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Schrift 175
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Die letzte Rede im Tempel

1. Die Predigt

175:1.1

„Lange bin ich nun bei euch gewesen und im Lande umhergezogen, um den Menschenkindern die Liebe des Vaters zu verkünden, und viele haben das Licht gesehen und sind durch den Glauben ins Königreich des Himmels eingetreten. In Verbindung mit dem, was ich gelehrt und gepredigt habe, hat der Vater viele Wunderwerke, sogar die Auferweckung von den Toten, vollbracht. Viele Kranke und Leidende sind geheilt worden, weil sie geglaubt haben; aber diese ganze Wahrheitsverkündigung und all diese Krankenheilungen haben die Augen derer nicht geöffnet, die sich weigern, das Licht zu sehen und entschlossen sind, das Evangelium vom Königreich abzulehnen.

175:1.2

In jeder erdenklichen Weise, die mit der Ausführung des Willens meines Vaters vereinbar war, haben ich und meine Apostel unser Möglichstes getan, um mit unseren Brüdern in Frieden zu leben und uns an die vernünftigen Forderungen der Gesetze Mose und der Traditionen Israels zu halten. Wir haben beharrlich den Frieden gesucht, aber die Lenker Israels wollen ihn nicht. Indem sie die Wahrheit Gottes und das Licht des Himmels ablehnen, stellen sie sich auf die Seite des Irrtums und der Dunkelheit. Es kann keinen Frieden geben zwischen Licht und Dunkel, Leben und Tod, Wahrheit und Irrtum.

175:1.3

Viele von euch haben es gewagt, an meine Lehren zu glauben, und haben bereits teil an der Freude und Freiheit des Bewusstseins, Kinder Gottes zu sein. Ihr seid meine Zeugen, dass ich dieselbe Gotteskindschaft der ganzen jüdischen Nation und selbst den Männern angeboten habe, die mich jetzt zu vernichten suchen. Und sogar jetzt noch würde mein Vater diese verblendeten Lehrer und heuchlerischen Führer empfangen, wenn sie sich ihm nur zuwenden und seine Gnade annehmen wollten. Sogar jetzt ist es für dieses Volk noch nicht zu spät, das Wort des Himmels zu emp­fangen und den Menschensohn willkommen zu heißen.

175:1.4

Seit langem hat mein Vater diesem Volk Barmherzigkeit erwiesen. Gene­ration um Generation haben wir unsere Propheten gesandt, um es zu unterweisen und zu warnen, und Generation um Generation hat es diese vom Himmel gesandten Lehrer umgebracht. Und nun schicken sich eure halsstarrigen Hohenpriester und eigensinnigen Führer an, genau dasselbe zu tun. So wie Herodes den Tod des Johannes veranlasste, seid ihr jetzt im Begriff, den Menschen­sohn umzubringen.

175:1.5

Solange eine Möglichkeit besteht, dass sich die Juden meinem Vater zuwenden und das Heil suchen wollen, wird der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs euch seine barmherzigen Hände entgegenstrecken; aber wenn ihr einmal den Becher der Reuelosigkeit bis zum Rande gefüllt und meines Vaters Barmherzigkeit endgültig abgelehnt habt, wird diese Nation sich selber überlassen bleiben und rasch ein unrühmliches Ende nehmen. Dieses Volk war dazu aufgerufen, das Licht der Welt zu werden und weithin die geistige Herrlichkeit einer Gott kennenden Rasse kundzutun, aber ihr habt euch von der Ausübung eurer göttlichen Vorrechte so weit entfernt, dass eure Führer jetzt im Begriff sind, die größte Torheit aller Zeiten zu begehen: Sie sind dabei, das Geschenk Gottes an alle Menschen und für alle Zeitalter – die all seinen irdischen Geschöpfen offenbarte Liebe des himmlischen Vaters – endgültig zurückzuweisen.

175:1.6

Wenn ihr einmal diese Offenbarung Gottes an die Menschen tatsächlich zurückgewiesen habt, wird das Königreich des Himmels anderen Völkern geschenkt werden, solchen, die es freudig und glücklich empfangen wollen. Im Namen des Vaters, der mich gesandt hat, mache ich euch eindringlich darauf aufmerksam, dass ihr im Begriff seid, eure Stellung in der Welt als Bannerträger der ewigen Wahrheit und Hüter des göttlichen Gesetzes zu verlieren. Ich biete euch jetzt die letzte Gelegenheit, vorzutreten und Reue zu zeigen und eure Absicht zu bekunden, Gott von ganzem Herzen zu suchen, und mit dem aufrichtigen Glauben kleiner Kinder in die Sicherheit und das Heil des Königreichs des Himmels einzutreten.

