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Die Realität religiöser Erfahrung

7. Wissenschaft und Religion

103:7.1

Die Wissenschaft wird von der Vernunft getragen, die Religion vom Glauben. Obwohl Glaube nicht auf Vernunft beruht, ist er doch vernünftig; obwohl von Logik unabhängig, wird er doch durch gesunde Logik ermutigt. Glaube kann nicht einmal von einer idealen Philosophie genährt werden; indessen ist gerade er zusammen mit der Wissenschaft die Quelle einer solchen Philosophie. Der Glaube, die menschliche religiöse Schau, kann mit Sicherheit nur durch Offenbarung unterwiesen werden, kann mit Sicherheit nur durch persönliche Erfahrung wachsen, die der Sterbliche mit dem geistigen Justierer macht, mit der Gegenwart des Gottes, der Geist ist.

103:7.2

Wahre Errettung ist die Technik der göttlichen Entwicklung des menschlichen Verstandes von der Identifizierung mit der Materie über die Reiche morontieller Bindung bis zum hohen Universumsstatus geistiger Wechselbeziehung. Und so wie in der irdischen Evolution der materielle intuitive Instinkt dem Erscheinen vernünftigen Wissens vorangeht, so lässt das Eintreten einer intuitiven geistigen Schau das spätere Erscheinen morontieller und geistiger Vernunft und Erfahrung im Rahmen des erhabenen Plans himmlischer Evolution erahnen, dessen Aufgabe es ist, die Potentiale des zeitlichen Menschen in die Wirklichkeit und Göttlichkeit des ewigen Menschen, eines Paradies-Finalisten, zu überführen.

103:7.3

Aber während der aufsteigende Mensch nach innen und paradieswärts strebt, um die Erfahrung Gottes zu machen, strebt er ebenso nach außen und raumwärts, um die Energie des materiellen Kosmos zu verstehen. Der wissenschaftliche Fortschritt beschränkt sich nicht auf das irdische Leben des Menschen; seine Erfahrung des Aufstiegs durch Universum und Superuniversum wird zu einem nicht geringen Teil aus dem Studium der Energieverwandlung und der materiellen Metamorphose bestehen. Gott ist Geist, aber die Gottheit ist Einheit, und die Einheit der Gottheit umfasst nicht nur die geistigen Werte des Universalen Vaters und des Ewigen Sohnes, sondern kennt auch die energetischen Tatsachen des Universalen Überwachers und der Paradies-Insel, während diese beiden Phasen universaler Realität in den Verstandesbeziehungen des Mit-Vollziehers vollkommen korreliert und auf der endlichen Ebene in der erwachenden Gottheit des Supremen Wesens geeint werden.

103:7.4

Die Vereinigung von wissenschaftlicher Haltung und religiöser Schau durch Vermittlung der erfahrungsmäßigen Philosophie ist ein Teil der langen menschlichen Erfahrung des Aufstiegs zum Paradies. Die Näherungen der Mathematik und die Gewissheiten innerer Schau werden auf allen Erfahrungsebenen unterhalb des größtmöglichen Einswerdens mit dem Supremen stets das harmonisierende Funktionieren mentaler Logik erfordern.

103:7.5

Aber die Logik kann die Befunde der Wissenschaft und die Erkenntnisse der Religion nur dann erfolgreich harmonisieren, wenn sich eine Persönlichkeit in ihrer wissenschaftlichen wie religiösen Einstellung von der Wahrheit beherrschen lässt und den aufrichtigen Wunsch hat, der Wahrheit zu folgen, wohin diese sie auch immer führen mag, und unbekümmert um die Schlüsse, zu denen sie gelangen könnte.

103:7.6

Die Logik ist die Technik der Philosophie, ihre Ausdrucksmethode. In der Domäne wahrer Wissenschaft ist die Vernunft stets echter Logik unterworfen; in der Domäne wahrer Religion ist der Glaube von einem inneren Standpunkt aus betrachtet immer logisch, selbst wenn ein solcher Glaube vom äußeren Standpunkt wissenschaftlicher Herangehensweise her betrachtet als völlig unbegründet erscheinen mag. Von außen nach innen gesehen, kann das Universum als materiell erscheinen; von innen nach außen gesehen, scheint dasselbe Universum völlig geistig zu sein. Die Vernunft wächst aus materieller Bewusstheit, der Glaube aus geistiger Bewusstheit, aber dank der Mittlerrolle einer durch Offenbarung gestärkten Philosophie kann die Logik sowohl die innere als auch die äußere Sicht bestätigen und dadurch beide, Wissenschaft und Religion, festigen. So können durch gemeinsamen Kontakt mit der Logik der Philosophie sowohl Wissenschaft wie Religion gegeneinander toleranter und immer weniger skeptisch werden.

103:7.7

Was in Entwicklung begriffene Wissenschaft und Religion benötigen, ist mehr forschende und furchtlose Selbstkritik, ein stärkeres Bewusstsein der Unvollständigkeit des evolutionären Status. Sowohl wissenschaftliche wie religiöse Lehrer sind oft viel zu selbstsicher und dogmatisch. Wissenschaft und Religion können nur aufgrund von Tatsachen Selbstkritik üben. In dem Augenblick, wo man den Boden der Tatsachen verlässt, dankt die Vernunft ab oder artet rasch in Komplizenschaft mit falscher Logik aus.

