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Schrift 139
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Die zwölf Apostel

1. Andreas, der Erstberufene

139:1.1

Andreas, der dem Apostelkorps des Königreichs vorstand, wurde in Kapernaum geboren. Er war das älteste in einer Familie von fünf Kindern – er, sein Bruder Simon und drei Schwestern. Sein verstorbener Vater war in Bethsaida, dem Fischerhafen von Kapernaum, Partner von Zebedäus in einem Dörrfisch-Betrieb gewesen. Als Andreas Apostel wurde, war er ledig, zog aber zu seinem verheirateten Bruder Simon Petrus. Beide waren Fischer und Partner von Jakobus und Johannes, den Söhnen des Zebedäus.

139:1.2

Als Andreas im Jahr 26 n. Chr. zum Apostel berufen wurde, war er dreiunddreißig Jahre alt, ein ganzes Jahr älter als Jesus und der älteste der Apostel. Er war der Nachfahre einer Reihe hervorragender Ahnen und der Fähigste unter den Zwölfen. Außer in der Redekunst war er seinen Gefährten in nahezu jeder denkbaren Fähigkeit ebenbürtig. Jesus gab Andreas nie einen Beinamen, eine brüderliche Benennung. So wie die Apostel Jesus bald mit Meister anredeten, gebrauchten sie auch für Andreas einen Ausdruck, der gleichbedeutend mit Chef war.

139:1.3

Andreas war ein guter Organisator, aber ein noch besserer Verwalter. Er war einer der vier Apostel, die zum inneren Kreis gehörten, aber seine Ernennung zum Haupt der apostolischen Gruppe durch Jesus brachte es mit sich, dass er mit seinen Brüdern Dienst tat, während die anderen drei sich eines sehr engen Umgangs mit dem Meister erfreuten. Andreas blieb bis ganz zuletzt Vorsteher des Apostelkorps.

139:1.4

Andreas war zwar nie ein wirkungsvoller Prediger, aber in der persönlichen Arbeit sehr erfolgreich. Er war der Pionier der Sendboten des Königreichs, brachte er doch als erstgewählter Apostel unverzüglich seinen Bruder Simon zu Jesus, Simon, der in der Folgezeit einer der größten Prediger des Königreichs wurde. Jesus hatte in Andreas seine Hauptstütze, wenn er bei der Ausbildung der Zwölf zu Botschaftern des Königreichs das Mittel der persönlichen Arbeit anwendete.

139:1.5

Ob Jesus die Apostel im engen Kreis lehrte oder ob er der Menge predigte, Andreas war im allgemeinen über das, was vor sich ging, unterrichtet; er war ein verständnisvoller stellvertretender Chef und tüchtiger Verwalter. Er fällte prompte Entscheidungen in allen Angelegenheiten, die an ihn herangetragen wurden, es sei denn, er fand, ein Problem liege außerhalb seines Zuständig­keitsbereiches; in diesem Fall unterbreitete er es unverzüglich Jesus.

139:1.6

Andreas und Petrus waren sehr verschieden in Charakter und Temperament, aber es muss zu ihrer Ehre festgehalten werden, dass sie sich wunderbar vertrugen. Nie beneidete Andreas Petrus wegen seines Rednertalents. Selten sieht man einen älteren Mann von der Art des Andreas auf einen jüngeren und begabten Bruder einen solch starken Einfluss ausüben. Andreas und Petrus schienen sich nie auch nur im leisesten um ihre Fähigkeiten und Leistungen zu beneiden. Spät am Abend des Pfingsttages, als hauptsächlich dank der energischen und inspirierenden Predigt des Petrus dem Königreich zweitausend Seelen hinzugewonnen wurden, sagte Andreas zu seinem Bruder: „Ich wäre zu so etwas außerstande, aber ich bin glücklich, einen Bruder zu haben, der es kann.“ Worauf Petrus erwiderte: „Und hättest du mich nicht zum Mei­ster geführt und durch deine Unbeirrbarkeit bei ihm behalten, wäre ich jetzt nicht hier gewesen, dies zu tun.“ Andreas und Petrus waren die Ausnahme von der Regel, womit sie bewiesen, dass sogar Brüder friedlich und wirkungsvoll zusammenarbeiten können.

