◄ 159:4
Schrift 159
159:6 ►

Die Reise durch die Dekapolis

5. Die positive Natur der Religion Jesu

159:5.1

In Philadelphia, wo Jakobus arbeitete, belehrte Jesus die Jünger über die positive Natur des Evangeliums vom Königreich. Als er im Laufe seiner Ausführungen die Andeutung machte, dass gewisse Schriftstellen mehr Wahrheit enthielten als andere, und seine Hörer ermahnte, ihren Seelen nur die beste geistige Nahrung zu geben, unterbrach Jakobus den Meister mit der Frage: „Wärest du so gut, Meister, uns einen Vorschlag zu machen, wie wir die besseren Schriftstellen für unsere persönliche Erbauung auswählen sollen?“ Und Jesus antwortete: „Ja, Jakobus, wenn du die Schriften liest, suche nach ewig wahren und göttlich schönen Unterweisungen wie diesen:

159:5.2

Schaffe in mir ein reines Herz, oh Herr.

159:5.3

Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln.

159:5.4

Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

159:5.5

Denn ich, der Herr dein Gott, werde deine rechte Hand halten und zu dir sagen: Fürchte dich nicht; ich werde dir helfen.

159:5.6

Nie wieder sollen die Nationen das Kriegshandwerk erlernen.“

159:5.7

Dies ist bezeichnend für die Art und Weise, wie Jesus Tag für Tag das Erlesenste aus den hebräischen Schriften für den Unterricht seiner Jünger und zur Aufnahme in die Lehren des neuen Evangeliums vom Königreich heranzog. Andere Religionen hatten den Gedanken geäußert, dass Gott dem Menschen nahe sei, aber Jesus setzte die Sorge Gottes um den Menschen der Besorgtheit eines liebenden Vaters um das Wohlergehen seiner von ihm abhängigen Kinder gleich und machte diese Lehre dann zum Eckstein seiner Religion. Und so folgte aus dieser Lehre von der Vaterschaft Gottes zwingend die Praxis der Brüderlichkeit unter den Menschen. Die Anbetung Gottes und der Dienst an den Menschen wurden zum Kern seiner Religion. Jesus entnahm der jüdischen Religion das Beste und übertrug es in den würdigen Rahmen der neuen Lehren des Evangeliums vom Königreich.

159:5.8

Jesus brachte in die passiven Lehren der jüdischen Religion den Geist positiver Aktion ein. Anstelle negativer Befolgung zeremonieller Vorschriften machte Jesus die positive Ausführung dessen zur Pflicht, was die neue Religion von denen verlangte, die sie annahmen. Jesu Religion bestand nicht nur darin, zu glauben, was das Evangelium verlangte, sondern es auch wirklich zu tun. Er lehrte nicht, dass das Wesentliche seiner Religion im sozialen Dienen liege, sondern, dass dieses sich unter anderem bei denen mit Sicherheit einstelle, die den Geist wahrer Religion besitzen.

159:5.9

Jesus zögerte nicht, sich die bessere Hälfte einer Schriftstelle anzueignen und den unbedeutenderen Teil derselben zu verwerfen. Seine große Aufforderung „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ entnahm er der Schriftstelle, die lautet: „Du sollst dich nicht an den Kindern deines Volkes rächen, sondern deinen Näch­sten lieben wie dich selbst.“ Jesus eignete sich den positiven Teil der Schriftstelle an und verwarf den negativen. Er war auch ein Gegner von negativer oder rein passiver Widerstandslosigkeit. Er sagte: „Wenn ein Feind dich auf die eine Wange schlägt, stehe nicht stumm und passiv da, sondern halte ihm in positiver Haltung die andere hin; das heißt, tue das Bestmögliche, um deinen irrenden Bruder aktiv von den schlechten Pfaden abzubringen und auf die besseren Wege rechtschaffenen Lebens zu führen.“ Jesus forderte von seinen Anhängern, positiv und energisch auf jede Lebenssituation zu reagieren. Die andere Wange hinzuhalten oder irgendetwas zu tun, wofür diese Handlung typisch ist, verlangt Initiative und bedingt, dass sich die Persönlichkeit des Gläubigen kraftvoll, aktiv und mutig ausdrückt.

