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Die Evolution der Ehe

5. Endogamie und Exogamie

82:5.1

Schon früh beobachtete der Wilde, dass Rassenmischung die Qualität des Nachwuchses verbesserte. Nicht dass Endogamie immer schlecht gewesen wäre, aber Exogamie war vergleichsweise immer besser; deshalb hatten die Sitten die Tendenz, sich auf eine Beschränkung sexueller Beziehungen zwischen nahen Verwandten festzulegen. Man erkannte, dass Exogamie die selektiven Gelegen­heiten für evolutionären Variationenreichtum und Fortschritt bedeutend vermehrte. Die aus Exogamie Hervorgegangenen waren vielseitiger und fähiger, in einer feindlichen Welt zu überleben; diejenigen, die Inzucht ausübten, verschwanden allmählich zusammen mit ihren Sitten. All das war eine langsame Entwicklung; die Wilden dachten nicht bewusst über solche Probleme nach. Aber die späteren fortschrittlichen Völker taten es, und sie machten die Beobachtung, dass allgemeine Schwachheit manchmal das Resultat übermäßiger Inzucht war.

82:5.2

Obwohl Inzucht unter Vertretern guter Erblinien manchmal den Aufbau von starken Stämmen bewirkte, so beeindruckten doch die Aufsehen erregenden Fälle von Inzucht unter erblich Belasteten die menschlichen Gemüter viel nachhaltiger. Die Folge war, dass die fortschreitenden Sitten alle Heiraten zwischen nahen Verwandten zunehmend mit Tabus belegten.

82:5.3

Die Religion war lange Zeit eine wirksame Barriere gegen das Heiraten über die Grenzen hinaus; viele religiöse Lehren haben Ehen außerhalb des Glaubens verboten. Die Frau hat im Allgemeinen die Praxis der Heirat im engen Kreis begünstigt, der Mann war für grenzüberschreitendes Heiraten. Besitz hat immer einen Einfluss auf das Heiraten ausgeübt, und manchmal kam im Bestreben, den Besitz innerhalb eines Klans zu bewahren, der Brauch auf, die Frauen zu zwingen, sich ihren Ehemann in ihres Vaters Stamm auszusuchen. Anordnungen dieser Art führten zu einer starken Zunahme von Ehen unter Cousins. Inzucht wurde auch in dem Bestreben gepflegt, Handwerksgeheimnisse zu bewahren; erfahrene Arbeiter bemühten sich, ihr Handwerkswissen in der Familie zu behalten.

82:5.4

Wenn höhere Gruppen isoliert waren, kehrten sie immer zur Paarung unter Blutsverwandten zurück. Über hundertfünfzigtausend Jahre lang waren die Noditen eine der großen endogamen Gruppen. Die endogamen Sitten späterer Tage standen unter dem mächtigen Einfluss der Überlieferungen der violetten Rasse, in welcher die Paarung am Anfang wohl oder übel zwischen Bruder und Schwester zu erfolgen hatte. Und Geschwisterehen waren gang und gäbe im frühen Ägypten, in Syrien, Mesopotamien und in den einst von den Anditen bewohnten Gegenden. Im Bestreben, das königliche Blut rein zu erhalten, pflegten die Ägypter lange Zeit die Geschwisterehe, und dieser Brauch hielt sich in Persien noch länger. Unter den Mesopotamiern waren vor den Tagen Abrahams Heira­ten unter Cousins obligatorisch; Cousins besaße­n gegenüber Cousinen ein eheliches Vortrittsrecht. Abraham selber heiratete seine Halbschwester, aber solche Verbindungen wurden von den späteren Sitten der Juden nicht mehr gestattet.

82:5.5

Zum ersten Mal begann man von der Geschwisterehe abzurücken, als die Vielweiberei aufkam und die Schwester-Gemahlin ihre Mitgemahlin oder Mitgemahlinnen in arroganter Weise beherrschte. Einige Stammessitten verboten es, die Witwe eines verstorbenen Bruders zu heiraten, verlangten aber vom lebenden Bruder, anstelle seines abgeschiedenen Bruders Kinder zu zeugen. Es gibt keinen biologischen Instinkt gegen irgendwelchen Grad von Inzucht; solche Einschränkungen sind einzig und allein eine Sache von Tabus.

82:5.6

Letzten Endes überwog die Exogamie, weil der Mann ihr den Vorzug gab; sich eine Frau von außen zu holen, gewährte größere Freiheit von den Schwie­gereltern. Familiarität ruft Geringschätzung hervor; als nun das Element individueller Wahl den Geschlechtsverkehr zu beherrschen begann, wurde es Brauch, die Partner außerhalb des Stammes zu wählen.

82:5.7

Viele Stämme verboten schließlich das Heiraten innerhalb des Klans; andere beschränkten es auf bestimmte Kasten. Das Tabu gegen die Heirat mit einer Frau seines eigenen Totems ließ den Brauch aufkommen, die Frauen bei den Nachbarstämmen zu stehlen. Später wurden Ehen mehr aufgrund des Wohnortes als nach verwandtschaftlichen Gesichtspunkten geschlossen. Die Entwicklung von der Endogamie zur modernen Praxis der Exogamie durchlief viele Stufen. Auch nachdem endogame Ehen für das einfache Volk mit dem Tabu belegt worden waren, war es Führern und Königen gestattet, enge Verwandte zu heiraten, damit das königliche Blut konzentriert und rein bliebe. Die Sitten haben den souveränen Herrschern gewöhnlich in sexueller Beziehung gewisse Freiheiten eingeräumt.

82:5.8

Die Anwesenheit der späteren anditischen Völker hatte viel mit dem verstärkten Wunsch der Sangikrassen zu tun, über die Stammesgrenzen hinaus zu heiraten. Aber die Exogamie konnte sich unmöglich durchsetzen, solange die Nachbargruppen nicht lernten, miteinander in relativem Frieden zu leben.

82:5.9

Die Exogamie war an sich ein Friedensförderer; die zwischen Stämmen geschlossenen Ehen setzten die Feindseligkeiten herab. Exogamie führte zu Stam­mes­koordination und zu Militärallianzen; sie wurde beherrschend, weil sie größere Macht verschaffte; sie war eine Erbauerin von Nationen. Auch die zunehmenden Handelskontakte begünstigten die Exogamie sehr stark; Aben­teuerlust und Forscherdrang trugen zu einer Erweiterung der der Paarung gesetzten Grenzen bei und erleichterten die wechselseitige Befruchtung der Rassen­kulturen beträchtlich.

82:5.10

Die ansonsten unerklärlichen Ungereimtheiten in den rassischen Ehesitten sind weitgehend zurückzuführen auf diese Pflege der Exogamie mit dem sie begleitenden Frauendiebstahl und Frauenkauf von fremden Stämmen, was alles ein Verschmelzen der getrennten Stammessitten zur Folge hatte. Dass die gegen Inzucht gerichteten Tabus soziologischer und nicht biologischer Natur waren, zeigt sich sehr gut am Beispiel der Tabus, mit denen die Heiraten unter Verwandten belegt waren; denn diese Tabus schlossen viele Verwandtschaftsgrade mit Angeheirateten ein, Fälle, wo überhaupt keine Blutsverwandtschaft vorlag.


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