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Die Epoche der Selbsthingabe Michaels

7. Juden und Heiden

121:7.1

Zur Zeit Jesu waren die Juden zu einer sehr festen Vorstellung von ihrer Herkunft, Geschichte und Bestimmung gekommen. Sie hatten eine starre Trennmauer zwischen sich und der heidnischen Welt errichtet. Sie schauten auf alle heidnischen Gewohnheiten mit äußerster Verachtung herab. Sie verehrten den Buchstaben des Gesetzes und neigten zu einer Art Selbstgerechtigkeit, die auf einem falschen Ahnenstolz beruhte. Sie besaßen bezüglich des versprochenen Messias vorgefasste Meinungen, und die meisten dieser Erwartungen rechneten mit einem Messias, der als Teil der Geschichte ihrer Nation und Rasse auftreten würde. Für die Hebräer jener Tage war die jüdische Theologie unwiderruflich und für immer festgelegt.

121:7.2

Die Lehren und Handlungen Jesu bezüglich Toleranz und Güte liefen dieser althergebrachten Einstellung der Juden zu den anderen Völkern, die sie als Heiden betrachteten, zuwider. Generationenlang hatten die Juden gegenüber der Außenwelt eine Haltung genährt, die es ihnen unmöglich machte, des Meisters Lehren von der geistigen Bruderschaft der Menschen anzunehmen. Sie waren nicht willens, Jahve mit den Heiden als Gleichberechtigten zu teilen, und ebenso wenig waren sie bereit, einen, der so neue und befremdende Lehren verkündete, als Gottessohn anzuerkennen.

121:7.3

Die Schriftgelehrten, die Pharisäer und die Priesterschaft hielten die Juden in einer schrecklichen Knechtschaft aus Ritualismus und Legalismus, die bei weitem wirklicher war als die durch Roms politische Herrschaft ausgeübte. Zur Zeit Jesu waren die Juden nicht nur vom Gesetz unterjocht, sondern ebenso durch die sklavischen Forderungen der Traditionen gebunden, die jede Sparte des persönlichen und sozialen Lebens einschlossen und durchdrangen. Genaueste Regeln der Lebensführung verfolgten und beherrschten jeden treuen Juden, und es überrascht nicht, dass sie sogleich einen aus ihrer Mitte ablehnten, der sich anmaßte, ihre heiligen Traditionen zu ignorieren, und der es wagte, ihre so lange hochgehaltenen gesellschaftlichen Regeln zu missachten. Sie konnten schwerlich die Lehren eines Mannes günstig beurteilen, der nicht zögerte, Dogmen zu widersprechen, die ihrer Meinung nach Vater Abraham höchst persönlich aufgestellt hatte. Moses hatte ihnen ihr Gesetz gegeben, und sie würden keinen Kompromiss eingehen.

121:7.4

Im ersten nachchristlichen Jahrhundert war die mündliche Auslegung des Gesetzes durch anerkannte Lehrer, die Schriftgelehrten, zu höherer Autorität aufgestiegen als das geschriebene Gesetz selber. All dies erleichterte es gewissen religiösen Führern der Juden, das Volk gegen die Annahme eines neuen Evangeliums um sich zu scharen.

121:7.5

Diese Umstände machten es den Juden unmöglich, ihre göttliche Bestim­mung als Boten des neuen Evangeliums religiöser Befreiung und geistiger Freiheit zu erfüllen. Sie konnten die Fesseln der Tradition nicht sprengen. Jeremia hatte vom „Gesetz, das ins Herz der Menschen geschrieben werden sollte“, gesprochen, Hesekiel von einem „neuen Geist, der in des Menschen Seele wohnen sollte“, und der Psalmist hatte gebetet: „Gott, schaffe in mir ein reines Herz und gib mir einen neuen Geist“. Aber als die jüdische Religion der guten Werke und der Knechtschaft gegenüber dem Gesetz ein Opfer der Stagnation und der erstarrten Tradition wurde, verlagerte sich die Bewegung der religiösen Evolution westwärts zu den europäischen Völkern.

121:7.6

Und so erging an ein anderes Volk der Ruf, der Welt eine fortschreitende Theologie zu bringen, ein Lehrsystem, das in sich vereinigte: die Philosophie der Griechen, das Gesetz der Römer, die Sittenstrenge der Hebräer und das Evangelium der Heiligkeit der Persönlichkeit und der geistigen Freiheit, das Paulus formuliert hatte und das auf Jesu Lehren gründete.

121:7.7

Die Sittlichkeit des christlichen Kults des Paulus war ein jüdisches Erbteil. Die Juden fassten die Geschichte als die Vorsehung Gottes auf – Jahve am Werk. Die Griechen steuerten zu der neuen Lehre klarere Vorstellungen über das ewige Leben bei. Nicht nur Jesu Lehren, sondern auch Plato und Philo beeinflussten die Theologie und Philosophie des Paulus. Seine Ethik war nicht nur von Christus, sondern auch von den Stoikern inspiriert.

121:7.8

Das Evangelium Jesu, wie es in den christlichen Kult des Paulus in Antiochia einging, wurde mit folgenden Lehren vermischt:

121:7.9

1. Die philosophischen Überlegungen der zum Judentum bekehrten Griechen, einige ihrer Vorstellungen über das ewige Leben mit eingeschlossen.

121:7.10

2. Die ansprechenden Lehren der vorherrschenden Mysterienkulte, insbesondere die mithraischen Lehren von Erlösung, Sühne und Errettung durch die Opfertat irgendeines Gottes.

121:7.11

3. Die starke Sittlichkeit der herrschenden jüdischen Religion.

121:7.12

Zur Zeit Jesu hatten das römische Mittelmeerreich, das parthische König­reich und die umliegenden Völker alle bezüglich Weltgeographie, Astronomie, Gesundheit und Krankheit grobe und primitive Vorstellungen und waren natürlich verblüfft über die neuen und erstaunlichen Verkündigungen des Zimmermanns von Nazareth. Die Ideen von Geisterbesessenheit, von Gut und Böse wurden nicht nur auf Menschen angewandt; in den Augen vieler war auch jeder Fels und jeder Baum von Geistern besessen. Es war ein magisches Zeitalter, und jedermann glaubte an Wunder als ganz gewöhnliche Vorgänge.


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