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Fortleben der Persönlichkeit

5. Fortleben des menschlichen Selbst

112:5.1

Das Selbst, ob materieller, morontieller oder geistiger Art, ist eine kosmische Realität. Die Wirklichkeit des Persönlichen ist das Geschenk des Universalen Vaters, der in und aus sich heraus oder durch die mannigfaltigen Organe des Universums handelt. Wenn man von einem Wesen sagt, es sei persönlich, anerkennt man damit seine relative Individuation innerhalb des kosmischen Organismus. Der lebendige Kosmos ist ein fast unendlich integriertes Gefüge von realen Einheiten, die alle der Bestimmung des Ganzen relativ unterworfen sind. Aber die persönlichen unter ihnen wurden mit der tatsächlichen Wahlfreiheit zwischen Annahme und Ablehnung dieser Bestimmung ausgestattet.

112:5.2

Was vom Vater kommt, ist ewig wie der Vater, und diese Wahrheit gilt ebenso sehr für die Persönlichkeit, die der Vater aus seinem eigenen freien Willen verleiht, wie für den Gedankenjustierer, der ein wirkliches Fragment Gottes ist. Die Persönlichkeit des Menschen ist ewig, aber bezüglich der Identität eine bedingte ewige Realität. Da die Persönlichkeit als Antwort auf den Willen des Vaters erschienen ist, wird sie die Bestimmung der Gottheit erreichen, aber der Mensch muss wählen, ob er bei der Erreichung dieser Bestimmung dabei sein wird oder nicht. Falls er sich dagegen entscheidet, erreicht die Persönlichkeit die erfahrungsmäßige Gottheit direkt und wird ein Teil des Supremen Wesens. Der Zyklus ist vorherbestimmt, aber die Teilnahme des Menschen daran ist freiwillig, persönlich und erfahrungsmäßig.

112:5.3

Die sterbliche Identität ist ein vorübergehender, auf die Lebensdauer beschränkter Zustand im Universum; sie ist nur insofern real, als die Persönlichkeit die Wahl trifft, ein dauerndes Phänomen des Universums zu werden. Dies ist der wesentliche Unterschied zwischen dem Menschen und einem Energiesystem: Das Energiesy­stem muss weiterfahren, es hat keine Wahl; aber es bleibt völlig dem Menschen anheim gestellt, sein eigenes Schicksal zu bestimmen. Der Justierer ist wahrhaftig der Pfad zum Paradies, aber der Mensch muss diesem Pfad aufgrund seiner eigenen Entscheidungen, der Wahl seines freien Willens, folgen.

112:5.4

Die menschlichen Wesen besitzen nur im materiellen Sinn eine Identität. Solche Eigenschaften des Selbst werden durch den materiellen Verstand ausgedrückt, wie er im Energiesystem des Intellekts funktioniert. Wenn man sagt, der Mensch habe eine Identität, stellt man damit fest, dass er einen Verstandeskreislauf besitzt, der den Handlungen und Entscheidungen des Willens der menschlichen Persönlichkeit unterworfen ist. Aber dabei handelt es sich um eine materielle und rein zeitweilige Erscheinung, genauso wie der menschliche Embryo ein vorübergehendes, parasitisches Stadium des menschlichen Lebens ist. Aus kosmischer Perspektive kommen, leben und vergehen die menschlichen Wesen vergleichsweise in einem Augenblick; sie dauern nicht. Aber die menschliche Persönlichkeit besitzt kraft ihrer eigenen Wahl die Macht, den Sitz ihrer Identität vom vorübergehenden materiell-intellektuellen System in das höhere morontiell-seelische System zu verlegen, das in Zusammenarbeit mit dem Gedankenjustierer als neues Instrument für den Persönlichkeitsausdruck geschaffen wird.

112:5.5

Und gerade diese Macht zu wählen, dieses universelle Kennzeichen der mit freiem Willen ausgestatteten Geschöpfeswelt, stellt die größte Chance des Menschen und seine höchste kosmische Verantwortung dar. Von der Integrität des menschlichen Wollens hängt das ewige Schicksal des künftigen Finalisten ab; von der Aufrichtigkeit des freien Willens des Sterblichen hängt der göttliche Justierer für die Erlangung ewiger Persönlichkeit ab; von der Ehrlichkeit der menschlichen Wahl hängt der Universale Vater für die Verwirklichung eines neuen aufsteigenden Sohnes ab; von der Unerschütterlichkeit und Weisheit der Entscheidungen-Handlungen hängt das Su­preme Wesen zur Verwirklichung der erfahrungsmäßigen Evolution ab.

