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Johannes der Täufer

3. Das Leben eines Hirten

135:3.1

Im Tal, durch welches ein Bächlein floss, baute Johannes aus aufeinander getürmten Steinen nicht weniger als ein Dutzend steinerne Unterkünfte und Pferche zum Übernachten, von wo aus er seine Schaf- und Ziegenherden überwachen und behüten konnte. Das Hirtenleben gewährte ihm sehr viel Zeit zum Nachdenken. Er unterhielt sich viel mit Ezda, einem Waisenknaben aus Beth-Zur, den er gewissermaßen an Sohnes statt angenommen hatte und der für die Herden sorgte, wenn er selber nach Hebron ging, um seine Mutter zu besuchen und Schafe zu verkaufen, oder wenn er sich hinunter nach Engedi zu den Sabbatgottesdiensten begab. Johannes und der Knabe lebten sehr einfach und ernährten sich von Schaffleisch, Ziegenmilch, wildem Honig und den essbaren Heuschrecken der Gegend. Das war ihre gewöhnliche Kost, die nur hin und wieder durch Lebensmittel aus Hebron und Engedi bereichert wurde.

135:3.2

Elisabeth hielt Johannes über die Geschehnisse in Palästina und in der Welt auf dem Laufenden, und seine Überzeugung wuchs immer mehr, dass die Zeit, in der die alte Ordnung zu Ende gehen musste, rasch herannahte, und dass er selber dazu bestimmt sei, das Kommen eines neuen Zeitalters, „des Königreichs des Himmels“, zu verkünden. Dieser rauhe Schafhirt hatte eine große Vorliebe für die Schriften des Propheten Daniel. Er las an die tausend Mal dessen Beschreibung des großen Standbildes, von dem Zacharias ihm gesagt hatte, es stelle die Geschichte der großen Weltreiche dar, angefangen von Babylon über Persien und Griechenland bis schließlich zu Rom. Es wurde ihm klar, dass Rom sich bereits aus so vielsprachigen Völkern und Rassen zusammensetzte, dass es niemals ein fest gefügtes und gut konsolidiertes Reich werden könnte. Er meinte, dass Rom bereits damals aufgespalten war, nämlich in Syrien, Ägypten, Palästina und andere Provinzen; und dann las er weiter: „In den Tagen dieser Könige wird der Gott des Himmels ein Königreich errichten, das nie zerstört wird, und dieses Königreich wird keinem anderen Volk überlassen werden, sondern all jene Königreiche zerbrechen und vernichten; es selbst aber wird in alle Ewigkeit bestehen.“ „Und ihm wurden Herrschaft, Herrlichkeit und ein Königreich verliehen, auf dass alle Völker, Nationen und Sprachen ihm dienten. Seine Herrschaft ist eine ewig dauernde, unvergängliche Herrschaft, und sein Königreich wird nie zerstört werden.“ „Und die Herrschaft und Macht und Größe des Königreichs unter dem ganzen Himmel sollen dem Volk der Heiligen des Allerhöchsten gegeben werden. Sein Reich ist ein ewiges Reich, und alle Länder werden ihm dienen und gehorchen.“

135:3.3

Johannes gelang es nie ganz, sich über die Verwirrung zu erheben, die aus diesen Schriftstellen und dem entstand, was er von seinen Eltern über Jesus erfahren hatte. In Daniel las er: „Ich hatte in der Nacht Visionen, und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie der Menschensohn daher, und ihm wurden Macht, Herrlichkeit und ein Königreich gegeben.“ Aber diese Worte des Propheten stimmten nicht mit dem überein, was seine Eltern ihn gelehrt hatten. Ebensowenig Entsprechung gab es zwischen der Unterhaltung, die er als Achtzehnjähriger bei seinem Besuch mit Jesus gehabt hatte, und den Aussagen der Schriften. Dieser Verwirrung ungeachtet versicherte ihm seine Mutter während der ganzen Dauer seiner Ratlosigkeit, dass sein ferner Vetter, Jesus von Nazareth, der wahre Messias sei, dass er gekommen sei, um auf dem Thron Davids zu sitzen, und dass er, Johannes, zu seinem ihm vorangehenden Herold und seiner Hauptstütze bestimmt sei.

135:3.4

Aus allem, was Johannes über die Lasterhaftigkeit und Gottlosigkeit Roms, über die Zügellosigkeit und sittliche Verarmung des Reichs gehört hatte und was er über die Missetaten des Herodes Antipas und der Statthalter von Judäa wusste, schloss er auf das unmittelbar bevorstehende Ende des Zeitalters. Es schien diesem rauhen und edlen Kind der Natur, dass die Welt reif sei für das Ende des Zeitalters des Menschen und für das Heraufkommen des neuen und göttlichen Zeitalters – des Königreichs des Himmels. In seinem Herzen wuchs die Überzeugung, dass er dazu bestimmt sei, der letzte der alten Propheten und der erste der neuen zu sein. Und immer mächtiger ließ ihn der Drang erbeben, hervorzutreten und allen Menschen zu verkünden: „Bereuet! Kommt mit Gott ins Reine! Macht euch für das Ende bereit; stellt euch ein auf das Erscheinen der neuen und ewigen Ordnung auf Erden, auf das Königreich des Himmels.“


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