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Mittwoch, der Ruhetag

5. Die letzte gemeinsame Stunde

177:5.1

Wie an jedem Mittwoch war der Abend im Lager der Geselligkeit gewidmet. Der Meister gab sich alle Mühe, seine niedergeschlagenen Apostel aufzumuntern, aber das war beinahe unmöglich. Sie begannen alle zu begreifen, dass beunruhigende und erdrückende Ereignisse nahe bevorstanden. Es gelang ihnen nicht, heiter zu sein, nicht einmal, als der Meister ihre Jahre ereignisreicher und liebevoller Zusammenarbeit wiederaufleben ließ. Jesus erkundigte sich eingehend nach den Familien aller Apostel und, indem er zu David Zebedäus hinüberschaute, fragte er, ob jemand kürzlich von seiner Mutter, seiner jüngsten Schwester oder anderen Mitgliedern seiner Familie gehört habe. David schaute auf seine Füße; er hatte Angst zu antworten.

177:5.2

Jesus legte bei dieser Gelegenheit seinen Anhängern nahe, sich vor dem Beifall der Menge zu hüten. Er erinnerte sie an ihre Erlebnisse in Galiläa, wo ihnen immer wieder große Mengen Volks begeistert gefolgt waren, die sich dann ebenso heftig gegen sie gewandt hatten und zu ihrer früheren Glaubens- und Lebensart zurückgekehrt waren. Und dann sagte er: „Und so dürft ihr euch auch durch die große Menschenmenge nicht täuschen lassen, die uns im Tempel zugehört hat und an unsere Lehre zu glauben schien. Diese Menschenmassen hören sich die Wahrheit an und in Gedanken glauben sie oberflächlich daran, aber nur wenige erlauben dem Wort der Wahrheit, sich mit lebendigen Wurzeln in ihr Herz zu senken. Auf die Unterstützung derer, die das Evangelium nur mit dem Verstand kennen und es nicht im Herzen erfahren haben, kann man sich nicht verlassen, wenn sich wirkliche Schwierigkeiten einstellen. Wenn die Führer der Juden übereinkommen, den Menschensohn zu vernichten und dann einmütig zuschlagen, werdet ihr die Menge erschreckt auseinanderstieben oder in stummer Verwunderung dastehen sehen, während diese wahnwitzigen und geblendeten Führer die Lehrer der Evangeliumswahrheit zur Hinrichtung abführen. Und wenn danach Not und Verfolgung über euch kommen, werden noch andere, an deren Wahrheitsliebe ihr glaubt, zerstreut werden, und einige werden das Evangelium aufgeben und euch verlassen. Einige, die uns sehr nahe standen, sind schon entschlossen, uns im Stich zu lassen. Ihr habt euch heute ausgeruht in Vorbereitung auf die Zeit, die jetzt vor uns liegt. Seht deshalb zu und betet, dass ihr morgen gestärkt seid für die uns unmittelbar bevorstehenden Tage.“

177:5.3

Die Atmosphäre im Lager war mit einer unerklärlichen Spannung geladen. Schweigende Boten kamen und gingen und besprachen sich nur mit David Zebedäus. Noch vor Ablauf des Abends wussten einige, dass Lazarus in aller Hast aus Bethanien geflohen war. Johannes Markus war nach seiner Rückkehr ins Lager von einer Schweigsamkeit, die Schlimmes ahnen ließ, obwohl er den ganzen Tag in Gesellschaft des Meisters verbracht hatte. Jeder Versuch, ihn zum sprechen zu bringen, machte nur umso deutlicher, dass Jesus ihm Schwei­gen auferlegt hatte.

177:5.4

Sogar die gute Laune des Meisters und seine ungewöhnliche Geselligkeit machten ihnen Angst. Sie alle fühlten irgendwie das Nahen einer fürchterlichen Isolation, und entsetzt nahmen sie wahr, wie diese mit jäher Plötzlichkeit, vor der es kein Entrinnen gab, auf sie herabsank. Sie ahnten das Kommende vage voraus, und keiner fühlte sich bereit, sich der Prüfung zu stellen. Der Meister war den ganzen Tag abwesend gewesen; sie hatten ihn furchtbar vermisst.

177:5.5

An diesem Mittwoch erreichte ihre geistige Verfassung den tiefsten Punkt vor der eigentlichen Todesstunde des Meisters. Obwohl der nächste Tag sie dem tragischen Freitag noch um einen Tag näher brachte, so war Jesus doch mit ihnen, und sie gingen etwas ruhiger durch die beklemmenden Stunden.

177:5.6

Es war kurz vor Mitternacht, als sich Jesus für die Nacht von ihnen verabschiedete und zu ihnen im Bewusstsein, dass dies die letzte Nacht war, die er je mit seiner erwählten Familie auf Erden durchschlafen würde, sagte: „Geht jetzt schlafen, meine Brüder, und Friede sei mit euch, bis wir morgen aufstehen, einem weiteren Tag, den Willen des Vaters zu tun, und uns in der Gewissheit zu freuen, seine Söhne zu sein.“


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