken, die von ihrem übernatürlichen Ursprung und ihrer wunderbaren Laufbahn berichten.
Viele Rassen haben sich vorgestellt, dass ihre Führer von Jungfrauen geboren wurden; sie übersäten ihren Lebensweg großzügig mit wunderbaren Episoden, und immer wird ihre Rückkehr von den jeweiligen Gruppen erwartet. In Zentralasien warten die Stammesleute immer noch auf die Wiederkehr von Dschingis Khan; in Tibet, China und Indien ist es Buddha; im Islam ist es Mohammed; bei den Indianern war es Hesunanin Onamonalonton; bei den Hebräern war es im Allgemeinen Adams Rückkehr als physischer Herrscher. In Babylon war der Gott Marduk ein Fortdauern der Adamslegende, die Sohn-Gottes-Idee, das Bindeglied zwischen Mensch und Gott. Nach dem Erscheinen Adams auf Erden waren die so genannten Söhne Gottes allen Rassen der Welt gemein.
Aber ungeachtet der abergläubischen Ehrfurcht, mit der diese Lehrer oft umgeben wurden, bleibt die Tatsache bestehen, dass sie die zeitlichen persönlichen Stützpunkte für die Hebel der offenbarten Wahrheit waren, um Sittlichkeit, Philosophie und Religion der Menschheit voranzubringen.
Es hat in der eine Million Jahre alten Geschichte Urantias von Onagar bis zu Guru Nanak Hunderte und Aberhunderte religiöser Lehrer gegeben. In diesem Zeitraum hat es in den Gezeiten religiöser Wahrheit und geistigen Glaubens manche Ebbe und Flut gegeben, und jede Renaissance der urantianischen Religion ist in der Vergangenheit mit dem Leben und der Lehre eines religiösen Führers identifiziert worden. Bei der Betrachtung der Lehrer der neueren Zeit erweist es sich wohl als hilfreich, sie nach den sieben religiösen Hauptepochen des postadamischen Urantia einzuteilen:
1. Die sethitische Periode. Nach ihrer Erneuerung unter Führung von Amosad wurden die sethitischen Priester die großen postadamischen Lehrer. Sie wirkten in allen Ländern der Anditen, und ihr Einfluss hielt sich am längsten bei den Griechen, Sumerern und Hindus. Bei letzteren haben sie sich als die Brahmanen des Hinduglaubens bis in die Gegenwart fortgesetzt. Den Sethitern und ihren Nachfolgern ging das von Adam offenbarte Trinitätskonzept nie ganz verloren.
2. Die Ära der Missionare Melchisedeks. Die Religion Urantias wurde in nicht geringem Maße durch die Anstrengungen jener Lehrer regeneriert, die von Machiventa Melchisedek beauftragt wurden, als er fast zweitausend Jahre vor Christus in Salem lebte und lehrte. Diese Missionare verkündeten, dass Glaube der für die Gunst Gottes zu bezahlende Preis sei, und obwohl ihre Unterweisungen kein unmittelbares Erscheinen von Religionen zur Folge hatten, bildeten sie doch die Grundlage, auf der spätere Wahrheitslehrer die Religionen Urantias aufbauen sollten.
3. Die Nach-Melchisedek-Ära. Obwohl Amenope und Echnaton beide in dieser Periode lehrten, war der überragende religiöse Genius der Nach-Melchisedek-Ära der Führer einer levantinischen Beduinengruppe und Begründer der hebräischen Religion – Moses. Moses lehrte den Monotheismus. Er sagte: „Höre, oh Israel, der Herr unser Gott ist ein Gott.“ „Er, der Herr, ist Gott. Es gibt keinen neben ihm.“ Hartnäckig versuchte er, in seinem Volk die Reste des Phantomkults auszurotten, indem er sogar die Todesstrafe für jene, die ihn pflegten, anordnete. Der Monotheismus des Moses wurde von seinen Nachfolgern verwässert, aber in späterer Zeit kehrten sie zu vielen seiner Lehren zurück. Die Größe von Moses liegt in seiner Weisheit und in seinem Scharfsinn. Andere Menschen besaßen größere Gotteskonzepte, aber nie war ein einzelner Mensch darin so erfolgreich, Menschen in großer Zahl dazu zu bewegen, so fortschrittliche Glaubensvorstellungen anzunehmen.
4. Das sechste Jahrhundert vor Christus. Viele Wahrheitsverkünder erhoben sich in diesem Jahrhundert religiösen Erwachens, einem der größten dieser Art, die Urantia je erlebt hat. Unter diesen sollten Gautama, Konfuzius, Laotse, Zarathustra und die jainistischen Lehrer erwähnt werden. Die Lehren Gautamas haben in Asien weite Verbreitung gefunden, und er wird als Buddha von Millionen verehrt. Konfuzius war für die chinesische Sittlichkeit, was Plato für die griechische Philosophie war, und obwohl beider Lehren religiöse Auswirkungen hatten, war genau genommen weder der eine noch der andere ein religiöser Lehrer; Laotse erfasste im Tao mehr von Gott als Konfuzius in der Humanität oder Plato im Idealismus. Obwohl Zarathustra stark unter dem Einfluss des herrschenden Konzepts einer doppelten Geisterwelt, des Guten und des Bösen, stand, feierte er zugleich entschieden die Idee einer einzigen ewigen Gottheit und des letztendlichen Sieges des Lichtes über die Finsternis.
5. Das erste Jahrhundert nach Christus. Als religiöser Lehrer begann Jesus mit dem Kult, den Johannes der Täufer eingeführt hatte, und er entfernte sich, soweit er nur konnte, von Fasten und Formen. Von Jesus abgesehen waren Paulus von Tarsus und Philo von Alexandrien die größten Lehrer dieser Ära. Ihre religiösen Vorstellungen haben bei der Entwicklung des Glaubens, der den Namen von Christus trägt, eine beherrschende Rolle gespielt.
6. Das sechste Jahrhundert nach Christus. Mohammed gründete eine Religion, die vielen Kredos seiner Zeit überlegen war. Es war ein Protest gegen die sozialen Forderungen, die die fremden Religionen stellten, und gegen die Zusammenhangslosigkeit des religiösen Lebens seines eigenen Volkes.
7. Das fünfzehnte Jahrhundert nach Christus. Diese Periode wurde Zeuge von zwei religiösen Bewegungen: dem Zerbrechen der Einheit des Christentums im Abendland und der Synthese einer neuen Religion im Orient. In Europa hatte das institutionalisierte Christentum einen solchen Grad von Starrheit erreicht, dass sich weiteres Wachstum nicht mehr mit Einheit vereinbaren ließ. Im Orient fassten Nanak und seine Nachfolger die kombinierten Lehren von Islam, Hinduismus und Buddhismus in der Sikhreligion zusammen, einer der fortgeschrittensten Religionen Asiens.
Die Zukunft Urantias wird ohne Zweifel durch das Auftreten von Lehrern religiöser Wahrheit gekennzeichnet sein – Lehrern der Vaterschaft Gottes und der Bruderschaft aller Geschöpfe. Aber man kann nur hoffen, dass die glühenden und ehrlichen Anstrengungen dieser künftigen Propheten sich weniger auf die Verstärkung der Barrieren zwischen den Religionen richten werden und mehr auf das Wachsen religiöser Bruderschaft in geistiger Anbetung unter den vielen Anhängern der verschiedenen intellektuellen Theologien, die für Urantia in Satania so bezeichnend sind.