175:1.7

Mein Vater arbeitet seit langem für euer Heil, und ich bin herabgekommen, um unter euch zu leben und euch persönlich den Weg zu zeigen. Viele Juden und Samaritaner und sogar die Heiden haben an das Evangelium vom Königreich geglaubt, aber diejenigen, die als erste vortreten und das Licht des Himmels annehmen sollten, haben es beharrlich abgelehnt, an die Offenbarung der Wahrheit Gottes zu glauben – an den im Menschen offenbarten Gott und den zu Gott emporgehobenen Menschen.

175:1.8

Heute Nachmittag stehen meine Apostel hier schweigend vor euch, aber bald werdet ihr ihre Stimmen vernehmen, die euch zur Rettung rufen und drängen werden, euch als Söhne des lebendigen Gottes mit dem himmlischen Königreich zu vereinigen. Und nun rufe ich diese meine Jünger, die an das Evangelium vom Königreich glauben, sowie die unsichtbaren Boten an ihrer Seite zu Zeugen an, dass ich Israel und seinen Führern einmal mehr Erlösung und Rettung angeboten habe. Aber ihr könnt alle sehen, wie des Vaters Gnade gering geachtet wird und wie die Botschafter der Wahrheit abgewiesen werden. Dessen ungeachtet gebe ich euch zu bedenken, dass diese Schriftgelehrten und Pharisäer immer noch auf dem Stuhl Mose sitzen, und deshalb fordere ich euch auf, solange mit den Ältesten Israels zusammenzuarbeiten, bis die Allerhöchsten, die in den Königreichen der Menschen regieren, dieser Nation schließlich den Untergang bereiten und den Sitz ihrer Führer vernichten werden. Es wird von euch nicht verlangt, euch ihren Plänen zur Tötung des Menschensohnes anzuschließen, aber in allem, was den Frieden Israels betrifft, sollt ihr euch ihnen unterziehen. Tut in all diesen Dingen, was sie euch zu tun gebieten und beachtet das Wesentliche des Gesetzes, aber nehmt euch ihre Missetaten nicht zum Vorbild. Denkt daran, dass dies die Sünde dieser Führer ist: Sie verkünden wohl das Gute, aber sie tun es nicht. Ihr wisst nur zu gut, welch schwere Lasten sie auf eure Schultern laden – schmerzhaft drückende Lasten –, während sie keinen Finger rühren, um euch beim Tragen dieser schweren Bürden zu helfen. Sie haben euch mit Zeremonien bedrückt und durch Traditionen versklavt.

175:1.9

Darüber hinaus gefallen sich diese egozentrischen Führer darin, ihre guten Werke so zu verrichten, dass die Menschen sie sehen können. Sie lassen sich ihre Gebetsriemen verbreitern und die Borten an ihren Amtsroben vergrößern. Sie verlangen bei Festen die ersten Plätze und beanspruchen in den Synagogen die Ehrensitze. Sie begehren, dass man sie auf den Marktplätzen ehrerbietig grüße, und wünschen, von allen mit ‚Rabbi‘ angesprochen zu werden. Und während sie nach all diesen menschlichen Ehrenbezeugungen gieren, greifen sie insgeheim nach den Häusern von Witwen und bereichern sich an den heiligen Tempeldiensten. In der Öffentlichkeit täuschen diese Heuchler lange Gebete vor und spenden Almosen, um die Aufmerksamkeit ihrer Mitmenschen auf sich zu lenken.

175:1.10

Obwohl ihr gut tut, euren Führern Ehre und euren Lehrern Respekt zu erweisen, solltet ihr im geistigen Sinne keinen Menschen Vater nennen, denn ihr habt nur einen Vater, nämlich Gott. Ebensowenig solltet ihr versuchen, euch euren Brüdern im Königreich gegenüber als Herren aufzuspielen. Denkt daran, ich habe euch gelehrt, dass, wer von euch der Größte sein möchte, der Diener aller werden sollte. Wenn ihr euch anmaßt, euch selber vor Gott zu erhöhen, werdet ihr mit Sicherheit gedemütigt werden; aber wer sich selber wahrhaft demütigt, der wird mit Bestimmtheit erhöht werden. Trachtet in eurem täglichen Leben nicht nach Selbstverherrlichung, sondern nach der Herrlichkeit Gottes. Ordnet euren eigenen Willen einsichtsvoll dem Willen des Vaters im Himmel unter.

