Während die roten Menschen an zu viel Krieg litten, ist es nicht ganz unzutreffend zu sagen, dass die Entwicklung der Staatlichkeit bei den Chinesen durch ihre völlige Inbesitznahme Asiens verzögert wurde. Sie besaßen ein großes Potential an Rassensolidarität, aber es konnte sich nicht richtig entfalten, weil ihm die ständige Stimulierung durch die immer drohende Gefahr eines äußeren Angriffs fehlte.
Als die Eroberung Ostasiens abgeschlossen war, zerfiel der alte Militärstaat allmählich – die vergangenen Kriege wurden vergessen. Von der epischen Auseinandersetzung mit der roten Rasse blieb nur die verschwommene Überlieferung von einem Kampf gegen das Volk der Bogenschützen lebendig. Die Chinesen wandten sich früh der Landwirtschaft zu, was ihre friedlichen Neigungen noch verstärkte, während eine Bevölkerung, die weit unter dem kritischen Bevölkerung-Boden-Verhältnis für Landwirtschaft lag, noch mehr zu der wachsenden Friedfertigkeit des Landes beitrug.
Das Bewusstsein vergangener Leistungen (heute etwas schwächer geworden), die konservative Einstellung eines in seiner überwältigenden Mehrheit dem Bauernstand angehörenden Volkes und ein gut entwickeltes Familienleben ließen die Ahnenverehrung entstehen, die darin gipfelte, dass man die Menschen der Vergangenheit in einer an Anbetung grenzenden Weise verehrte. Eine sehr ähnliche Geistesverfassung herrschte unter den weißen Rassen Europas während etwa fünfhundert Jahren nach dem Zerbrechen der griechisch-römischen Zivilisation.
Der Glaube an die „Eine Wahrheit“, wie Singlangton sie gelehrt hatte, und deren Verehrung starben nie ganz; aber im Lauf der Zeit wurde die Suche nach neuer und höherer Wahrheit überschattet durch die wachsende Tendenz, schon Bestehendes zu verehren. Langsam wandte sich der Genius der gelben Rasse von der Erforschung des Unbekannten ab und der Erhaltung des Bekannten zu. Und das ist der Grund für die Stagnation der einst am raschesten wachsenden Zivilisation der Welt.
Zwischen 4000 und 500 v. Chr. wurde die politische Wiedervereinigung der gelben Rasse vollzogen, aber die kulturelle Vereinigung der Zentren am Jangtse und am Gelben Fluss war schon vorher hergestellt worden. Diese politische Wiedervereinigung der späteren Stammesgruppen ging nicht ohne Konflikte vor sich, aber die Gesellschaft hielt nach wie vor nicht viel von Krieg; Ahnenverehrung, zunehmende Dialekte und fehlende Anlässe zu Militäraktionen während vieler Jahrtausende hatten dieses Volk äußerst friedliebend werden lassen.
Obwohl die gelbe Rasse das Versprechen einer frühen Entwicklung vorgerückter Staatlichkeit nicht zu halten vermochte, machte sie ständige Fortschritte bei der Verwirklichung kultureller Zivilisationsleistungen, hauptsächlich auf den Gebieten von Acker- und Gartenbau. Die Wasserprobleme, vor die sich die Bauern im Shensi und im Honan gestellt sahen, verlangten zu ihrer Lösung Zusammenarbeit in der Gruppe. Solche Bewässerungs- und Bodenerhaltungsschwierigkeiten trugen in nicht geringem Maße zur Entwicklung gegenseitiger Abhängigkeit bei, die den Frieden zwischen landwirtschaftlichen Gruppen förderte.
Bald trugen Fortschritte im Schreiben und die Errichtung von Schulen zu einer Wissensverbreitung in einem nie dagewesenen Maßstab bei. Aber die schwerfällige Natur des ideographischen Schriftsystems setzte den gebildeten Klassen eine zahlenmäßige Grenze, obwohl schon früh mit Drucken begonnen wurde. Und mehr als alles andere beschleunigte sich der Prozess der gesellschaftlichen Standardisierung und der religiös-philosophischen Dogmatisierung. Die religiöse Entwicklung der Ahnenverehrung wurde noch kompliziert durch eine Flut von Aberglauben, welcher auch die Anbetung der Natur einschloss, aber fortbestehende Spuren einer wirklichen Gottesvorstellung blieben im Kaiserkult des Shangdi erhalten.