103:7.8

Die Wahrheit – ein Verständnis kosmischer Beziehungen, universeller Tatsa­chen und geistiger Werte – kann am besten über das Wirken des Geistes der Wahrheit empfangen und am besten durch Offenbarung kritisiert werden. Aber Offen­barung lässt weder eine Wissenschaft noch eine Religion entstehen; sie hat die Funktion, Wissenschaft und Religion mit der Wahrheit der Realität zu koordinieren. In Abwesenheit von Offenbarung oder im Falle eines Unvermögens, diese anzunehmen oder zu erfassen, hat der sterbliche Mensch sich stets in einer aussichtslosen Geste an die Metaphysik gewandt, die den einzigen menschlichen Ersatz für die Wahrheitsoffenbarung und für die Mota der morontiellen Persönlichkeit darstellt.

103:7.9

Die Wissenschaft der materiellen Welt befähigt den Menschen, sein physisches Umfeld zu kontrollieren und bis zu einem gewissen Grade zu beherrschen. Die Religion der geistigen Erfahrung ist die Quelle des Impulses zur Brüderlichkeit, der die Menschen in die Lage versetzt, in der Komplexität der Zivilisation eines wissenschaftlichen Zeitalters zusammenzuleben. Metaphysik, aber mit viel größerer Sicherheit Offenbarung, bietet einen gemeinsamen Begegnungsort für die Entdeckungen von Wissenschaft und Religion und macht den menschlichen Versuch möglich, diese beiden getrennten, aber voneinander abhängigen Gedankenbereiche in einer wohl ausgewogenen Philosophie wissenschaftlicher Stabilität und religiöser Gewissheit logisch zu verbinden.

103:7.10

Im irdischen Stadium kann nichts absolut bewiesen werden; sowohl Wissen­schaft wie Religion gründen auf Annahmen. Auf der morontiellen Ebene vermag die Logik der Mota die Postulate von Wissenschaft und Religion teilweise zu beweisen. Auf der allerhöchsten geistigen Ebene schwindet das Bedürfnis nach endlichen Beweisen allmählich dahin vor der tatsächlichen Erfahrung der Realität und mit ihr; aber selbst dann noch bleibt jenseits des Endlichen viel Unbewiesenes übrig.

103:7.11

Alle Spaltungen im menschlichen Denken fußen auf bestimmten Annahmen, die, obwohl sie nicht bewiesen sind, von dem menschlichem Verstand angeborenem Feingefühl für die Realität akzeptiert werden. Die Wissenschaft beginnt ihre Laufbahn der Beweisführung, mit der sie sich brüstet, indem sie die Realität von drei Dingen annimmt : von Materie, Bewegung und Leben. Die Religion ihrerseits beginnt mit der Annahme der Gültigkeit von drei Dingen: dem Verstand, dem Geist und dem Universum – dem Supremen Wesen.

103:7.12

Die Wissenschaft wird zu der Gedankendomäne der Mathematik, der Energie und der Materie der Zeit im Raum. Religion erhebt nicht nur den Anspruch, sich mit dem endlichen und zeitlichen Geist auseinanderzusetzen, sondern auch mit dem Geist der Ewigkeit und der Suprematie. Nur durch eine lange Erfahrung in der Mota können diese beiden Extreme der Universumswahrnehmung so weit gebracht werden, dass sie analoge Interpretationen von Ursprüngen, Funktionen, Beziehungen, Realitäten und Bestimmungen liefern. Die maximale Harmonisierung der Divergenzen zwischen Energie und Geist findet mit der Aufnahme in den Kreislauf der Sieben Hauptgeiste statt; ihre erste Einigung geschieht in der Gottheit des Supremen; ihre finale Einheit in der Unendlichkeit des Ersten Zentralen Ursprungs, des ICH BIN.

103:7.13

Vernunft ist der Akt der Anerkennung der Schlüsse des Bewusstseins in Bezug auf die Erfahrungen mit der physikalischen Welt von Energie und Materie. Glaube ist der Akt der Anerkennung der Gültigkeit des geistigen Bewusstseins – von etwas, für das es keinen anderen menschlichen Beweis gibt. Logik ist das zusammenfassende, nach Wahrheit forschende Streben nach der Einheit von Glauben und Vernunft und gründet auf den anlagemäßigen Verstan­desgaben der sterblichen Wesen, auf der angeborenen Erkenntnis von Dingen, Bedeutungen und Werten.

103:7.14

Ein wirklicher Beweis der geistigen Realität liegt in der Anwesenheit des Gedankenjustierers, aber diese Gegenwart kann der äußeren Welt nicht gültig bewiesen werden, sie ist nur demjenigen klar, der Gott solcherweise in seinem Inneren erfährt. Das Bewusstsein vom Justierer gründet sich auf den intellektuellen Empfang der Wahrheit, auf die überverstandesmäßige Wahrnehmung der Güte und auf die Motivierung der Persönlichkeit zu lieben.

103:7.15

Wissenschaft entdeckt die materielle Welt, Religion bewertet sie, und Philosophie befleißigt sich, ihre Bedeutungen zu interpretieren, indem sie den wissenschaftlichen, materiellen Standpunkt mit dem religiösen, geistigen Konzept koordiniert. Aber Geschichte ist eine Domäne, in der Wissenschaft und Religion wohl nie völlig übereinstimmen werden.


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