Der nichtmaterielle Teil des Menschen ist verschiedentlich als Phantom, Geist, Schatten, Gespenst und später als Seele bezeichnet worden. Die Seele war der Traum-Doppelgänger des frühen Menschen; sie glich in jeder Hinsicht genau dem Sterblichen selber, außer dass sie nicht auf Berührung reagierte. Dieser Glaube an Traum-Doppelgänger führte direkt zu der Vorstellung, dass gleich den Menschen alle lebendigen und leblosen Dinge Seelen hätten. Und diese Auffassung trug lange Zeit dazu bei, den Glauben an Naturgeister aufrechtzuerhalten; die Eskimos leben noch immer mit der Vorstellung, dass alles in der Natur einen Geist habe.
Die Phantomseele konnte gehört und gesehen, nicht aber berührt werden. Allmählich entwickelte und erweiterte das Traumleben der Rasse die Aktivitäten der sich bildenden Geisterwelt dermaßen, dass der Tod schließlich als ein „Aufgeben des Geistes“ angesehen wurde. Alle primitiven Stämme mit Ausnahme derer, die nur wenig über dem Tier standen, haben irgendeine Vorstellung von der Seele entwickelt. Mit fortschreitender Zivilisation wird diese abergläubische Vorstellung von der Seele zerstört, und der Mensch hängt nun völlig von Offenbarung und persönlicher religiöser Erfahrung ab für seine neue Idee von der Seele als einer gemeinsamen Schöpfung des Gott kennenden Verstandes des Menschen und des ihm innewohnenden göttlichen Geistes, des Gedankenjustierers.
Den frühen Sterblichen gelang es gewöhnlich nicht, die beiden Konzepte eines innewohnenden Geistes und einer Seele evolutionärer Natur auseinanderzuhalten. Der Wilde war in großer Verwirrung wegen der Frage, ob die Phantomseele dem Körper eingeboren oder eine äußere, den Körper beherrschende Wirkkraft sei. Das Fehlen vernünftigen Denkens bei so viel Ratlosigkeit erklärt die krasse Unlogik, die der Wilde in seinen Ansichten über Seelen, Phantome und Geister bewies.
Man dachte, die Seele verhalte sich zum Körper wie der Duft zur Blume. Die Alten dachten, die Seele könne den Körper bei verschiedenster Gelegenheit verlassen wie z. B.:
1. Bei gewöhnlicher, vorübergehender Ohnmacht.
2. Während des Schlafs und natürlichen Träumens.
3. Im Koma und bei Bewusstlosigkeit im Zusammenhang mit Krankheit und Unfällen.
4. Beim Tod, dem endgültigen Abschied.
Der Wilde hielt Niesen für einen misslungenen Versuch der Seele, dem Körper zu entfliehen. Im Wachzustand war der Körper auf der Hut und in der Lage, einen Fluchtversuch der Seele zu vereiteln. Später begleitete man Niesen stets mit irgendeiner religiösen Redensart wie „Gott segne dich!“
In der frühen Evolution wurde der Schlaf als Beweis dafür betrachtet, dass die Phantomseele vom Körper abwesend sein konnte, und man glaubte sie zurückrufen zu können, indem man den Namen des Schläfers aussprach oder laut rief. Bei anderen Formen der Bewusstlosigkeit nahm man an, die Seele sei weiter weggegangen und versuche vielleicht, für immer auszubrechen – drohender Tod. Die Träume hielt man für die Erlebnisse der Seele im Schlaf während ihrer vorübergehenden Abwesenheit vom Körper. Der Wilde hält seine Träume für genauso real wie irgendeinen Teil seiner Erfahrung im Wachzustand. Die Alten pflegten die Schlafenden allmählich aufzuwecken, um der Seele Zeit zu geben, in den Körper zurückzukehren.
