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Die letzte Rede im Tempel

4. Die Lage in Jerusalem

175:4.1

Am Ende der letzten Rede Jesu im Tempel blieben die Apostel wiederum verwirrt und bestürzt zurück. Bevor der Meister mit seiner furchtbaren Anklage gegen die jüdischen Führer begann, war Judas zum Tempel zurückgekehrt, so dass alle Zwölf diese zweite Hälfte von Jesu letzter Tempelrede hörten. Es ist bedauerlich, dass Judas Iskariot die erste und Gnade anbietende Hälfte der Abschiedsbotschaft nicht hören konnte. Er verpasste dieses letzte Angebot der Barmherzigkeit an die jüdischen Führer, weil er sich noch mit einer Gruppe von sadduzäischen Verwandten und Freunden besprach, mit denen er zu Mittag gespeist hatte und mit denen er sich darüber beriet, wie er sich auf die passendste Weise von Jesus und seinen Mit­aposteln trennen könnte. Während Judas sich des Meisters letzte Anklage gegen die jüdischen Führer und Gebieter anhörte, fasste er den endgültigen und unwiderruflichen Entschluss, die Evangeliumsbewegung aufzugeben und mit der ganzen Angelegenheit nichts mehr zu tun zu haben. Trotzdem verließ er den Tempel zusammen mit den Zwölf, ging mit ihnen zum Ölberg hinaus, wo er sich mit seinen Mitaposteln jene schicksalschweren Worte über die Zerstörung Jerusalems und das Ende der jüdischen Nation anhörte, und blieb an diesem Dienstagabend mit ihnen im neuen Lager bei Gethsemane.

175:4.2

Die Menge, die Jesus vom erbarmungsvollen Appell an die jüdischen Führer plötzlich zu diesem vernichtenden Tadel übergehen hörte, der an schonungslose Verurteilung grenzte, war wie gelähmt und fassungslos. Während der Sanhedrin an diesem Abend das Todesurteil über Jesus fällte und der Meister mit seinen Aposteln und einigen seiner Jünger draußen am Ölberg zusammensaß und den Tod der jüdischen Nation voraussagte, gab sich ganz Jerusalem nur der ernsten und heimlichen Besprechung der einen Frage hin: „Was werden sie mit Jesus tun?“

175:4.3

Im Hause des Nikodemus hatten sich über dreißig prominente Juden eingefunden, die im Geheimen an das Königreich glaubten und darüber berieten, welchen Kurs sie im Falle eines offenen Bruchs mit dem Sanhedrin verfolgen sollten. Alle Anwesenden kamen überein, zum selben Zeitpunkt, da sie von der Verhaftung des Meisters erfahren würden, ein öffentliches Treuebekenntnis zu ihm abzulegen. Und genau das taten sie.

175:4.4

Die Sadduzäer, die jetzt den Sanhedrin kontrollierten und beherrschten, wünschten sich Jesu aus folgenden Gründen zu entledigen:

175:4.5

1. Sie befürchteten, dass die zunehmende allgemeine Sympathie, die die Menge ihm bewies, die Existenz der jüdischen Nation wegen eines möglichen Konfliktes mit der römischen Obrigkeit gefährden könnte.

175:4.6

2. Jesu Eifer für eine Tempelreform war ein direkter Schlag gegen ihre Einkünfte; die Reinigung des Tempels traf ihren Geldbeutel.

175:4.7

3. Sie fühlten sich für die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung verantwortlich, und sie fürchteten sich vor den Folgen einer Weiter­verbreitung der seltsamen und neuartigen Lehre Jesu von der Brüderlichkeit der Menschen.

175:4.8

Die Pharisäer hatten andere Beweggründe, Jesu Hinrichtung zu wünschen. Sie fürchteten ihn aus folgenden Gründen:

175:4.9

1. Er stand in wirkungsvoller Opposition zu ihrer althergebrachten Macht über das Volk. Die Pharisäer waren ultrakonservativ, und diese vermein­tlich radikalen Angriffe auf ihr angestammtes Prestige als religiöse Lehrer riefen ihren erbitterten Groll hervor.

175:4.10

2. Sie behaupteten, Jesus sei ein Gesetzesbrecher, und er habe für den Sabbat und zahlreiche andere gesetzliche und zeremonielle Vorschriften äußerste Missachtung gezeigt.

175:4.11

3. Sie warfen ihm Gotteslästerung vor, weil er von Gott als seinem Vater sprach.

175:4.12

4. Und jetzt waren sie äußerst erbost über ihn wegen seiner letzten Rede heftiger Anprangerung, die er an diesem Tag als Schlussteil seiner Abschieds­botschaft im Tempel gehalten hatte.

175:4.13

Der Sanhedrin vertagte sich an diesem Dienstag gegen Mitternacht, nachdem er in aller Form Jesu Tod beschlossen und Befehl zu seiner Verhaftung erteilt und ein Treffen im Hause des Hohenpriesters Kajaphas auf zehn Uhr am nächsten Vormittag anberaumt hatte, um die Anklagen zu formulieren, aufgrund derer Jesus vor Gericht gebracht werden sollte.

175:4.14

Eine kleine Gruppe von Sadduzäern hatte tatsächlich vorgeschlagen, Jesus durch Mord aus dem Wege zu räumen, aber die Pharisäer weigerten sich entschieden, ein solches Vorgehen zu billigen.

175:4.15

So lagen an diesem ereignisreichen Tag die Dinge in Jerusalem und bei den Menschen, während über dem denkwürdigen irdischen Schauplatz eine große Versammlung himmlischer Wesen schwebte, welche sehnlich wünschten, etwas zu tun, um ihrem geliebten Herrscher beizustehen, aber machtlos waren zu handeln, weil die sie befehligenden Vorgesetzten sie wirksam davon abhielten.


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