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Die spätere Evolution der Religion

7. Die weitere Evolution der Religion

92:7.1

Religion kann nie eine wissenschaftliche Tatsache werden. Philosophie kann allerdings auf einer wissenschaftlichen Grundlage ruhen, aber Religion wird immer entweder evolutionär oder geoffenbart oder aber, wie in der heutigen Welt, eine mögliche Kombination von beiden sein.

92:7.2

Neue Religionen können nicht erfunden werden; sie sind entweder aus der Evolution hervorgegangen, oder sie werden plötzlich offenbart. Alle neuen evolutionären Religionen sind nur fortschreitender Ausdruck alter Glaubens­vorstellungen, sind Neuanpassungen und Neuausrichtungen. Das Alte hört nicht auf zu existieren; es verschmilzt mit dem Neuen, gerade so wie der Sikhismus aus dem Boden und aus den Formen des Hinduismus, Buddhismus, Islams und anderer zeitgenössischer Kulte wuchs, Knospen trieb und blühte. Die primitive Religion war sehr demokratisch; die Wilden zögerten nicht zu entlehnen und zu leihen. Erst mit der offenbarten Religion erschien autokratische und unduldsame theologische Selbstüberhebung.

92:7.3

Die vielen Religionen Urantias sind alle in dem Maße gut, wie sie den Menschen zu Gott führen und dem Menschen das Vaterbewusstsein bringen. Jede Gruppe von Gläubigen, die ihr eigenes Kredo als Die Wahrheit betrachtet, begeht einen Trugschluss; solche Haltungen zeugen eher von theologischer Arroganz als von sicherem Glauben. Es gibt keine einzige Religion Urantias, die nicht mit Vorteil das Beste der in jedem anderen Glauben enthaltenen Wahrheiten studieren und assimilieren würde, denn alle enthalten Wahrheit. Die Gläubigen täten besser daran, dem lebendigen geistigen Glauben ihrer Nachbarn das Beste zu entlehnen, als das Schlimmste in deren fortbestehendem Aberglauben und überlebten Ritualen anzuprangern.

92:7.4

Die Entstehung all dieser Religionen ist das Ergebnis der verschiedenen intellektuellen Reaktionen der Menschen auf ihre identische geistige Führung. Die Religionen können nie hoffen, eine Uniformität der Kredos, Dogmen und Rituale zu erreichen – diese sind intellektueller Natur; aber sie können und werden eines Tages zu einer Einheit in der wahren Anbetung des Vaters aller gelangen, denn diese ist geistiger Natur, und es ist für immer wahr, dass im Geiste alle Menschen gleich sind.

92:7.5

Die primitive Religion war weitgehend ein Bewusstsein materieller Werte, aber die Zivilisation erhöht die religiösen Werte, denn wahre Religion ist die Hingabe des Selbst an den Dienst bedeutungsvoller und höchster Werte. Mit sich entwickelnder Religion wird die Ethik zur Philosophie sittlichen Verhaltens, und Sittlichkeit wird zur Selbstdisziplin nach den Kriterien höchster Bedeutungen und Werte – göttlicher und geistiger Ideale. Und so wird die Religion zu einer spontanen und hohen Hingabe, zu der lebendigen Erfahrung unverbrüchlicher Liebe.

92:7.6

Gradmesser für die Qualität einer religiösen Erfahrung sind:

92:7.7

1. Verlässlichkeits-Werte – Treueverhältnisse.

92:7.8

2. Tiefe der Bedeutungen – die Sensiblisierung des Einzelnen für die idealistische Würdigung dieser höchsten Werte.

92:7.9

3. Intensität der Hingabe – der Grad der Aufopferung für diese göttlichen Werte.

92:7.10

4. Der keine Hindernisse kennende Fortschritt der Persönlichkeit auf diesem kosmischen Pfad idealistischen geistigen Lebens, Verwirklichung der Sohnesbeziehung zu Gott und nimmer endende fortschreitende Bürgerschaft im Universum.

92:7.11

Das Kind wird sich der religiösen Bedeutungen stärker bewusst, wenn es seine Vorstellungen von Allmacht von seinen Eltern auf Gott überträgt. Und die ganze religiöse Erfahrung eines solchen Kindes ist weitgehend davon abhängig, ob die Eltern-Kind-Beziehung von Furcht oder Liebe geprägt war. Sklaven ist es immer sehr schwer gefallen, ihre Furcht vor dem Meister in Konzepte der Liebe zu Gott umzuwandeln. Zivilisation, Wissenschaft und fortgeschrittene Religionen müssen die Menschheit von jenen Ängsten befreien, die aus dem Grauen vor natürlichen Phänomenen hervorgegangen sind. Und so sollte eine größere Erleuchtung die gebildeten Sterblichen von aller Abhängigkeit von Vermittlern bei der Verbindung mit der Gottheit befreien.

92:7.12

Die Zwischenstadien götzendienerischen Zögerns bei der Übertragung der Verehrung von der menschlichen und sichtbaren auf die göttliche und unsichtbare Ebene sind unvermeidlich, aber sie sollten abgekürzt werden durch das Bewusstsein vom erleichternden Wirken des innewohnenden göttlichen Geistes. Dennoch ist der Mensch nicht nur durch seine Gottheitskonzepte tief beeinflusst worden, sondern auch durch den Charakter der Helden, die er sich zu Vorbildern genommen hat. Es ist sehr bedauerlich, dass jene, die zur Verehrung des göttlichen und auferstandenen Christus gekommen sind, dabei den Menschen übersehen haben – den tapferen und mutigen Helden – Josua ben Joseph.

92:7.13

Der moderne Mensch ist sich in angemessener Weise der Religion bewusst, aber seine Andachtsgewohnheiten sind wirr und durch den beschleunigten gesellschaftlichen Wandel und die nie dagewesenen wissenschaftlichen Entwi­cklungen in Misskredit geraten. Denkende Männer und Frauen wollen eine Neuformulierung der Religion, und diese Forderung wird die Religion zwingen, eine neue Selbstbeurteilung vorzunehmen.

92:7.14

Der moderne Mensch ist vor die Aufgabe gestellt, im Verlauf einer einzigen Generation bei den menschlichen Werten mehr Neuanpassungen vorzunehmen, als in zweitausend Jahren geschehen sind. Und all das beeinflusst die gesellschaftliche Haltung gegenüber der Religion, denn Religion ist ebenso sehr eine Lebensweise als eine Technik des Denkens.

92:7.15

Wahre Religion muss immer zugleich ewige Grundlage und Leitstern jeder dauerhaften Zivilisation sein.

92:7.16

[Dargeboten von einem Melchisedek von Nebadon.]


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