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Die dritte Predigtrundreise

9. Die Zurückweisung durch Nazareth

150:9.1

Jesus sah sich in der Synagoge von einer großen Zahl seiner Feinde und einigen wenigen Anhängern umringt, und in Beantwortung ihrer groben Fragen und drohenden Sticheleien bemerkte er halb humorvoll: „Ja, ich bin Josephs Sohn; ich bin der Zimmermann, und es überrascht mich nicht, dass ihr mich an das Sprichwort ‚Arzt, heile dich selber‘, erinnert und mich herausfordert, in Nazareth zu tun, was ich, wie ihr gehört habt, in Kapernaum getan habe; aber ich rufe euch zu Zeugen auf, dass sogar die Schriften erklären: ‚Ein Prophet wird überall geehrt außer in seinem eigenen Lande und unter seinen eigenen Leuten.‘“

150:9.2

Aber sie rempelten ihn an, zeigten mit anklagenden Fingern auf ihn und sagten: „Du denkst, du seist besser als die Leute von Nazareth; du bist von uns weggezogen, aber dein Bruder ist ein gewöhnlicher Handwerker, und deine Schwestern leben immer noch unter uns. Wir kennen deine Mutter Maria. Wo sind sie heute? Wir hören große Dinge über dich, aber wir stellen fest, dass du keine Wunder tust, wenn du heimkehrst.“ Jesus antwortete ihnen: „Ich liebe die Menschen, die an dem Ort wohnen, wo ich aufgewachsen bin, und empfände große Freude, euch alle ins Königreich des Himmels eintreten zu sehen, aber es ist nicht an mir zu bestimmen, wann Gottes Werke zu tun sind. Die Verwandlungen der Gnade geschehen in Antwort auf den lebendigen Glauben derer, die ihrer teilhaftig werden.“

150:9.3

Jesus wäre auf seine gutmütige Art mit der Menge zurechtgekommen und hätte auch seine heftigsten Feinde erfolgreich entwaffnet, hätte nicht einer seiner eigenen Apostel, Simon Zelotes, einen groben taktischen Fehler begangen. Mit Hilfe Nahors, eines jüngeren Evangelisten, hatte er mittlerweile eine Anzahl von Jesu Freunden aus der Menge um sich geschart und in kriegerischer Haltung den Feinden des Meisters zu verstehen gegeben, sie sollten sich davonmachen. Seit langem hatte Jesus die Apostel gelehrt, dass eine sanfte Antwort den Zorn abwendet, aber seine Anhänger waren es nicht gewohnt, ihren geliebten Lehrer, den sie so willig Meister nannten, mit derartiger Unhöflichkeit und Verachtung behandelt zu sehen. Das war zu viel für sie, und sie gaben ihrem Unmut leidenschaftlichen und vehementen Ausdruck, was nur bewirkte, den pöbelhaften Geist dieser gottlosen und grobschlächtigen Versammlung anzufachen. Und so legten diese Kerle unter Führung der Angeheuerten Hand an Jesus und schafften ihn auf dem schnellsten Weg aus der Synagoge auf die Kuppe eines nahen, steil abfallenden Hügels, über dessen Rand sie ihn in den Tod stürzen wollten. Aber gerade als sie sich anschickten, Jesus über den Felsrand zu stoßen, wandte er sich plötzlich seinen Entführern zu, blickte sie an und verschränkte ruhig seine Arme. Er sagte nichts, aber seine Freunde waren mehr als verblüfft, als er vorwärts zu gehen begann, während der Pöbel auseinander wich und ihm erlaubte, unbehelligt weiterzugehen.

150:9.4

Von seinen Jüngern gefolgt, begab sich Jesus ins Lager, wo all dies besprochen wurde. Und sie machten sich noch am selben Abend auf Jesu Weisung hin für ihre Rückkehr nach Kapernaum früh am nächsten Morgen bereit. Dieses turbulente Ende der dritten öffentlichen Predigtrundreise wirkte auf alle Anhänger Jesu ernüchternd. Sie begannen, die Bedeutung mancher Äußerungen des Meis­ters zu erfassen; langsam erwachten sie zu der Einsicht, dass das Königreich nur unter viel Leid und bitteren Enttäuschungen kommen würde.

150:9.5

Sie verließen Nazareth an diesem Sonntagmorgen und benutzten verschiedene Reiserouten nach Bethsaida, wo sie sich schließlich alle bis zum Donnerstagmittag, dem 10. März, einfanden. Dort vereinigten sie sich als ein Trupp ernüchterter, erns­ter und desillusionierter Prediger des Evangeliums der Wahrheit, und nicht als eine enthusiastische und eroberungsfreudige Schar triumphierender Kreuzfahrer.


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