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Weihe der Siebzig in Magadan

2. Der reiche junge Mann und andere

163:2.1

Über fünfzig Jünger, die sich um Weihe und Zulassung zur Mitgliedschaft bei den Siebzig bewarben, wurden vom Ausschuss abgelehnt, den Jesus zur Kandi­daten­auslese ernannt hatte. Dieser Ausschuss bestand aus Andreas, Abner und dem amtierenden Oberhaupt des evangelistischen Korps. In allen Fällen, in denen dieser Dreierausschuss zu keiner einstimmigen Übereinkunft gelangte, brachten sie den Kandidaten zu Jesus, und obgleich der Meister nie jemanden zurückwies, der sich danach sehnte, zum Botschafter des Evangeliums geweiht zu werden, so gab es ihrer doch mehr als ein Dutzend, die nach ihrem Gespräch mit Jesus nicht mehr wünschten, Evangeliumsverkündiger zu werden.

163:2.2

Ein ernsthafter Jünger kam zu Jesus und sagte: „Meister, ich möchte einer deiner neuen Apostel werden, aber mein Vater ist sehr alt und dem Tode nahe. Kann ich Erlaubnis bekommen, nach Hause zurückzukehren, um ihn zu beerdigen?“ Jesus sprach zu diesem Mann: „Mein Sohn, die Füchse haben Höhlen, und die Vögel des Himmels haben Nester, aber der Menschensohn hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen könnte. Du bist ein treuer Jünger, und du kannst ein solcher bleiben, während du nach Hause zurückkehrst und für deine Lieben sorgst, aber mit meinen Botschaftern des Evangeliums verhält es sich anders. Sie haben alles verlassen, um mir nachzufolgen und das Königreich zu verkündigen. Willst du ein geweihter Lehrer werden, musst du andere die Toten begraben lassen, während du selber ausziehst, um die gute Nachricht bekannt zu machen.“ Und dieser Mann entfernte sich tief enttäuscht.

163:2.3

Ein anderer Jünger kam zum Meister und sagte: „Ich möchte die Weihe als Botschafter erhalten, aber zuerst möchte ich für kurze Zeit nach Hause gehen, um meiner Familie Mut zu machen.“ Und Jesus antwortete ihm: „Wenn du die Weihe empfangen möchtest, musst du gewillt sein, alles aufzugeben. Die Botschafter des Evangeliums dürfen in ihrer Liebe nicht geteilt sein. Niemand, der seine Hand an den Pflug gelegt hat, ist wert, ein Botschafter des Königreichs zu werden, wenn er wieder umkehrt.“

163:2.4

Und dann führte Andreas einen reichen jungen Mann vor Jesus, der mit Hingabe glaubte und die Weihe zu empfangen wünschte. Dieser junge Mann, Matadormus, war Mitglied des Sanhedrins von Jerusalem; er hatte Jesus lehren hören und war anschließend von Petrus und den anderen Aposteln im Evangelium vom Königreich unterwiesen worden. Jesus sprach mit Matadormus über die Anforderungen der Weihe und legte ihm nahe, mit seiner Entscheidung noch zuzuwarten, bis er die ganze Angelegenheit besser über­dacht hätte. Als Jesus am nächsten Morgen in der Frühe spazieren ging, sprach ihn der junge Mann an und sagte: „Meister, ich möchte von dir wissen, wie man sich des ewigen Lebens versichern kann. Nachdem ich von Kindheit an alle Gebote gehalten habe, möchte ich gern wissen, was ich darüber hinaus tun muss, um das ewige Leben zu gewinnen?“ Jesus antwortete auf diese Frage: „Wenn du alle Gebote hältst – du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsches Zeugnis ablegen, du sollst nicht betrügen und deine Eltern ehren – handelst du gut, aber das Heil ist die Belohnung für den Glauben, nicht nur für Werke. Glaubst du an dieses Evangelium?“ Und Matadormus antwortete: „Ja, Meister, ich glaube alles, was du und deine Apostel mich gelehrt haben.“ Und Jesus sagte: „Dann bist du in der Tat mein Jünger und ein Kind des Königreichs.“

163:2.5

Darauf sagte der junge Mann: „Aber, Meister, es genügt mir nicht, dein Jünger zu sein; ich möchte einer deiner neuen Botschafter werden.“ Als Jesus das hörte, schaute er mit großer Liebe auf ihn herab und sagte: „Ich will dich als einen meiner Botschafter annehmen, wenn du willens bist, den Preis zu bezahlen, wenn du dir das Einzige verschaffen willst, woran es dir mangelt.“ Matadormus erwiderte: „Meister, ich will alles tun, wenn ich nur die Erlaubnis erhalte, dir zu folgen.“ Jesus küsste den knieenden jungen Mann auf die Stirn und sagte: „Wenn du mein Botschafter sein willst, dann geh und verkaufe alles, was du hast, und nachdem du den Erlös unter die Armen oder unter deine Brüder verteilt hast, komm und folge mir, und du wirst einen Schatz im Königreich des Himmels haben.“