175:1.11

Missversteht meine Worte nicht. Ich hege keinen Groll gegen die Hohen­priester und Führer, die eben jetzt auf meinen Tod sinnen, und ich trage den Schriftgelehrten und Pharisäern, die meine Lehren ablehnen, nichts nach. Ich weiß, dass viele von euch insgeheim glauben, und ich weiß, dass ihr euch offen zu eurer Zugehörigkeit zum Königreich bekennen werdet, wenn meine Stunde kommt. Aber wie werden eure Rabbiner sich rechtfertigen, die beteuern, mit Gott zu sprechen und sich dann anmaßen, denjenigen zu verstoßen und umzubringen, der kommt, um den Welten den Vater zu verkündigen?

175:1.12

Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr möchtet die Tore des Königreichs des Himmels vor aufrichtigen Menschen verschließen, weil sie sich zufälligerweise in eurer Lehrweise nicht auskennen. Ihr weigert euch, das Königreich zu betreten, und gleichzeitig unternehmt ihr alles, was in eurer Macht steht, um auch alle anderen am Eintreten zu hindern. Ihr steht mit dem Rücken zu den Toren des Heils und bekämpft alle, die Einlass begehren.

175:1.13

Wehe euch Schriftgelehrten und Pharisäern, Heuchler, die ihr seid! Denn ihr durchquert Länder und Meere, um einen einzigen zum Judentum zu bekehren, und wenn ihr dabei Erfolg habt, ruht ihr nicht, ehe ihr ihn zweimal schlechter gemacht habt, als er als ein Kind der Heiden gewesen war.

175:1.14

Weh euch, ihr Hohenpriester und Führer, die ihr Hand an das Eigentum der Armen legt und von denen hohe Abgaben verlangt, die Gott so dienen möchten, wie es Moses ihrer Meinung nach geboten hatte! Könnt ihr, die ihr euch weigert, Barmherzigkeit zu zeigen, in den kommenden Welten auf Barmherzigkeit hoffen?

175:1.15

Weh euch, ihr falschen Lehrer und blinden Führer! Was kann man von einer Nation erwarten, wenn Blinde Blinde führen? Beide werden straucheln und in den Abgrund der Vernichtung stürzen.

175:1.16

Weh euch, die ihr euch verstellt, wenn ihr einen Eid leistet! Ihr seid Schwindler, denn ihr lehrt, dass ein Mann beim Tempel schwören und dennoch seinen Eid brechen kann, dass aber derjenige, der beim Gold des Tempels schwört, durch seinen Schwur gebunden bleibt. Ihr seid alles Narren und Blinde. In eurer Unehrlichkeit seid ihr nicht einmal konsequent, denn was ist größer, das Gold oder der Tempel, der doch angeblich das Gold geheiligt hat? Ihr lehrt ebenfalls, dass es nichts bedeutet, wenn ein Mann beim Altar schwört; dass aber, wer bei der Gabe auf dem Altar schwört, dadurch gebunden ist. Auch darin seid ihr der Wahrheit gegenüber blind, denn was ist größer, die Gabe oder der Altar, welcher die Gabe heiligt? Wie könnt ihr eine solche Heuchelei und Unehrlichkeit vor den Augen des Gottes im Himmel rechtfertigen?

175:1.17

Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer und all ihr anderen Heuchler, die ihr sicherstellt, dass die Leute auf Minze, Anis und Kümmel den Zehnten zahlen, und die ihr gleichzeitig die gewichtigeren Dinge des Gesetzes – Glauben, Erbarmen und Gericht – unbeachtet lasst! Vernünftigerweise hättet ihr das eine tun sollen, ohne das andere zu lassen. Ihr seid wahrlich blinde Führer und dumme Lehrer; ihr siebt Mücken aus und verschluckt Kamele.