Die große Schwäche der Ahnenverehrung liegt darin, dass sie eine rückwärts gewandte Philosophie fördert. Wie weise es auch sein mag, Weisheit aus der Vergangenheit zusammenzutragen, ist es doch Torheit, die Vergangenheit als einzige Wahrheitsquelle zu betrachten. Wahrheit ist relativ und expandierend, sie lebt immer in der Gegenwart und findet in jeder Menschengeneration einen neuen Ausdruck – ja sogar in jedem Menschenleben.
Die große Stärke des Ahnenkults liegt im Wert, den eine solche Haltung der Familie beimisst. Die erstaunliche Stabilität und Dauerhaftigkeit der chinesischen Kultur ist eine Folge der überragenden Stellung, die der Familie zukam; denn eine Zivilisation hängt direkt vom wirksamen Funktionieren der Familie ab. Und in China erreichte die Familie eine gesellschaftliche Wichtigkeit, ja sogar eine religiöse Bedeutung, der sich nur wenige andere Völker genähert haben.
Die ehrerbietige Haltung der Kinder und die Treue in der Familie, vom wachsenden Ahnenkult verlangt, sicherten den Aufbau hochstehender Familienbeziehungen und dauernder Familiengruppen, und all das begünstigte die folgenden, für die Erhaltung der Zivilisation wichtigen Faktoren:
1. Bewahrung von Besitz und Reichtum.
2. Vereinigung der Erfahrungen von mehr als einer Generation.
3. Wirksame Erziehung der Kinder in Techniken und Wissenschaft der Vergangenheit.
4. Entwicklung eines starken Pflichtgefühls, Hebung der Sittlichkeit und Steigerung der ethischen Sensibilität.
Die Periode der Bildung der chinesischen Zivilisation wird durch das Kommen der Anditen eröffnet und setzt sich bis zum großen ethischen, sittlichen und halbreligiösen Erwachen des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts fort. Und die chinesische Überlieferung bewahrt die verschwommene Beschreibung der evolutionären Vergangenheit: Den Übergang von der Mutter- zur Vaterfamilie, die Begründung des Ackerbaus, die Entwicklung der Architektur, die Anfänge der Industrie – all das berichtet sie eins nach dem anderen. Und diese Geschichte zeichnet mit größerer Genauigkeit als irgendeine andere vergleichbare Erzählung das Bild von einem höher stehenden Volk, das von der Stufe der Barbarei ausgehend einen großartigen Aufstieg vollzogen hat. In dieser Zeitspanne bewerkstelligten die Chinesen den Übergang von einer primitiven Gesellschaft von Ackerbauern zu einer höheren gesellschaftlichen Organisation mit Städten, Handwerk, Metallbearbeitung, Handelsaustausch, Regierung, Schrift, Mathematik, Kunst, Wissenschaft und Druck.
Und so hat die alte Zivilisation der gelben Rasse die Jahrhunderte überdauert. Es ist fast vierzigtausend Jahre her, seit die chinesische Kultur ihre ersten wichtigen Fortschritte machte, und obwohl es manche Rückentwicklung gegeben hat, kommt doch von allen Zivilisationen diejenige der Söhne Hans dem Bild ununterbrochenen, beständigen Fortschreitens bis in die Tage des zwanzigsten Jahrhunderts am nächsten. Die Realisierungen der weißen Rassen auf mechanischem und religiösem Gebiet sind von hoher Art, aber nie haben sie die Chinesen an Familientreue, Gruppenethik oder persönlicher Sittlichkeit übertroffen.
Diese alte Kultur hat viel zu menschlichem Glück beigetragen; Millionen menschlicher Wesen haben in ihrem Leben und Tod den Segen ihrer Errungenschaften empfangen. Während Jahrhunderten hat sich diese große Zivilisation auf den Lorbeeren der Vergangenheit ausgeruht, aber sie ist eben jetzt am Erwachen, um erneut die transzendenten Ziele der sterblichen Existenz ins Auge zu fassen und einmal mehr den unablässigen Kampf für nimmer endenden Fortschritt aufzunehmen.
[Dargeboten von einem Erzengel von Nebadon.]
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