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Schamanismus – Medizinmänner und Priester

5. Priester und Rituale

90:5.1

Das Wesentliche des Rituals ist die Vollkommenheit seiner Ausführung; unter Wilden muss es mit peinlichster Genauigkeit eingehalten werden. Nur wenn das Ritual richtig durchgeführt worden ist, besitzt die Zeremonie zwingende Macht über die Geister. Wenn es fehlerhaft ist, erregt es nur den Ärger und Groll der Götter. Da der sich langsam entwickelnde Verstand des Menschen der Anschauung war, dass die Technik des Rituals der entscheidende Faktor seiner Wirksamkeit sei, war es unvermeidlich, dass die frühen Schamanen sich früher oder später zu einer Priesterschaft entwickelten, die in der Leitung des peinlich genau beobachteten Rituals geschult war. Und so haben während Zehntausenden von Jahren endlose Rituale die Gesellschaft behindert und sich wie ein Fluch auf die Zivilisation gelegt, haben als unerträgliche Bürde auf jedem Lebensakt, jedem Unternehmen der Rasse gelastet.

90:5.2

Das Ritual ist die Technik, durch welche ein Brauch geheiligt wird; das Ritual schafft Mythen und verewigt sie, und es trägt zur Bewahrung gesellschaftlichen und religiösen Brauchtums bei. Und das Ritual ist seinerseits aus Mythen hervorgegangen. Rituale sind oft zuerst gesellschaftlich, werden später wirtschaftlich und erlangen endlich die Heiligkeit und Würde religiösen Zeremoniells. Die Ausübung des Rituals kann persönlich oder kollektiv – oder beides in einem – sein, wie Gebet, Tanz und Drama veranschaulichen.

90:5.3

Wörter wurden zu Bestandteilen des Rituals; Beispiele dafür sind der Gebrauch von Ausdrücken wie Amen und Sela. Die Gewohnheit des Fluchens, des Gebrauchs gotteslästerlicher Kraftausdrücke ist eine Herabwürdigung einer früheren rituellen Wiederholung heiliger Namen. Pilgerfahrten zu Heiligtümern ist ein sehr altes Ritual. Die Rituale wuchsen sich später zu umständlichen Zere­mo­nien der Reinigung, Läuterung und Heiligung aus. Die Einweihungs­zeremonien der Geheimgesellschaften primitiver Stämme waren in Wirklichkeit ein roher religiöser Ritus. Die Andachtstechnik der alten Mysterienkulte war nichts weiter als eine lange Abfolge angehäufter religiöser Rituale. Das Ritual entwickelte sich schließlich zu den modernen Ausprägungen gesellschaftlichen Zeremoniells und religiöser Anbetung weiter, in Gottesdienste mit Gebet, Gesang, wechselseitigen Lesungen und anderen individuellen oder kollektiven geistigen Andachtsübungen.

90:5.4

Die Priester entwickelten sich aus den Schamanen über Weissager, Wahrsager, Sänger, Tänzer, Wettermacher, Hüter religiöser Reliquien, Tempelwächter und Kün­der kom­mender Ereignisse bis zum Rang von richtigen Leitern der religiösen Verehrung. Schließlich wurde das Priesteramt erblich; eine dauernde Priester­kaste entstand.

90:5.5

Als sich die Religion entwickelte, begannen die Priester, sich gemäß ihren angeborenen Talenten oder besonderen Vorlieben zu spezialisieren. Die einen wurden Sänger, die anderen Beter und noch andere Opferer; später gesellten sich die Redner – die Prediger – zu ihnen. Und als die Religion zu einer Institution wurde, erhoben die Priester den Anspruch, „die Schlüssel zum Himmel zu besitzen“.

90:5.6

Die Priester versuchten das einfache Volk immer dadurch zu beeindrucken und mit heiliger Scheu zu erfüllen, dass sie das religiöse Ritual in einer alten Sprache und mit allerlei magischen Kunstgriffen zelebrierten, womit sie die Gläubigen hinters Licht führten und ihren eigenen Ruf der Frömmigkeit und ihre Autorität verstärkten. Die große Gefahr bei alledem ist, dass das Ritual die Tendenz hat, zu einem Ersatz für die Religion zu werden.

90:5.7

Die Priesterschaften haben viel getan, um die wissenschaftliche Entwicklung zu verzögern und den geistigen Fortschritt zu behindern, aber sie haben zur Stabilisierung der Zivilisation und zur Bereicherung gewisser Aspekte der Kultur beigetragen. Aber viele moderne Priester haben aufgehört, als Lenker des Rituals der Gottesverehrung zu fungieren, und ihre Aufmerksamkeit der Theologie zugewandt – dem Versuch, Gott zu definieren.

90:5.8

Es kann nicht bestritten werden, dass die Priester ein Mühlstein am Nacken der Rassen gewesen sind, aber die wahren religiösen Führer hatten einen unschätzbaren Wert, weil sie den Weg zu höheren und besseren Realitäten wiesen.

90:5.9

[Dargeboten von einem Melchisedek von Nebadon.]


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