175:1.18

Weh euch, ihr Schriftgelehrten, Pharisäer und Heuchler! Denn peinlich genau reinigt ihr das Äußere des Bechers und des Tellers, aber innen bleiben die schmutzigen Reste von Erpressung, Ausschweifung und Betrügerei. Ihr seid geistig blind. Erkennt ihr nicht, wie viel besser es wäre, zuerst das Innere des Bechers zu reinigen? Denn was dann überflösse, würde von selbst das Äußere reinigen. Ihr gottlosen Verworfenen! Ihr sorgt dafür, dass die äußeren Zeremonien mit eurer Auslegung von Mose Gesetz übereinstimmen, während eure Seelen, ganz von frevlerischen Gedanken durchdrungen, auf Mord sinnen.

175:1.19

Weh euch allen, die ihr die Wahrheit verwerft und die Barmherzigkeit verächtlich von euch weist! Viele von euch sind wie getünchte Gräber, die von außen schön erscheinen, aber innen mit Totengebein und Schmutz aller Art angefüllt sind. Ebenso erscheint ihr, die ihr wissentlich Gottes Rat zurückweist, den Menschen äußerlich als heilig und rechtschaffen, aber inwendig sind eure Herzen von Heuchelei und Sünde erfüllt.

175:1.20

Weh euch, ihr falschen Führer einer Nation! Dort drüben habt ihr den gemarterten Propheten von ehedem ein Denkmal errichtet, und nun schmiedet ihr ein Komplott, um gerade Den umzubringen, von Dem sie gesprochen haben. Ihr schmückt die Gräber der Gerechten und schmeichelt euch, dass ihr die Propheten nicht umgebracht hättet, wenn ihr zur Zeit eurer Väter gelebt hättet; und dann macht ihr euch trotz dieser selbstgerechten Denkweise daran, gerade den zu ermorden, von dem die Propheten gesprochen haben, den Menschensohn. Indem ihr so handelt, bezeugt ihr vor euch selbst, dass ihr die gottlosen Söhne derer seid, die die Propheten umgebracht haben. Nur zu, und füllt den Becher eurer Verurteilung bis zum Rande!

175:1.21

Weh euch, ihr Kinder des Bösen! Mit Recht hat Johannes euch Schlangenbrut genannt, und ich frage: Wie könnt ihr dem Urteil entrinnen, das Johannes über euch gesprochen hat?

175:1.22

Aber sogar jetzt noch biete ich euch im Namen meines Vaters Barmherzigkeit und Vergebung an; sogar jetzt noch strecke ich euch die liebende Hand ewiger Freundschaft entgegen. Mein Vater hat euch weise Männer und Propheten gesandt; einige von ihnen habt ihr verfolgt und andere getötet. Und dann trat Johannes auf und verkündete das Kommen des Menschensohns, und viele glaubten an seine Lehre, doch ihr habt ihn umgebracht. Und jetzt macht ihr euch bereit, noch mehr unschuldiges Blut zu vergießen. Begreift ihr nicht, dass ein schrecklicher Tag der Abrechnung kommen wird, wenn der Richter der ganzen Erde von diesem Volk Rechenschaft fordern wird für die Art und Weise, in der es diese Botschafter des Himmels verstoßen, verfolgt und umgebracht hat? Seht ihr nicht ein, dass ihr über all dieses rechtschaffene Blut Rechenschaft ablegen müsst, vom ersten getöteten Propheten an bis zur Zeit Zacharias, der zwischen dem Heiligtum und dem Altar erschlagen wurde? Und wenn ihr in dieser üblen Weise fortfahrt, wird solche Rechenschaft möglicherweise noch von dieser Generation gefordert werden.

175:1.23

Oh Jerusalem und ihr Kinder Abrahams, die ihr die Propheten gesteinigt und die Lehrer getötet habt, die zu euch gesandt wurden, selbst jetzt noch möchte ich eure Kinder um mich sammeln wie eine Henne, die ihre Küken unter ihren Flügeln zusammenschart, aber ihr wollt es nicht!

175:1.24

Und nun nehme ich Abschied von euch. Ihr habt meine Botschaft gehört und eure Entscheidung gefällt. Die, die an mein Evangelium geglaubt haben, sind jetzt im Königreich Gottes in Sicherheit. Euch, die ihr euch entschlossen habt, das Geschenk Gottes zurückzuweisen, sage ich, dass ihr mich nicht mehr im Tempel unterweisen sehen werdet. Mein Werk für euch ist getan. Seht, ich ziehe jetzt mit meinen Kindern aus und lasse euch euer Haus verödet zurück!“

175:1.25

Darauf gab der Meister seinen Anhängern ein Zeichen, den Tempel zu verlassen.


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