139:1.7

Nach Pfingsten war Petrus ein berühmter Mann; aber der ältere Andreas nahm nie daran Anstoß, während seines restlichen Lebens als „Bruder des Simon Petrus“ vorgestellt zu werden.

139:1.8

Von allen Aposteln war Andreas der beste Menschenkenner. Er wusste bereits, dass sich in Judas Iskariots Herzen Unheil zusammenbraute, als noch keiner von den anderen vermutete, dass bei ihrem Kassenwart etwas nicht stimmte; aber er teilte seine Befürchtungen keinem von ihnen mit. Sein großer Dienst am Königreich war die Beratung von Petrus, Jakobus und Johannes bei der Auswahl der ersten Missionare, die zur Verkündigung des Evangeliums ausgesandt wurden. Auch beriet er diese ersten Führer bei der Organisation der Verwaltungsangelegenheiten des Königreichs. Andreas besaß die große Gabe, die verborgenen Talente und latenten Anlagen junger Menschen zu entdecken.

139:1.9

Sehr bald nach Jesu Himmelfahrt begann Andreas mit einer persönlichen Aufzeichnung vieler Aussprüche und Taten seines verstorbenen Meisters. Nach Andreas‘ Tod wurden von diesen privaten Aufzeichnungen weitere Abschriften angefertigt, die unter den ersten Lehrern der christlichen Kirche frei zirkulierten. Diese formlosen Notizen des Andreas wurden später bearbeitet, verbessert, abgeändert und ergänzt, bis aus ihnen eine ziemlich fortlaufende Darstellung des Erdenlebens des Meisters wurde. Die letzte dieser wenigen abgeänderten und verbesserten Abschriften wurde in Alexandrien ein Raub der Flammen etwa hundert Jahre nach der Niederschrift des Originals durch den Erstberufenen der zwölf Apostel.

139:1.10

Andreas war ein Mann mit Scharfblick, folgerichtigem Denken und fester Entschlusskraft, und seine große Charakterstärke bestand in seiner hervorragenden Beständigkeit. Der Schwachpunkt seines Temperaments war sein Mangel an Enthusiasmus; oft unterließ er es, seine Gefährten durch kluges Lob zu ermutigen. Doch diese Zurückhaltung, die verdienstvollen Leistungen seiner Freunde zu rühmen, erwuchs aus seinem Abscheu vor Schmeichelei und Unauf­richtigkeit. Andreas war einer von jenen vielseitigen, ausgeglichenen Männern, die, aus eigener Kraft emporgekommen, in bescheidenen Unterneh­mungen erfolgreich sind.

139:1.11

Jeder einzelne der Apostel liebte Jesus, aber es ist auch wahr, dass jeder der Zwölf sich auf Grund eines bestimmten Charakterzugs von Jesu Persön­lichkeit, der gerade diesen Apostel beeindruckte, zu ihm hingezogen fühlte. Andreas bewunderte an Jesus seine unveränderliche Aufrichtigkeit, seine ungekünstelte Würde. Wenn die Menschen Jesus einmal kannten, drängte es sie, ihn mit ihren Freunden zu teilen; sie wünschten wirklich, die ganze Welt möge ihn kennen.

139:1.12

Als die Apostel später durch die Verfolgungen endgültig aus Jerusalem vertrieben und überallhin verstreut wurden, zog Andreas durch Armenien, Kleinasien und Mazedonien und wurde, nachdem er viele Tausend ins König­reich geführt hatte, schließlich in Patras in Achaia verhaftet und gekreuzigt. Es dauerte ganze zwei Tage, bis dieser kräftige Mann am Kreuz starb, und während dieser tragischen Stunden fuhr er fort, die frohe Botschaft von der Erlösung durch das Königreich des Himmels wirkungsvoll zu verkünden.


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