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Die Jünglingsjahre

5. Rebekka, die Tochter Ezras

127:5.1

Obwohl Jesus arm war, erfuhr seine gesellschaftliche Stellung in Nazareth dadurch keinerlei Beeinträchtigung. Er war einer der führenden jungen Männer der Stadt und stand bei den meisten jungen Frauen in hohem Ansehen. Da Jesus ein so vollendetes Beispiel robuster und intellektueller Männlichkeit war, und wenn man seinen Ruf als geistiger Führer in Betracht zieht, ist es nicht verwunderlich, dass Rebekka, die älteste Tochter Ezras, eines reichen Kaufmanns und Händlers von Nazareth, entdecken sollte, dass sie sich allmählich in diesen Sohn Josephs verliebte. Sie vertraute ihre Zuneigung zuerst Miriam, der Schwester Jesu an, und Miriam ihrerseits besprach all dies mit ihrer Mutter. Maria war sehr erregt. Stand ihr der Verlust ihres Sohnes bevor, der zum unentbehrlichen Familienoberhaupt geworden war? Würden die Sorgen nie ein Ende nehmen? Und was würde danach geschehen? Und dann hielt sie inne und überlegte, wie sich eine Heirat auf Jesu zukünftige Laufbahn auswirken könnte; nicht oft, aber wenigstens hin und wieder, erinnerte sie sich der Tatsache, dass Jesus ein „Kind der Verheißung“ war. Nachdem sie und Miriam diese Angelegenheit durchgesprochen hatten, beschlossen sie, ihr ein Ende zu bereiten, bevor Jesus davon erfuhr. Sie begaben sich direkt zu Rebekka, unterbreiteten ihr die ganze Geschichte und vertrauten ihr in aller Aufrichtigkeit ihre Überzeugung an, dass Jesus ein Sohn der Vorsehung sei und dass er ein großer religiöser Führer, vielleicht der Messias, werden würde.

127:5.2

Rebekka hörte gespannt zu. Die Erzählung begeisterte sie, und sie war mehr denn je entschlossen, ihr Glück mit dem Mann ihrer Wahl zu versuchen und mit ihm seine Führerlaufbahn zu teilen. Sie kam für sich zu dem Schluss, dass ein solcher Mann umso mehr einer treuen und tatkräftigen Frau bedürfe. Sie legte Marias Bemühungen, sie von ihrem Vorhaben abzubringen, als natürliche Angstreaktion aus, das Haupt und die einzige Stütze ihrer Familie zu verlieren; aber da sie wusste, dass ihr Vater ihre Neigung für den Zimmermannssohn guthieß, rechnete sie zu Recht damit, dass er glücklich wäre, der Familie ein genügend großes Einkommen zu verschaffen, um den Verlust des Verdienstes Jesu auszugleichen. Nachdem ihr Vater diesem Plan zugestimmt hatte, kam es zu weiteren Unterredungen zwischen Rebekka und Maria und Miriam. Und als es ihr nicht gelang, deren Unterstützung zu gewinnen, fasste sie sich ein Herz und wandte sich direkt an Jesus. Das tat sie im Zusammenwirken mit ihrem Vater, der Jesus zur Feier ihres siebzehnten Geburtstages zu sich nach Hause einlud.

127:5.3

Jesus hörte aufmerksam und teilnehmend zu, als zuerst der Vater und nach ihm Rebekka selber diese Dinge darlegten. Er erwiderte darauf freundlich, dass keine Geldsumme an die Stelle seiner Verpflichtung treten könne, die Familie seines Vaters persönlich aufzuziehen, „die heiligste aller menschlichen Verantwortungen wahrzunehmen – die Treue zu seinem eigenen Fleisch und Blut“. Rebekkas Vater war durch Jesu Worte über Familientreue tief berührt und zog sich von der Unterredung zurück. Zu Maria, seiner Gattin, bemerkte er nur: „Wir können ihn nicht zum Sohn haben; er ist zu edel für uns.“

127:5.4

Darauf begann das denkwürdige Gespräch mit Rebekka. Bis dahin hatte Jesus in seinem Leben nur wenig Unterschied in seinen Beziehungen zu Knaben und Mädchen, zu jungen Männern und jungen Frauen gemacht. Seine Gedanken waren mit den dringenden Problemen praktischer irdischer Angelegenheiten und der faszinierenden Betrachtung seines künftigen Werdegangs, „die Angelegenheiten seines Vaters betreffend“, viel zu beschäftigt gewesen, als dass er dem Vollzug persönlicher Liebe in der menschlichen Ehe jemals ernste Beachtung geschenkt hätte. Aber nun fand er sich noch einem jener Probleme gegenüber, mit denen jedes gewöhnliche sterbliche Wesen konfrontiert wird und die es lösen muss. Er wurde tatsächlich „in jeder Beziehung geprüft wie ihr“.

127:5.5

Nachdem er ihr aufmerksam zugehört hatte, dankte er Rebekka aufrichtig dafür, dass sie ihm soviel Bewunderung entgegenbrachte und fügte hinzu: „Es wird mich alle Tage meines Lebens beglücken und ermutigen.“ Er erklärte, er sei nicht frei, mit irgendeiner Frau andere Beziehungen aufzunehmen als solche, die einzig auf brüderlicher Achtung und reiner Freundschaft beruhten. Er machte klar, dass seine erste und hauptsächlichste Pflicht die Erziehung der Familie seines Vaters sei, und dass er, solange dies nicht erfüllt sei, an keine Heirat denken könne; und dann fügte er hinzu: „Wenn ich ein Sohn der Vorsehung bin, darf ich keine lebenslänglichen Verpflichtungen eingehen vor der Zeit, in der sich meine Bestimmung kundtun wird.“

127:5.6

Rebekka war völlig gebrochen. Sie lehnte jeden Trost ab und drang so lange in ihren Vater, Nazareth zu verlassen, bis er endlich einwilligte, nach Sepphoris überzusiedeln. In den Jahren danach gab sie den vielen Männern, die um ihre Hand anhielten, immer nur dieselbe Antwort: Sie lebe nur einem Ziel – der Erwartung der Stunde, in der dieser für sie größte Mann, der je gelebt habe, seine Sendung als Lehrer der lebendigen Wahrheit antreten werde. Und sie folgte ihm mit Hingabe durch die bewegten Jahre seines öffentlichen Wirkens. Sie war (von Jesus unbemerkt) am Tage anwesend, da er triumphierend in Jerusalem einritt, und sie stand „unter den anderen Frauen“ an der Seite Marias an jenem schicksalsschweren und tragischen Nachmittag, als der Menschensohn am Kreuz hing. Für sie, wie für ungezählte höhere Welten, war er „der einzige wirklich Liebenswerte und der Größte unter Zehntausend“.


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