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Die Zeit im Grabe

5. Was das Kreuz uns lehrt

188:5.1

Das Kreuz Jesu veranschaulicht das volle Maß der höchsten Hingabe des wahren Hirten selbst an die unwürdigen Mitglieder seiner Herde. Es stellt für alle Zeiten sämtliche Beziehungen zwischen Gott und Mensch auf die Grundlage der Familie. Gott ist der Vater; der Mensch ist sein Sohn. Die Liebe, Liebe eines Vaters zu seinem Sohn, wird zur zentralen Wahrheit in den Universumsbeziehungen zwischen Schöpfer und Geschöpf – nicht die Gerechtigkeit eines Königs, die in den Leiden und in der Bestrafung seiner sündigen Untertanen Befriedigung sucht.

188:5.2

Das Kreuz zeigt für immer, dass Jesu Haltung gegenüber Sündern weder Verurteilung noch stillschweigende Duldung war, sondern vielmehr ewige und liebevolle Errettung. Jesus ist wahrlich ein Retter in dem Sinne, dass sein Leben und Sterben die Menschen für Güte und rechtschaffenes Fortleben nach dem Tode gewinnt. Jesus liebt die Menschen so sehr, dass seine Liebe im Menschenherzen antwortende Liebe weckt. Liebe ist wirklich ansteckend und ewig schöpferisch. Jesu Tod am Kreuz ist das Beispiel einer Liebe, die stark und göttlich genug ist, um Sünde zu vergeben und alle Missetat zu vertilgen. Jesus offenbarte dieser Welt eine höhere Art von Rechtschaffenheit als Gerechtigkeit – als rein formales Recht und Unrecht. Göttliche Liebe vergibt Unrecht nicht nur, sie absorbiert und zerstört es tatsächlich. Verzeihung aus Liebe transzendiert ganz und gar Verzeihung aus Barmherzigkeit. Barmherzigkeit lässt die Schuld an begangenem Unrecht außer Acht; aber Liebe zerstört die Sünde und alle aus ihr hervorgehende Schwachheit für immer. Jesus brachte Urantia eine neue Lebensweise. Er lehrte uns, dem Bösen nicht zu widerstehen, sondern durch ihn eine Güte zu finden, die das Böse wirksam zerstört. Jesu Verzeihen ist nicht Duldung; es ist Rettung vor Verurteilung. Rettung verharmlost Unrecht nicht; sie macht es wieder gut. Wahre Liebe geht mit dem Hass keinen Kompromiss ein, noch sieht sie über ihn hinweg; sie zerstört ihn. Jesu Liebe gibt sich nie mit bloßem Verzeihen zufrieden. Die Liebe des Meisters schließt Rehabilitierung, ewiges Leben ein. Es ist durchaus zutreffend, von der Errettung als Erlösung zu sprechen, wenn man damit diese ewige Rehabilitierung meint.

188:5.3

Durch die Gewalt seiner persönlichen Liebe zu den Menschen konnte Jesus die Macht der Sünde und des Bösen brechen. Dadurch machte er die Menschen frei, bessere Lebensweisen zu wählen. Jesus verkörperte eine Befreiung von der Vergangenheit, die in sich einen Triumph für die Zukunft versprach. So brachte Vergeben Errettung. Wenn sich das menschliche Herz einmal ganz der Schönheit göttlicher Liebe geöffnet hat, zerstört diese für immer das Bestrickende der Sünde und die Macht des Bösen.

188:5.4

Die Leiden Jesu beschränkten sich nicht auf die Kreuzigung. In Wahrheit verbrachte Jesus von Nazareth mehr als fünfundzwanzig Jahre am Kreuz einer realen und intensiven menschlichen Existenz. Der wahre Wert des Kreuzes liegt in der Tatsache, dass es der höchste und endgültige Ausdruck seiner Liebe, die vollendete Offenbarung seiner Barmherzigkeit war.

188:5.5

Auf Millionen von bewohnten Welten haben Dutzende von Billionen sich entwickelnder Geschöpfe, die etwa in Versuchung geraten mochten, ihr sittliches Ringen einzustellen und den guten Glaubenskampf aufzugeben, ihren Blick von neuem auf Jesus am Kreuz gerichtet und sich dann weiter vorangekämpft, inspiriert vom Anblick Gottes, der in Hingabe an den selbstlosen Dienst am Menschen sein inkarniertes Leben ablegt.