112:5.6

Die kosmischen Kreise des Persönlichkeitswachstums müssen schließlich erreicht werden; aber wenn – ohne Fehler von eurer Seite – die Wechselfälle der Zeit und die Widerstände der materiellen Existenz euch daran hindern, diese Ebenen auf eurem Geburtsplaneten zu meistern, und wenn eure Absichten und Wünsche Fort­lebenswert haben, werden Dekrete zur Verlängerung eurer Probezeit erlassen. Es wird euch zusätzliche Zeit zugestanden, während der ihr euch bewähren könnt.

112:5.7

Wann immer ein Zweifel hinsichtlich der Ratsamkeit besteht, eine menschliche Identität auf die Residenzwelten vorrücken zu lassen, entscheiden die Universumsregierungen ausnahmslos im Sinne des persönlichen Interesses des Betroffenen; sie verleihen einer solchen Seele ohne zu zögern den fortgeschrittenen Status eines Übergangswesens, während sie ihre Beobachtungen seiner erwachenden morontiellen Absichten und geistigen Zielsetzungen fortsetzen. Auf diese Weise ist die göttliche Gerechtigkeit sicher, erfüllt zu werden, und die göttliche Barmherzigkeit erhält Gelegenheit zu weiterem Wirken.

112:5.8

Die Regierungen von Orvonton und Nebadon machen sich nicht anheischig, in Einzelheiten des Arbeitens des universalen Planes menschlicher Neupersoni­fizierung absolute Vollkommenheit zu erreichen; hingegen nehmen sie für sich in Anspruch, Geduld, Toleranz, Verständnis und barmherzige Sympathie walten zu lassen, und sie tun es tatsächlich. Wir würden eher das Risiko einer Rebellion im System eingehen, als uns der Gefahr auszusetzen, auch nur einen einzigen kämpfenden Sterblichen auf irgendeiner evolutionären Welt der ewigen Freude zu berauben, die aufsteigende Laufbahn zu verfolgen.

112:5.9

Das bedeutet auf keinen Fall, dass die menschlichen Wesen in den Genuss einer zweiten Gelegenheit kommen, nachdem sie eine erste abgewiesen haben. Aber es bedeutet, dass allen Willensgeschöpfen eine wahre Gelegenheit zuteil werden muss, eine unzweideutige, bewusste und endgültige Wahl zu treffen. Die souveränen Richter der Universen werden nie ein einziges Wesen seines Persönlichkeitsstatus berauben, das nicht endgültig und vollauf die ewige Wahl getroffen hat; der Seele des Menschen muss und wird umfassende Gelegenheit geboten werden, ihre wahren Absichten und wirklichen Ziele zu offenbaren.

112:5.10

Wenn die geistig und kosmisch fortgeschritteneren Menschen sterben, gehen sie unmittelbar auf die Residenzwelten weiter; im Allgemeinen trifft dies für diejenigen zu, denen persönliche seraphische Hüter zugeteilt sind. Andere Sterbliche können zurückgehalten werden, bis die Beurteilung ihrer Angelegenheiten abgeschlossen ist, worauf sie entweder auf die Residenzwelten gehen oder in die Reihen der schlafenden Fortlebenden eingewiesen werden, die am Ende der laufenden planetarischen Dispensation in großer Zahl neupersonifiziert werden.

112:5.11

Zweierlei Schwierigkeiten behindern meine Bemühungen zu erklären, was mit Dir, mit dem fortlebenden Du, das vom weggehenden Justierer verschieden ist, im Tod geschieht. Die eine besteht in der Unmöglichkeit, eurer Begriffsebene eine angemessene Beschreibung von einem sich im Grenzland zwischen den physischen und morontiellen Reichen abspielenden Vorgang zu machen. Die andere ergibt sich aus den Einschränkungen, die die himmlischen Inhaber der Regierungsgewalt Urantias meiner Kommission als Wahrheitsoffenbarerin auferlegt haben. Es gibt viele interessante Einzelheiten, über die berichtet werden könnte, aber dem Rat eurer unmittelbaren planetarischen Überwacher folgend, behalte ich sie zurück. Immerhin kann ich in den Grenzen des mir Erlaubten Folgendes sagen:

