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In Cäsarea-Philippi

6. Der nächste Nachmittag

157:6.1

Jesus und die Apostel blieben noch einen Tag länger im Hause des Celsus, weil sie auf Boten warteten, die ihnen von David Zebedäus Geld überbringen sollten. Dem Popularitätssturz Jesu bei den Massen folgte ein empfindlicher Rückgang der Einnahmen. Als sie in Cäsarea-Philippi eintrafen, war die Kasse leer. Matthäus verließ Jesus und seine Brüder gerade in einem solchen Augenblick nur sehr ungern, und er konnte Judas keine eigenen flüssigen Mittel aushändigen, wie er es in der Vergangenheit so oft getan hatte. Doch David Zebedäus hatte diese wahrscheinliche Einnahmeneinbuße vorausgesehen und deshalb seine Boten angewiesen, auf ihrem Weg durch Judäa, Samaria und Galiläa Geld zu sammeln und es den im Exil lebenden Aposteln und ihrem Meister zu bringen. Und so trafen diese Boten am Abend dieses Tages aus Bethsaida ein und brachten genügend Mittel für den Unterhalt der Apostel, bis diese zurückkehren und ihre Rundreise durch die Dekapolis antreten würden. Mat­thäus erwartete um diese Zeit Geld aus dem Verkauf seines letzten Besitzes in Kapernaum und hatte Vorkehrungen zur anonymen Überweisung dieser Summe an Judas getroffen.

157:6.2

Weder Petrus noch die anderen Apostel hatten eine sehr zutreffende Vorstellung von Jesu Göttlichkeit. Es war ihnen kaum bewusst, dass dies der Beginn eines neuen Abschnittes im irdischen Werdegang ihres Meisters war, der Augenblick, in dem der Lehrer und Heiler zum neu konzipierten Messias wurde – zum Sohn Gottes. Von da an klang in der Botschaft des Meisters etwas Neues mit. Sein einziges Lebensideal war hinfort die Offenbarung des Vaters, und seine einzige Lehridee war, für sein Universum jene höchste Weisheit zu personifizieren, die man nur verstehen kann, indem man sie lebt. Er kam, damit wir alle das Leben hätten, und es in reicherem Maße hätten.

157:6.3

Jesus trat nun in die vierte und letzte Phase seines menschlichen irdischen Daseins ein. Die erste Phase waren die Jahre der Kindheit, als er sich nur dunkel seines Ursprungs, seiner Natur und seiner Bestimmung als menschliches Wesen bewusst war. Die zweite Phase waren die zunehmend selbstbewussten Jahre der Jugend und des fortschreitenden Mannesalters, während welcher er zu einem klareren Verständnis seiner göttlichen Natur und menschlichen Mission gelangte. Diese zweite Phase endete mit den Erfahrungen und Offen­barungen im Zusammenhang mit seiner Taufe. Die dritte Phase der irdischen Erfahrung des Meisters erstreckte sich von der Taufe über die Jahre seines Wirkens als Lehrer und Heiler bis zu der denkwürdigen Stunde des Bekenntnisses von Petrus in Cäsarea-Philippi. Diese dritte Periode seines Erdenlebens umfasste die Zeit, da seine Apostel und unmittelbaren Anhänger ihn als den Menschensohn kannten und ihn als den Messias betrachteten. Die vierte und letzte Phase seiner irdischen Laufbahn begann hier in Cäsarea-Philippi und währte bis zur Kreuzigung. Diese Periode seines Wirkens war von dem Bekenntnis zu seiner Göttlichkeit gekennzeichnet und umfasste die Werke seines letzten Jahres auf Erden. Während die Mehrzahl seiner Anhänger in ihm in dieser vierten Periode immer noch den Messias sah, kannten die Apostel ihn nun als Sohn Gottes. Des Petrus Bekenntnis bezeichnete den Beginn der neuen Periode umfassenderer Verwirklichung der Wahrheit seines hohen Amtes als ein Sohn der Selbsthingabe auf Urantia und für ein ganzes Universum, sowie die Erkenntnis dieser Tatsache, zumindest verschwommen, durch seine auserwählten Botschafter.

157:6.4

Damit brachte Jesus durch sein Leben beispielhaft zum Ausdruck, was er in seiner Religion lehrte: das Wachstum der geistigen Natur durch die Methode lebendigen Fortschritts. Im Unterschied zu seinen späteren Anhängern legte er die Betonung nicht auf den unaufhörlichen Kampf zwischen Seele und Körper. Er lehrte vielmehr, dass der Geist leicht zum Sieger über beide werden und manchen dieser Kämpfe zwischen Intellekt und Instinkt wirksam und nutzbringend schlichten kann.

157:6.5

Von da an kommt allen Unterweisungen Jesu eine neue Bedeutung zu. Vor Cäsarea-Philippi präsentierte er das Evangelium vom Königreich als meisterhafter Lehrer. Nach Cäsarea-Philippi erschien er nicht nur als Lehrer, sondern als der göttliche Vertreter des ewigen Vaters, welcher Mittelpunkt und Umfang dieses geistigen Königreiches ist, und es war ihm aufgetragen, das alles als menschliches Wesen, als Menschensohn zu tun.