Durch alle Zeitalter hindurch hatten die Menschen große Ehrfurcht vor den nächtlichen Traumbildern, und die Hebräer machten dabei keine Ausnahme. Sie glaubten wirklich, Gott spreche zu ihnen durch Träume, obwohl sich Moses ausdrücklich gegen diese Idee wandte. Und Moses hatte Recht, denn die gewöhnlichen Träume sind nicht die von den Persönlichkeiten der geistigen Welt benutzte Methode, wenn sie mit materiellen Wesen in Verbindung zu treten wünschen.
Die Alten glaubten, dass die Seelen in Tiere oder gar in leblose Objekte fahren konnten. Das gipfelte in den Werwolfideen der Tier-Identifikation. Jemand konnte bei Tage ein gesetzestreuer Bürger sein, aber einmal eingeschlafen, konnte seine Seele in einen Wolf oder in ein anderes Tier eindringen und nachts herumschleichen und Verwüstungen anrichten.
Die primitiven Menschen glaubten, die Seele sei eng mit dem Atem verbunden und ihre Eigenschaften könnten durch den Atem verliehen oder übertragen werden. Der tapfere Häuptling pflegte auf das Neugeborene zu atmen und ihm dadurch Mut einzuhauchen. Unter frühen Christen ging die Zeremonie der Ausgießung des Heiligen Geistes einher mit einem Anhauchen der Anwärter. Der Psalmist sprach: „Durch das Wort des Herrn wurden die Himmel erschaffen und all ihre Heerscharen durch den Atem seines Mundes.“ Lang lebte der Brauch, dass der älteste Sohn versuchte, den letzten Atemzug seines sterbenden Vaters zu erhaschen.
Später entstand die Furcht vor dem Schatten, der ebenso sehr verehrt wurde wie der Atem. Das eigene Spiegelbild im Wasser wurde auch manchmal als Beweis des doppelten Selbst angesehen, und Spiegeln begegnete man mit abergläubischer Furcht. Auch heute noch drehen zivilisierte Personen den Spiegel bei einem Todesfall zur Wand. Einige zurückgebliebene Stämme glauben immer noch, dass die Anfertigung von Bildern, Zeichnungen, Modellen oder Statuen einen Teil der Seele aus dem Körper ziehe; deshalb ist all das verboten.
Im Allgemeinen wurde die Seele mit dem Atem identifiziert, aber verschiedene Völker vermuteten ihren Sitz im Kopf, in den Haaren, im Herzen, in der Leber, im Blut oder im Fett. Das „Schreien des Blutes Abels vom Ackerboden“ ist Ausdruck des einstigen Glaubens an die Anwesenheit der Seele im Blut. Die Semiten lehrten, dass die Seele im Körperfett wohne, und bei vielen von ihnen war das Verspeisen von Tierfett tabu. Die Kopfjägerei und auch das Skalpieren waren Methoden, um der Seele eines Feindes habhaft zu werden. In neuerer Zeit hat man die Augen als die Fenster der Seele angesehen.
Diejenigen, welche die Lehre von drei oder vier Seelen vertraten, glaubten, dass der Verlust einer Seele Unbehagen, von zweien Krankheit und von dreien den Tod bedeutete. Eine der Seelen lebte im Atem, eine im Kopf, eine im Haar und eine im Herzen. Man riet den Kranken, an der frischen Luft spazieren zu gehen, um ihre herumstreunenden Seelen wieder einzufangen. Den größten Medizinmännern sagte man nach, sie tauschten die angeschlagene Seele einer erkrankten Person gegen eine neue, die „neue Geburt“, aus.
Die Kinder Badonans entwickelten einen Glauben an zwei Seelen, Atem und Schatten. Für die frühen Noditenrassen bestand der Mensch aus zwei Personen, aus Seele und Körper. Diese Philosophie der menschlichen Existenz fand später ihr Echo in der griechischen Anschauung. Die Griechen selber glaubten an drei Seelen; die pflanzliche wohnte im Magen, die tierische im Herzen und die intellektuelle im Kopf. Die Eskimos glauben, dass der Mensch aus drei Teilen besteht: aus Körper, Seele und Namen.