112:5.12

Es gibt etwas Reales, etwas aus der menschlichen Entwicklung Hervor­gegangenes, etwas Zusätzliches zum Unergründlichen Mentor, das über den Tod hinaus weiterlebt. Diese neu erscheinende Wesenheit ist die Seele, und sie überlebt den Tod sowohl eures physischen Körpers als auch eures materiellen Verstandes. Diese Wesenheit ist das gemeinsame Kind des vereinten Lebens und der vereinten Anstrengungen des menschlichen Du und des göttlichen Du, des Justierers. Dieses Kind menschlicher und göttlicher Eltern ist das fortlebende Element irdischen Ursprungs, es ist das morontielle Selbst, die unsterbliche Seele.

112:5.13

Dieses Kind mit dauernder Bedeutung und fortlebendem Wert ist während der Spanne, die zwischen Tod und Neupersonifizierung liegt, völlig bewusstlos und befindet sich in dieser Wartezeit im Gewahrsam des seraphischen Schicksalshüters. Solange ihr auf den Residenzwelten Satanias nicht das neue morontielle Bewusstsein erlangt habt, funktioniert ihr nach dem Tode nicht als bewusste Wesen.

112:5.14

Beim Tod bricht die mit der menschlichen Persönlichkeit verbundene funktionelle Identität wegen des Stillstandes des Lebensantriebs auseinander. Obwohl die menschliche Persönlichkeit die Teile, aus denen sie aufgebaut ist, transzendiert, hängt sie von ihnen für eine funktionelle Identität ab. Das Aufhören des Lebens zerstört die physischen Hirnmuster, die das Denken erlauben, und das Zerbrechen der Denkfähigkeit setzt dem menschlichen Bewusstsein ein Ende. Das Bewusstsein dieses Geschöpfes kann danach erst zurückkehren, wenn neugeschaffene kosmische Umstände es derselben menschlichen Persönlichkeit wiederum gestatten, in Verbindung mit lebendiger Energie zu funktionieren.

112:5.15

Während des Transits der fortlebenden Sterblichen von ihrer Ursprungswelt auf die Residenzwelten werden die Aufzeichnungen über die Konstitution der Persönlichkeit von den Erzengeln auf ihren Welten besonderer Aktivitäten sorgfältig aufbewahrt, ganz gleich, ob die Persönlichkeit in der dritten Periode oder erst zur Zeit einer Gruppenauferstehung neu zusammengefügt wird. Die Erzengel sind nicht die Hüter der Persönlichkeit (wie die Seraphim die Hüter der Seele sind), aber es ist trotzdem wahr, dass jeder identifizierbare Persönlichkeitsfaktor in der wirksamen, sicheren Hut dieser verlässlichen Bürgen des menschlichen Fortlebens liegt. Über den genauen Verbleib der Persönlichkeit des Sterblichen zwischen Tod und Weiterleben wissen wir nichts.

112:5.16

Die Voraussetzungen, die eine Neupersonifizierung möglich machen, werden in den Auferstehungshallen der morontiellen Aufnahmeplaneten eines Lokaluniversums geschaffen. Hier, in den Räumen, die der Zusammenfügung des Lebens dienen, stellen die leitenden Verantwortlichen jene Beziehungen zwischen universellen – morontiellen, mentalen und geistigen – Energien her, welche die Wiederherstellung des Bewusstseins des schlafenden Fortlebenden ermöglichen. Die Neuzusammenfügung der Bauelemente einer einstmals materiellen Persönlichkeit umfasst Folgendes:

112:5.17

1. Die Herstellung einer passenden Gestalt, eines morontiellen energetischen Modells, in welchem der neue Fortlebende den Kontakt mit der nichtgeistigen Realität aufnehmen kann und das in den Kreislauf der morontiellen Spielart des kosmischen Verstandes eingeschaltet werden kann.

