Die Evolutionsgeschichte der Ehe ist schlicht die Geschichte der sexuellen Kontrolle unter dem Druck gesellschaftlicher, religiöser und ziviler Einschränkungen. Die Natur kümmert sich kaum um Einzelwesen; sie nimmt die so genannte Moral nicht zur Kenntnis; sie ist einzig und allein an der Fortpflanzung der Gattung interessiert. Die Natur besteht mit Macht auf der Fortpflanzung, überlässt aber die Lösung der sich daraus ergebenden Probleme stets der Gesellschaft und schafft dadurch für die evolutionäre Menschheit ein immer gegenwärtiges, gewichtiges Problem. Dieser soziale Konflikt besteht in dem endlosen Krieg zwischen den Grundtrieben und der sich entwickelnden Ethik.
Die frühen Rassen kannten eine Regelung der Beziehungen zwischen den Geschlechtern kaum oder überhaupt nicht. Wegen dieser sexuellen Freizügigkeit gab es keine Prostitution. Auch heute existiert die Institution der Ehe bei den Pygmäen und anderen rückständigen Gruppen nicht; eine Beobachtung dieser Völker zeigt die von primitiven Rassen geübten einfachen Fortpflanzungssitten. Aber man sollte alle alten Völker immer im Lichte der zu ihrer Zeit gültigen moralischen Maßstäbe des Sittenkodexes studieren und beurteilen.
Freie Liebe stand indessen bei keinen Völkern, die sich über den Zustand von reinen Wilden erhoben hatten, in gutem Ruf. In dem Augenblick, als sich gesellschaftliche Gruppen zu bilden begannen, begannen sich auch Eheregeln und -beschränkungen herauszubilden. So hat sich die Paarung über unzählige Zwischenphasen aus einem Zustand fast völliger geschlechtlicher Freizügigkeit bis zu den im zwanzigsten Jahrhundert geltenden Normen relativ vollständiger sexueller Einschränkung weiterentwickelt.
In den frühesten Stadien der Stammesentwicklung waren Sitten und einschränkende Tabus sehr barbarisch, aber sie bewerkstelligten eine Trennung der Geschlechter – was Ruhe, Ordnung und Handwerk förderte – und damit nahm die lange Evolution der Ehe und des Heims ihren Anfang. Die auf der Sexualität beruhenden Gepflogenheiten in Kleidung, Schmuck und religiösen Praktiken hatten ihren Ursprung in diesen frühen Tabus, die den Rahmen für die sexuellen Freiheiten bildeten und so schließlich die Vorstellungen von Laster, Verbrechen und Sünde schufen. Aber es war lange Zeit Sitte, an hohen Festtagen und insbesondere am ersten Maitag vorübergehend alle sexuellen Regelungen aufzuheben.
Die Frauen waren immer einschneidenderen Tabus unterworfen als die Männer. Die frühen Sitten gewährten den unverheirateten Frauen denselben Grad an sexueller Freiheit wie den Männern, aber von den Ehefrauen wurde immer verlangt, ihren Ehemännern treu zu sein. Die primitive Ehe beschnitt die sexuellen Freiheiten des Mannes nicht besonders, hingegen war für die Frau außerehelicher Geschlechtsverkehr tabu. Verheiratete Frauen trugen immer irgendwelche Kennzeichen wie Haartracht, Kleidung, Schleier, Schmuck und Ringe, die sie als eine Klasse für sich sonderten, oder sie mussten zurückgezogen leben.