188:5.6

Der Geist von Jesu Haltung gegenüber seinen Angreifern ist die Quintessenz seines siegreichen Todes am Kreuz. Er machte aus dem Kreuz ein ewiges Symbol für den Triumph der Liebe über den Hass und für den Sieg der Wahrheit über das Böse, als er betete: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Diese liebende Hingabe wirkte in einem riesigen Universum ansteckend; die Jünger übernahmen sie von ihrem Meister. Der allererste Lehrer seines Evangeliums, an den der Ruf erging, sein Leben in diesem Dienst hinzugeben, sagte, als sie ihn zu Tode steinigten: „Rechne ihnen diese Sünde nicht an.“

188:5.7

Das Kreuz appelliert übermächtig an das Beste im Menschen, weil es einen offenbart, der gewillt war, sein Leben im Dienst an seinen Mitmenschen hinzugeben. Kein Mensch kann eine größere Liebe haben als diese: gewillt zu sein, sein Leben für seine Freunde hinzugeben – und Jesu hatte eine solche Liebe, dass er gewillt war, sein Leben sogar für seine Feinde hinzugeben, eine größere Liebe als alles, was man bisher auf Erden gekannt hatte.

188:5.8

Sowohl auf Urantia wie auch auf anderen Welten hat der erhabene Anblick des Sterbens des menschlichen Jesus am Kreuz von Golgatha die Gefühle der Sterblichen aufgewühlt, während es in den Engeln die höchste Hingabe wachrief.

188:5.9

Das Kreuz ist das hohe Symbol geheiligten Dienstes, der Hingabe unseres Lebens an das Wohl und die Rettung unserer Mitmenschen. Das Kreuz ist nicht das Symbol der Opferung des unschuldigen Gottessohnes anstelle schuldiger Sünder zur Besänftigung des Zorns eines beleidigten Gottes, sondern es steht auf Erden und in einem weiten Universum auf ewig als ein heiliges Symbol für die Guten, die sich den Bösen schenken und sie gerade durch diese hingebende Liebe retten. Das Kreuz steht wirklich als ein Zeichen für die höchste Form selbstlosen Dienens, für den äußersten Einsatz der ganzen Liebeskraft eines rechtschaffenen Lebens im Dienste rückhaltlosen Gebens, selbst im Tode, im Tod am Kreuz. Allein der Anblick dieses großen Symbols von Jesu Leben der Selbsthingabe inspiriert uns wahrlich alle, uns aufzumachen und zu handeln wie er.

188:5.10

Wenn denkende Männer und Frauen auf Jesus blicken, wie er sein Leben am Kreuz dahingibt, werden sie es sich kaum mehr erlauben, sich zu beklagen, auch nicht in den schlimmsten Lebenslagen, und noch viel weniger bei kleinen Ärgernissen oder wegen ihrer vielen rein fiktiven Beschwerden. Sein Leben war so wunderbar und sein Tod so siegreich, dass wir alle versucht sind, beide mit ihm teilen zu wollen. In Michaels ganzer Selbsthingabe liegt eine wahre Anziehungskraft, von den Tagen seiner Jugend an bis zu der überwältigenden Szene seines Sterbens am Kreuz.

188:5.11

Wenn ihr das Kreuz als eine Offenbarung Gottes betrachtet, dann vergewissert euch, dass ihr nicht mit den Augen der Primitiven seht, noch aus dem Blickwinkel der späteren Barbaren, die beide Gott als einen unbarmherzigen Herrscher sahen, dessen Gericht streng und dessen Anwendung der Gesetze starr war. Vergewissert euch vielmehr, dass ihr im Kreuz den endgültigen Ausdruck der Liebe und Hingabe Jesu an seine Lebenssendung der Selbsthingabe zugunsten der sterblichen Rassen seines unermesslichen Universums erblickt. Seht im Tod des Menschensohnes den Höhepunkt der Offenbarung der göttlichen Liebe des Vaters an seine Söhne auf den Welten der Sterblichen. Und so veranschaulicht das Kreuz die Gabe bereitwilliger Liebe und die Verschenkung freiwilliger Errettung an jene, die gewillt sind, solche Geschenke und eine solche Hingabe anzunehmen. Es gab am Kreuz nichts, was der Vater verlangt hätte – nur das, was Jesus so bereitwillig gab und dem auszuweichen er sich weigerte.

188:5.12

Wenn Menschen Jesus nicht anderswie zu würdigen und die Bedeutung seiner Selbsthingabe auf Erden zu verstehen vermögen, so können sie wenigstens erfassen, dass er in seinen Leiden eines Sterblichen ihr Schmerzensbruder ist. Kein Mensch kann fortan mehr befürchten, der Schöpfer kenne die Natur oder das Ausmaß seiner zeitlichen Nöte nicht.

188:5.13

Wir wissen, dass der Kreuzestod nicht zur Aufgabe hatte, die Menschen mit Gott zu versöhnen, sondern ihnen ein Stimulus zu sein, sich der ewigen Liebe des Vaters und der nie versiegenden Barmherzigkeit seines Sohnes bewusst zu werden, und diese universalen Wahrheiten einem ganzen Universum bekannt zu machen.


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