Moses hatte die Juden gelehrt, dass jeder erstgeborene Sohn dem Herrn gehöre, dass er aber, anstatt geopfert zu werden, wie es bei den heidnischen Völkern der Brauch war, unter der Voraussetzung am Leben bleiben könne, dass seine Eltern ihn gegen Bezahlung von fünf Schekel bei irgendeinem bevollmächtigten Priester loskauften. Es gab auch eine mosaische Verordnung, welche verlangte, dass eine Mutter nach Ablauf einer bestimmten Zeit zur Reinigung im Tempel zu erscheinen hatte (oder das angemessene Opfer durch jemand anderen an ihrer Stelle erbringen lassen musste). Es war Sitte, beide Zeremonien gleichzeitig zu vollziehen. Also gingen Joseph und Maria selber zum Tempel nach Jerusalem, um Jesus den Priestern darzubringen, seinen Loskauf zu erwirken und auch, um das erforderliche Opfer zu bringen, das die zeremonielle Reinigung Marias von der angeblichen Unreinheit der Geburt gewährleisten sollte.
Zwei bemerkenswerte Gestalten, der Sänger Simeon und die Dichterin Anna, hielten sich ständig in den Tempelhöfen auf. Simeon war Judäer, Anna aber Galiläerin. Dieses Paar war häufig beisammen, und beide waren auch enge Freunde des Priesters Zacharias, der ihnen das Geheimnis von Johannes und Jesus anvertraut hatte. Sowohl Simeon wie Anna sehnten sich nach dem Kommen des Messias, und ihr Vertrauen in Zacharias ließ sie daran glauben, dass Jesus der erwartete Erlöser des jüdischen Volkes sei.
Zacharias wusste, an welchem Tag Joseph und Maria mit Jesus im Tempel erwartet wurden, und er verabredete sich im Voraus mit Simeon und Anna, durch den Gruß seiner erhobenen Hand anzudeuten, welcher in der Prozession der erstgeborenen Kinder Jesus sei.
Für diesen Anlass hatte Anna ein Gedicht geschrieben, das Simeon zum größten Erstaunen Josephs, Marias und all derer, die im Tempelhof versammelt waren, zu singen anhub. Dies war ihr Lobgesang anlässlich des Loskaufs des erstgeborenen Sohns:
Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels!
Denn er hat uns gesegnet und seinem Volk Befreiung gebracht;
Er hat für uns alle im Hause seines Dieners David
Ein Füllhorn des Heils aufgerichtet.
Und so hat er gesprochen durch den Mund Seiner heiligen Propheten –
Er hat uns errettet vor unseren Feinden Und aus der Hand aller, die uns hassen;
Er hat unseren Vätern Barmherzigkeit erzeigt Und sich seines heiligen Bundes erinnert,
Des Eides, den er Abraham, unserem Vater, geschworen;
Er hat uns gewährt, dass wir, aus Feindeshand befreit,
Ihm ohne Furcht dienen
In Heiligkeit und Rechtschaffenheit vor ihm all unsere Tage.
Ja, und du, Kind der Verheißung, wirst Prophet des Allerhöchsten genannt werden;
Denn du wirst vor des Herrn Angesicht treten und sein Königreich errichten;
Du wirst seinem Volk die Kunde des Heils bringen
In der Vergebung seiner Sünden.
Freut euch der liebevollen Barmherzigkeit unseres Gottes, denn der
Tagesanbruch aus der Höhe hat uns jetzt besucht,
Um allen zu leuchten, die in der Dunkelheit sitzen und im Schatten des Todes,
Und unsere Schritte auf den Weg des Friedens zu lenken. Und lass jetzt, oh Herr, deinem Wort gemäß deinen Diener in Frieden ziehen.
Denn meine Augen haben dein Heil gesehen,
Das du vor den Augen aller Völker bereitet hast;
Ein Licht, das sogar die Heiden erleuchten
Und der Ruhm deines Volkes Israel sein wird.
Auf dem Heimweg nach Betlehem waren Joseph und Maria schweigsam – verwirrt und eingeschüchtert. Maria war durch den Abschiedsgruß Annas, der betagten Dichterin, sehr verstört und Joseph war nach diesem verfrühten Anlauf, Jesus zum erwarteten Messias des jüdischen Volkes zu erklären, missgestimmt.