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Die Rückkehr von Rom

7. Der Aufenthalt auf Zypern – Ausführungen über den Verstand

133:7.1

Bald darauf liefen die Reisenden in Richtung Zypern aus und machten in Rhodos einen Zwischenhalt. Sie genossen die lange Seereise und langten ausgeruht und erfrischt an Körper und Seele auf der Insel ihrer Bestimmung an.

133:7.2

Da ihre Mittelmeerreise sich dem Ende zuneigte, beabsichtigten sie, sich während dieses Zypernaufenthaltes eine Zeit wirklicher Ruhe und Muße zu gönnen. Sie landeten in Paphos und begannen sofort mit der Beschaffung von Vorräten für ihren mehrwöchigen Aufenthalt in den nahen Bergen. Am dritten Tag nach ihrer Ankunft setzten sie sich mit ihren vollbeladenen Tragtieren in Richtung der Berge in Bewegung.

133:7.3

Zwei Wochen lang hatten die drei eine sehr fröhliche Zeit miteinander, als der junge Ganid ohne Vorwarnung plötzlich schwer erkrankte. Zwei Wochen lang litt er unter heftigem Fieber und phantasierte dabei häufig. Jesus und Gonod waren beide mit der Pflege des kranken Jungen voll beschäftigt. Jesus sorgte sachkundig und liebevoll für den Jungen, und der Vater staunte über die Sanftheit und das Geschick, die Jesus bei der Umsorgung des leidenden Jungen an den Tag legte. Sie waren von jeder menschlichen Behausung weit entfernt, und der Junge war zu krank, um transportiert zu werden; so richteten sie sich darauf ein, ihn, so gut sie es konnten, dort oben in den Bergen gesund zu pflegen.

133:7.4

Während der dreiwöchigen Genesungszeit Ganids erzählte ihm Jesus viel Interessantes über die Natur und ihre vielfältigen Stimmungen. Und wieviel Freude hatten sie auf ihren Wanderungen über die Höhenzüge, wenn der Junge Fragen stellte, Jesus sie beantwortete und der Vater über die ganze Darbietung staunte!

133:7.5

In der letzten Woche ihres Aufenthaltes in den Bergen führten Jesus und Ganid ein langes Gespräch über die Funktionen des menschlichen Verstandes. Nach mehrstündiger Diskussion stellte der Jüngling folgende Frage: „Aber, mein Lehrer, was meinst du damit, wenn du sagst, dass der Mensch eine höhere Form von Selbstbewusstsein hat als die höheren Tiere?“ In heutiger Ausdrucksweise neu formuliert, lautete Jesu Antwort:

133:7.6

„Mein Sohn, ich habe dir bereits Vieles über den menschlichen Verstand und den göttlichen Geist, der ihn bewohnt, erzählt, aber jetzt möchte ich nachdrücklich betonen, dass das Selbstbewusstsein eine Realität ist. Wann immer ein Tier selbstbewusst wird, wird aus ihm ein primitiver Mensch. Eine solche Errungenschaft fußt auf der koordinierten Funktionsweise von unpersönlicher Energie und geistempfänglichem Verstand, und dieses Phänomen rechtfertigt die Verleihung eines absoluten Brennpunktes an die menschliche Persönlichkeit, nämlich des Geistes des Vaters im Himmel.

133:7.7

Ideen sind nicht einfach nur Registrierung von Empfindungen; Ideen sind Empfindungen zuzüglich der auf Überlegung beruhenden Deutung durch das persönliche Selbst; und das Selbst ist mehr als die Summe unserer Emp­findungen. In einem sich entwickelnden Selbst beginnt so etwas wie eine Annä­herung an die Einheit, und diese Einheit geht auf die innewohnende Gegen­wart eines Teils absoluter Einheit zurück, der solch einen selbstbewussten Verstand tierischen Ursprungs geistig aktiviert.

133:7.8

Kein bloßes Tier könnte ein zeitliches Selbstbewusstsein haben. Die Tiere besitzen eine physiologische Koordination von Empfindungen und damit verknüpften Wahrnehmungen und die Erinnerung daran, aber keines macht die Erfahrung einer sinnvollen Wahrnehmung von Empfindungen oder zeigt ein absichtsvolles Verknüpfen dieser kombinierten physischen Erfahrungen, wie sie sich in den Schlussfolgerungen intelligenter und überlegter menschlicher Interpretationen manifestieren. Diese Tatsache sich selbst bewusster Existenz verbunden mit der Realität späterer geistiger Erfahrung macht aus dem Menschen einen potentiellen Sohn des Universums und lässt vorausahnen, dass er dereinst die höchste Einheit des Universums erreichen wird.

133:7.9

Zudem ist das menschliche Selbst nicht nur die Summe aufeinander folgender Bewusstseinszustände. Ohne die wirksame Funktion des Sortierens und Verknü­pfens der Bewusstseinsinhalte gäbe es nicht genügend Einheit, um die Bestimmung eines Selbst zu gewährleisten. Ein solcher nicht geeinter Verstand könnte kaum menschliche Bewusstseinsebenen erreichen. Wenn die Verknüp­f­ungen des Bewusstseins nur ein Zufall wären, würde der Verstand aller Menschen die unkontrollierten und ziellosen Assoziationen gewisser Phasen von Geisteskrankheit zeigen.

133:7.10

Ein menschlicher Verstand, der nur auf dem Bewusstsein physischer Empfin­dungen aufgebaut wäre, könnte nie geistige Ebenen erreichen. Einem solchen materiellen Verstand würde jeglicher Sinn für sittliche Werte fehlen, und er hätte kein Gespür für dominierende geistige Führung, die für die Erlangung der Einheit einer harmonischen Persönlichkeit in der Zeit so wesentlich und untrennbar ist von dem Fortleben der Persönlichkeit in der Ewigkeit.

133:7.11

Der menschliche Verstand beginnt schon früh, Eigenschaften zu zeigen, die übermateriell sind; der wahrhaft denkende menschliche Intellekt ist nicht gänzlich durch die Grenzen der Zeit gebunden. Dass die Einzelpersonen sich in ihrer Lebensführung so sehr unterscheiden, deutet nicht nur auf die unterschiedlichen Erbanlagen und andersgearteten Umwelteinflüsse hin, sondern auch auf den Grad der Vereinigung mit dem innewohnenden Geist des Vaters, zu welchem das Selbst gelangt ist – auf das Maß der Identifikation des einen mit dem anderen.

133:7.12

Der menschliche Verstand erträgt den Konflikt doppelter Zugehörigkeit schlecht. Zugleich dem Guten und dem Bösen dienen zu wollen, versetzt die Seele, die diese Erfahrung macht, in erhebliche Anspannung. Ein zutiefst glü­ckli­cher und wirkungsvoll geeinter Verstand ist jener, der sich vollkommen der Ausübung des Willens des Vaters im Himmel verschrieben hat. Ungelöste Konflikte zerstören die Einheit und können in geistiger Verwirrung enden. Aber die Fähigkeit einer Seele zum Fortleben wird nicht dadurch gefördert, dass man den Seelenfrieden um jeden Preis zu sichern sucht, edle Ziele aufgibt und geistige Ideale aufs Spiel setzt; man erreicht diesen Frieden vielmehr durch das unentwegte Bejahen des Triumphes der Wahrheit, und dieser Sieg wird errungen durch die Überwindung des Bösen durch die überzeugende Macht des Guten.

133:7.13

Am nächsten Tag reisten sie nach Salamis ab, von wo aus sie sich nach Antiochien an der syrischen Küste einschifften.


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