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Die Evolution der menschlichen Regierung

9. Menschenrechte

70:9.1

Die Natur verleiht dem Menschen keine Rechte, bloß das Leben und eine Welt, um in ihr zu leben. Die Natur verleiht ihm nicht einmal das Recht zu leben, wie aus der Betrachtung dessen erhellt, was sehr wahrscheinlich geschehen würde, wenn sich ein unbewaffneter Mensch im primitiven Urwald plötzlich einem hungrigen Tiger gegenüber sähe. Das erste Geschenk der Gesellschaft an den Menschen ist Sicherheit.

70:9.2

Schrittweise hat die Gesellschaft ihre Rechte gefestigt, und diese sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt:

70:9.3

1. Sicherung der Nahrungsversorgung.

70:9.4

2. Militärische Verteidigung – Sicherheit durch Bereitschaft.

70:9.5

3. Friedenssicherung im Inneren – Verhinderung persönlicher Gewalt und sozialer Unruhen.

70:9.6

4. Sexuelle Kontrolle – Ehe, die Institution der Familie.

70:9.7

5. Besitz – das Recht, etwas zu besitzen.

70:9.8

6. Förderung von individuellem und Gruppenwettbewerb.

70:9.9

7. Gelegenheit zu Erziehung und Ausbildung für die Jugend.

70:9.10

8. Förderung von Austausch und Handel – industrielle Entwicklung.

70:9.11

9. Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Entlöhnung.

70:9.12

10. Garantie freier Religionsausübung, damit all diese anderen sozialen Aktivitäten dadurch veredelt werden, dass sie aus einem geistigen Antrieb geschehen.

70:9.13

Wenn Rechte hinter einen bekannten Ursprung zurückreichen, nennt man sie oft natürliche Rechte. Aber Menschenrechte sind nicht wirklich natürlich; sie sind ganz und gar sozial. Sie sind relativ und ständigem Wechsel unterworfen, denn sie sind weiter nichts als Spielregeln – anerkannte Anpassungen von Beziehungen, welche die sich dauernd verändernden Phänomene des menschlichen Wettbewerbs regieren.

70:9.14

Was in einem Zeitalter als richtig angesehen wird, mag einem anderen nicht so erscheinen. Geschädigte und Degenerierte überleben nicht deshalb in großer Zahl, weil sie irgendein natürliches Recht darauf besitzen, in dieser Weise die Zivilisation des zwanzigsten Jahrhunderts zu belasten, sondern einfach, weil die Gesellschaft des Zeitalters, die herrschenden Sitten, es so wollen.

70:9.15

Im europäischen Mittelalter waren nur wenige Menschenrechte anerkannt; damals gehörte jedermann irgendjemand anderem, und Rechte waren nur von Staat oder Kirche gewährte Privilegien oder Gunstbezeigungen. Und die Auflehnung gegen diesen Irrtum irrte sich ebenfalls darin, dass sie zum Glauben führte, alle Menschen seien gleich geboren.

70:9.16

Die Schwachen und Inferioren haben immer für gleiche Rechte gekämpft; sie haben immer darauf bestanden, dass der Staat die Starken und Höher stehenden dazu zwinge, ihre Ansprüche zu befriedigen und für jene Schwächen aufzukommen, die nur allzu oft das natürliche Resultat ihrer eigenen Gleichgül­tigkeit und Indolenz sind.

70:9.17

Aber dieses Gleichheitsideal ist ein Kind der Zivilisation; es findet sich nicht in der Natur. Sogar die Kultur selber beweist schlüssig die angeborene Ungleichheit der Menschen, indem diese eine sehr ungleiche Fähigkeit zu ihr besitzen. Die plötzliche und nichtevolutionäre Verwirklichung einer angeblich natürlichen Gleichheit würde den zivilisierten Menschen alsbald in die rohen Sitten primitiver Zeitalter zurückwerfen. Die Gesellschaft kann nicht allen gleiche Rechte einräumen, aber sie kann versprechen, die verschiedenen Rechte eines jeden mit Sinn für Gerechtigkeit und Billigkeit zu handhaben. Es ist Aufgabe und Pflicht der Gesellschaft, dem Kind der Natur faire und friedliche Gelegenheit zu geben, für seine Selbsterhaltung zu sorgen, sich an der Fortpflanzung zu beteiligen und sich gleichzeitig eines gewissen Maßes an Selbstbeglückung zu erfreuen, denn die Summe aller drei macht menschliches Glück aus.


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