163:2.6

Als Matadormus dies vernahm, machte er ein langes Gesicht. Er erhob sich und entfernte sich kummervoll, denn er hatte große Besitztümer. Dieser reiche junge Pharisäer war in dem Glauben erzogen worden, dass Reichtum das Zeichen göttlicher Gunst sei. Jesus wusste, dass er von Eigenliebe und Liebe zu seinem Reichtum nicht frei war. Der Meister wollte ihn von der Liebe zum Reichtum befreien, nicht notwendigerweise vom Reichtum selber. Die Jünger Jesu trennten sich nicht von all ihrem weltlichen Besitz, wohl aber die Apostel und die Siebzig. Matadormus wünschte einer der siebzig neuen Botschafter zu sein, und deshalb verlangte Jesus von ihm, sich von seinem ganzen weltlichen Besitz zu trennen.

163:2.7

Fast jedes menschliche Wesen hat irgendeine lieb gewonnene Schwäche, die der Eintritt in das Königreich des Himmels von ihm als Teil des Zulassungspreises fordert. Hätte Matadormus sich von seinem Reichtum gelöst, wäre ihm dieser wahrscheinlich sofort wieder zur Verwaltung als Schatzmeister der Siebzig anvertraut worden. Denn später, nach der Gründung der Kirche in Jerusalem, gehorchte er tatsächlich der Aufforderung des Meisters, obwohl es dann zu spät war, sich der Mitgliedschaft bei den Siebzig zu erfreuen, und er wurde der Finanzverwalter der Kirche in Jerusalem, deren Haupt Jakobus, der leibliche Bruder des Herrn, war.

163:2.8

So war es immer, und so wird es immer bleiben: Die Menschen müssen selber zu ihren Entschlüssen gelangen. Die Menschen haben in der freien Wahl einen gewissen Spielraum zur Verfügung. Die Kräfte der geistigen Welt wollen dem Menschen keinen Zwang auferlegen; sie erlauben ihm, den Weg seiner eigenen Wahl zu gehen.

163:2.9

Jesus sah voraus, dass Matadormus mit seinem Reichtum unmöglich ein geweihter Mitarbeiter von Männern werden konnte, die für das Evangelium auf alles verzichtet hatten; zugleich sah er, dass er ohne seinen Reichtum ihrer aller Oberhaupt werden würde. Aber wie Jesu eigene Brüder wurde er nie groß im Königreich, weil er sich selbst der engen und persönlichen Verbindung mit dem Meister beraubte, die er hätte erleben können, hätte er sich nur in jenem Augenblick bereit erklärt, genau das zu tun, was Jesus verlangte, und was er mehrere Jahre danach dann auch wirklich tat.

163:2.10

Reichtum hat direkt nichts mit dem Eintritt ins Königreich des Himmels zu tun, wohl aber die Liebe zum Reichtum. Geistige Loyalität gegenüber dem Königreich ist mit Unterwerfung unter den materialistischen Mammon unvereinbar. Der Mensch kann seine höchste Treue zu einem geistigen Ideal nicht mit der Hingabe an Materielles teilen.

163:2.11

Jesus lehrte nie, dass es verkehrt sei, Reichtum zu haben. Er verlangte nur von den Zwölfen und den Siebzig, ihren ganzen weltlichen Besitz an die gemeinsame Sache zu geben. Aber auch dann sorgte er für eine lohnende Liquidation ihres Besitzes wie im Fall des Apostels Matthäus. Jesus beriet seine begüterten Jünger oft in derselben Weise wie den reichen Mann in Rom. Der Meister betrachtete die weise Investierung überschüssigen Einkommens als eine legitime Art der Versicherung gegen künftige, unvermeidliche Missgeschicke. Wenn die apostolische Kasse überquoll, hinterlegte Judas stets Geld, damit es ihnen später zur Verfügung stünde, falls sie stark unter einer Verringerung der Einnahmen leiden sollten. Das tat Judas nach Absprache mit Andreas. Jesus hatte persönlich nie etwas mit den apostolischen Finanzen zu tun außer bei der Austeilung von Almosen. Aber es gab einen wirtschaftlichen Missbrauch, den er viele Male verurteilte, und das war die unfaire Ausnutzung von schwachen, unerfahrenen und weniger begünstigten Menschen durch ihre kräftigen, schlauen und intelligenteren Mitmenschen. Jesus erklärte, eine solch unmenschliche Behandlung von Männern, Frauen und Kindern sei mit den Idealen der Brüderlichkeit des Königreichs des Himmels unvereinbar.


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