112:5.18

2. Die Rückkehr des Justierers zu dem wartenden morontiellen Geschöpf. Der Justierer ist der ewige Hüter eurer aufsteigenden Identität; euer Mentor ist die absolute Gewähr dafür, dass ihr selber und kein anderer die morontielle Gestalt, die für das Erwachen eurer Persönlichkeit geschaffen wurde, beziehen werdet. Und der Justierer wird bei der Neuzusammenfügung eurer Persönlichkeit zugegen sein, um wieder die Rolle eines Führers eures fortlebenden Selbst zum Paradies zu übernehmen.

112:5.19

3. Wenn diese Voraussetzungen für die Neupersonifizierung vereinigt sind, überträgt der seraphische Hüter der in der schlummernden unsterblichen Seele enthaltenen Potentiale diese morontielle Wesenheit mit Hilfe zahlreicher kosmischer Persönlichkeiten auf und in die bereitstehende morontielle Verstand-Körper-Gestalt und übergibt dieses evolutionäre Kind des Supremen der ewigen Gemeinschaft mit dem wartenden Justierer. Und damit ist die Neupersonifizierung, die Neuzusammenfügung von Gedächtnis, Erkenntnis und Bewusstsein – die Identität – vollständig.

112:5.20

Die Tatsache der Neupersonifizierung besteht darin, dass das erwachende men­schliche Selbst sich in den Kreislauf der morontiellen Phase des frisch abgetrennten kosmischen Verstandes einschaltet. Das Phänomen der Persönlichkeit hängt von der Aufrechterhaltung der Identität des auf das universelle Umfeld reagierenden Selbst ab, und das kann nur durch die Vermittlung des Verstandes geschehen. Das Selbst dauert ungeachtet des unablässigen Wandels aller es bildenden Faktoren; im physischen Leben ist der Wandel allmählich; im Tod und bei der Neupersonifizierung geschieht der Wechsel plötzlich. Die wahre Realität des gesamten Selbst (die Persönlichkeit) ist fähig, auf die Bedingungen des Universums dank dem unaufhörlichen Wandel der es aufbauenden Teile zu antworten; Stagnation führt unweigerlich zum Tod. Das menschliche Leben ist ein endloser Wandel der Lebensfaktoren, die durch die Stabilität der unveränderlichen Persönlichkeit geeint werden.

112:5.21

Wenn ihr dereinst in dieser Weise auf den Residenzwelten von Jerusem aufwacht, werdet ihr dermaßen verändert und eure geistige Verwandlung so groß sein, dass ihr am Anfang Schwierigkeiten hättet, das neue morontielle Bewus­stsein mit der wieder auflebenden Erinnerung an eure frühere Identität in Zusam­menhang zu bringen, hättet ihr nicht die Hilfe eures Gedankenjustierers und des Schicksalshüters, die eine so vollkommene Verbindung eures neuen Lebens in den neuen Welten mit eurem alten Leben auf der ersten Welt herstellen. Trotz der Kontinuität des persönlichen Selbst erschiene euch ein Großteil des irdischen Lebens zuerst als ein unbestimmter und verschwommener Traum. Aber die Zeit wird viele Erinnerungen an das irdische Leben klären.

112:5.22

Der Gedankenjustierer wird nur jene Erinnerungen und Erfahrungen in euer Bewusstsein zurückrufen und durch Wiederholung festigen, die einen Teil eurer universellen Laufbahn bilden und für diese wesentlich sind. Wenn der Justierer an irgendeiner Entwicklung im menschlichen Verstand Anteil hatte, dann werden diese lohnenden Erfahrungen im ewigen Bewusstsein des Justierers fortleben. Aber so manches von eurem vergangenen Leben mit seinen Erinnerungen, was weder geistige Bedeutung noch morontiellen Wert hat, wird mit dem materiellen Hirn untergehen; ein großer Teil der materiellen Erfahrung wird dahingehen als ein einstmals nützliches Gerüst, das, hat es euch einmal als Brücke zu der morontiellen Ebene gedient, im Universum keine Verwendung mehr hat. Aber die Persönlichkeit und die Beziehungen zwischen Persönlichkeiten sind nie Gerüsten vergleichbar; die menschliche Erinnerung an persönliche Beziehungen hat kosmischen Wert und wird weiterdauern. Auf den Residenzwelten werdet ihr die einstigen Weggefährten eures kurzen, aber fesselnden Lebens auf Urantia erkennen und von ihnen erkannt werden – mehr noch, ihr werdet euch an sie, und sie werden sich an euch erinnern.


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