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Frühe Evolution der Religion

4. Die Vorstellung von einem Fortleben nach dem Tode

86:4.1

Die Vorstellung von einer übermateriellen Phase der sterblichen Persön­lichkeit entstand aus der unbewussten und rein zufälligen Verknüpfung von Bege­benheiten des täglichen Lebens mit dem Phantomtraum. Wenn mehrere Mitglieder eines Stammes gleichzeitig von ihrem verstorbenen Häuptling träumten, schien das ein überzeugender Beweis dafür, dass der alte Häuptling tatsächlich in irgendeiner Gestalt zurückgekehrt war. All das besaß für den Wilden, der aus solchen Träumen schweißgebadet, zitternd und schreiend aufwachte, große Wirklichkeit.

86:4.2

Die Tatsache, dass der Glaube an eine künftige Existenz seine Wurzeln im Traum hat, erklärt die Neigung, sich nie erblickte Dinge stets in Gestalt bekannter Dinge vorzustellen. Und bald begann diese aus Phantomträumen hervorgegangene neue Vorstellung von einem zukünftigen Leben, ein wirksames Gegengift gegen die mit dem biologischen Instinkt der Selbsterhaltung einhergehende Todesangst zu liefern.

86:4.3

Der frühe Mensch wurde auch sehr beunruhigt durch seinen Atem, besonders in kalten Klimata, wo dieser beim Ausatmen als Wolke erschien. Der Lebensatem wurde als jenes Phänomen angesehen, das Lebendiges von Totem unterschied. Der Primitive wusste, dass der Atem den Körper verlassen konnte, und seine Träume, in denen er allerlei wunderliche Dinge tat, überzeugten ihn davon, dass am menschlichen Wesen etwas Immaterielles war. Die primitivste Vorstellung von der menschlichen Seele, das Phantom, ging aus dem mit Atem und Traum verknüpften Ideensystem hervor.

86:4.4

Schließlich sah der Wilde sich selbst als ein Doppelwesen – als Körper und Atem. Der Atem abzüglich des Körpers kam einem Geist, einem Phantom gleich. Obwohl die Phantome oder Geister einen eindeutig menschlichen Ursprung hatten, betrachtete man sie als übermenschlich. Und dieser Glaube an die Existenz entkörperlichter Geister schien das Eintreten alles Ungewöhnlichen, Außerordentlichen, Seltenen und Unbegreiflichen zu erklären.

86:4.5

Die primitive Lehre von einem Fortleben nach dem Tode war nicht notwendigerweise ein Glaube an Unsterblichkeit. Wesen, die nicht weiter als bis zwanzig zählen konnten, waren schwerlich imstande, sich die Unendlichkeit oder Ewigkeit vorzustellen; sie dachten eher an wiederkehrende Inkarnationen.

86:4.6

Ganz besonders die orange Rasse glaubte an Seelenwanderung und Reinkarnation. Die Idee der Reinkarnation entsprang der Beobachtung, dass Nach­kommen in Erbmerkmalen und Wesenszügen oft ihren Ahnen glichen. Der Brauch, Kinder nach ihren Großeltern und anderen Vorfahren zu benennen, hatte seinen Grund im Glauben an die Reinkarnation. Einige spätere Rassen glaubten, der Mensch sterbe drei- bis siebenmal. Dieser Glaube (Überbleibsel der Lehren Adams über die Residenzwelten) und viele andere Überreste offenbarter Religion können unter den im Übrigen absurden Lehren von Barbaren des zwanzigsten Jahrhunderts gefunden werden.

86:4.7

Der frühe Mensch dachte weder an Hölle noch an künftige Bestrafung. Der Wilde stellte sich das zukünftige Leben gerade so wie das hiesige vor, abzüglich des Pechs. Später kam man auf die Idee einer getrennten Bestimmung für gute Phantome und böse Phantome – Himmel und Hölle. Aber da viele primitive Rassen glaubten, dass der Mensch ganz so ins nächste Leben eintrete, wie er das gegenwärtige verließ, fanden sie keinen Geschmack an der Idee, alt und hinfällig zu werden. Die Betagten zogen es viel eher vor, getötet zu werden, bevor sie gebrechlich wurden.

86:4.8

Fast jede Volksgruppe machte sich eine andere Vorstellung von der Bestim­mung der Phantomseele. Die Griechen glaubten, dass schwache Menschen schwache Seelen besäßen; so erfanden sie den Hades als passenden Ort für die Aufnahme solch blutarmer Seelen; ihnen zufolge hatten diese schwächlichen Seelen auch kürzere Schatten. Die frühen Anditen dachten, dass ihre Phantome in die Stammlande ihrer Ahnen zurückkehrten. Die Chinesen und Ägypter glaubten einst, dass Körper und Seele zusammenblieben. Bei den Ägyptern führte dies zu sorgfältigen Grabkonstruktionen und zum Bemühen um Körperkonservierung. Sogar moderne Völker versuchen, den Zerfall der Toten zu verhindern. Die Hebräer stellten sich vor, dass ein Phantom-Ebenbild des Einzelnen in den Scheol hinuntersteige; es konnte nicht in das Land der Lebenden zurückkehren. Sie machten tatsächlich diesen wichtigen Fortschritt in der Lehre von der Evolution der Seele.


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