159:5.10

Jesus befürwortete nicht, sich auf negative Weise Demütigungen von Leuten zu unterwerfen, die mit Absicht jene zu missbrauchen versuchen, die sich in der Wi­der­standslosigkeit gegen das Böse üben; vielmehr sollten seine Anhänger weise und aufgeweckt sein, um auf Böses rasch und positiv mit Gutem zu reagieren, um Böses erfolgreich durch Gutes zu überwinden. Vergesst nicht, dass das wahrhaft Gute ausnahmslos mächtiger ist als das tückischste Böse. Der Meister lehrte einen positiven Maßstab von Rechtschaffenheit: „Wer immer mein Jün­ger zu sein wünscht, achte sich selber gering, und komme voll und ganz den Verant­wortlichkeiten nach, die sich daraus ergeben, mir täglich zu folgen.“ Und er lebte selber danach, indem „er umherging und Gutes tat“. Und diesen Aspekt des Evangeliums veranschaulichten viele Gleichnisse, die er später seinen Anhängern erzählte. Er forderte sie nie auf, ihre Verpflichtungen geduldig zu ertragen, sondern ihrer menschlichen Verantwortung und ihren göttlichen Privi­legien im Königreich Gottes mit Energie und Begeisterung voll gerecht zu werden.

159:5.11

Wenn Jesus seine Apostel lehrte, jemandem, der ihnen ungerechterweise einen Mantel wegnahm, noch ein weiteres Kleidungsstück zu geben, meinte er weniger einen wirklichen zweiten Mantel, als die Idee, etwas Positives zu tun, um den Übeltäter zu retten, anstelle des alten Rates zurückzuschlagen – „Auge um Auge“ und so fort. Jesus verabscheute die Idee der Vergeltung ebenso sehr wie Bereitschaft, nur zu einem passiven Dulder oder Opfer der Ungerechtigkeit zu werden. Bei dieser Gelegenheit unterwies er sie in den drei Möglichkeiten, das Böse zu bekämpfen und ihm zu widerstehen:

159:5.12

1. Böses mit Bösem zu vergelten – die positive, aber nicht rechtschaffene Methode.

159:5.13

2. Böses klaglos und widerstandslos zu ertragen – die rein negative Methode.

159:5.14

3. Böses mit Gutem zu vergelten, die Bekundung des Willens, Meister der Situation zu werden, die Überwindung des Bösen durch das Gute – die positive und rechtschaffene Methode.

159:5.15

Einer der Apostel fragte einmal: „Meister, was sollte ich tun, wenn mich ein Fremder dazu zwänge, sein Gepäck eine Meile weit zu tragen?“ Jesus antwortete: „Setz dich nicht hin und seufze nach Erleichterung, während du den Fremden heimlich verwünschst. Rechtschaffenheit erwächst nicht aus einer derart passiven Haltung. Wenn dir nichts Wirksameres und Positiveres zu tun einfällt, kannst du den Packen wenigstens eine zweite Meile weit tragen. Das wird den ungerechten und gottlosen Fremden mit Sicherheit herausfordern.“

159:5.16

Die Juden hatten von einem Gott gehört, der reuigen Sündern vergab und ihre Missetaten zu vergessen suchte, aber bevor Jesus kam, hatten die Menschen nie von einem Gott gehört, der auf die Suche nach verlorenen Schafen ging, der die Initiative zur Suche nach Sündern ergriff und sich freute, wenn er sie willig fand, ins Vaterhaus zurückzukehren. Diese positive Note der Religion weitete Jesus auch auf seine Gebete aus. Und er verwandelte die negative goldene Regel in eine positive Aufforderung zu menschlicher Fairness.

159:5.17

In all seinem Lehren vermied Jesus stets ablenkende Einzelheiten, blumige Redeweise sowie eine mit Worten spielende rein poetische Bildersprache. Kleinen Ausdrücken legte er gewöhnlich große Bedeutungen bei. Zum Zweck der Veranschaulichung änderte Jesus die gebräuchlichen Bedeutungen vieler Ausdrücke wie Salz, Sauerteig, Fischfang, kleine Kinder. Er gebrauchte die Antithese sehr wirksam, indem er das Winzige dem Unendlichen usw. gegenüberstellte. Seine Bilder waren frappierend wie zum Beispiel „die Blinden, welche Blinde führen“. Aber die größte Stärke seiner bildhaften Unterrichtsweise war ihre Natürlichkeit. Jesus brachte die Philosophie der Religion vom Himmel auf die Erde herunter. Er stellte die elementaren Bedürfnisse der Seele mit neuer Einsicht und mit sich neu hingebender Liebe dar.


◄ 159:4
 
159:6 ►