157:6.6

Jesus hatte sich aufrichtig darum bemüht, zuerst als Lehrer und dann als Lehrer-Heiler seine Anhänger in das geistige Königreich zu führen, aber sie wollten es nicht so haben. Er wusste sehr wohl, dass seine irdische Mission die messianischen Erwartungen des jüdischen Volkes unmöglich erfüllen konnte; die Propheten von einst hatten einen Messias geschildert, der er nie sein könnte. Er trachtete danach, des Vaters Königreich als Menschensohn zu errichten, aber seine Anhänger waren nicht gewillt, ihm in dieses Abenteuer zu folgen. Als Jesus dessen gewahr wurde, entschloss er sich, den Gläubigen halbwegs entgegenzukommen, und machte sich bereit, in aller Offenheit die Rolle des sich selbst hingebenden Gottessohnes zu übernehmen.

157:6.7

Demzufolge bekamen die Apostel an diesem Tag, als Jesus im Garten zu ihnen sprach, viel Neues zu hören. Und einige dieser Erklärungen klangen selbst in ihren Ohren seltsam. Neben anderem Erstaunlichen hörten sie ihn folgende Erklärungen machen:

157:6.8

„Wer von jetzt an mit uns Gemeinschaft haben will, der nehme die Verpflichtungen der Sohnschaft auf sich und folge mir. Und wenn ich nicht mehr unter euch bin, denkt nicht, dass die Welt euch dann besser behandeln wird als euren Meister. Wenn ihr mich liebt, dann bereitet euch darauf vor, diese Liebe durch eure Bereitschaft zum äußersten Opfer unter Beweis zu stellen.“

157:6.9

„Und achtet gut auf meine Worte: Ich bin nicht gekommen, um die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder. Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als eine Gabe für alle zu verschenken. Ich erkläre euch, dass ich gekommen bin, um die Verlorenen zu suchen und zu retten.“

157:6.10

„Niemand auf dieser Welt sieht jetzt den Vater, außer dem Sohn, der vom Vater gekommen ist. Aber wenn der Sohn erhöht sein wird, wird er alle Menschen an sich ziehen, und wer immer an diese Wahrheit von der Doppelnatur des Sohnes glaubt, dem wird ein Leben zuteil, das durch keine Zeit begrenzt wird.“

157:6.11

„Wir sprechen es zwar noch nicht öffentlich aus, dass der Menschensohn der Sohn Gottes ist, aber es ist euch offenbart worden; deshalb spreche ich unerschrocken über diese Geheimnisse zu euch. Obgleich ich hier vor euch in meiner physischen Erscheinung stehe, bin ich von Gott, dem Vater hergekommen. Bevor Abraham war, bin ich. Vom Vater bin ich in diese Welt gekommen, so wie ihr mich gekannt habt, und ich erkläre euch, dass ich in Kürze diese Welt verlassen und zur Arbeit meines Vaters zurückkehren muss.“

157:6.12

„Vermag euer Glaube jetzt die Wahrheit dieser Erklärungen zu fassen, obwohl ich euch gewarnt habe, dass der Menschensohn den Vorstellungen eurer Väter vom erwarteten Messias nicht entsprechen wird? Mein Königreich ist nicht von dieser Welt. Könnt ihr die Wahrheit über mich angesichts der Tatsache glauben, dass ich keinen Ort habe, wo ich mein Haupt hinlegen kann, während die Füchse Höhlen und die Vögel des Himmels Nester haben?“

157:6.13

„Und doch sage ich euch: der Vater und ich sind eins. Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Mein Vater arbeitet in all diesen Dingen mit mir, und er wird mich in meiner Sendung nie allein lassen, ebenso wenig wie ich euch je verlassen werde, wenn ihr euch bald aufmacht, um dieses Evangelium in der ganzen Welt zu verkündigen.“

157:6.14

„Und jetzt habe ich euch mit mir und jeden mit sich selber für eine kleine Weile abseits geführt, damit ihr die Herrlichkeit des Lebens, zu dem ich euch berufen habe, ermessen und seine Größe fassen möget: Es geht um das Glaubens­abenteuer, meines Vaters Reich in den Herzen der Menschen zu errichten, um den Bau meiner brüderlichen und lebendigen Gemeinschaft mit den Seelen aller, die an dieses Evangelium glauben.“

157:6.15

Die Apostel hörten diesen kühnen und umwerfenden Erklärungen schweigend zu; sie waren maßlos erstaunt. Und sie lösten sich in Grüppchen auf, um des Meisters Worte zu diskutieren und darüber nachzudenken. Sie hatten bekannt, dass er der Sohn Gottes sei, aber sie konnten die ganze Bedeutung dessen, wozu sie angehalten worden waren, nicht begreifen.


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