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Die wahre Natur der Religion

8. Glaube und Geglaubtes

101:8.1

Geglaubtes erreicht die Stufe des Glaubens, wenn es zum Lebensantrieb wird und die Lebensweise bestimmt. Das Fürwahrhalten einer Lehre ist nicht Glaube; es ist nur eine Glaubensvorstellung. Ebenso wenig ist Gewissheit oder Überzeugung Glaube. Ein Gemütszustand erreicht Glaubensebenen erst, wenn er wirklich die ganze Lebensweise beherrscht. Der Glaube ist ein lebendiges Attribut echter persönlicher religiöser Erfahrung. Man glaubt der Wahrheit, man bewundert die Schönheit und verehrt die Güte, aber man betet sie nicht an; eine solche Haltung rettenden Glaubens konzentriert sich auf Gott allein, der all das in Person ist und noch unendlich mehr.

101:8.2

Bloß Geglaubtes begrenzt und bindet immer, wohingegen Glaube erweiternd und erlösend wirkt. Bloß Geglaubtes fixiert, Glaube befreit. Aber ein lebendiger religiöser Glaube ist mehr als das Zusammenwirken edler geglaubter Inhalte; er ist mehr als ein erhabenes philosophisches System; er ist eine lebendige Erfahrung, die sich mit geistigen Bedeutungen, göttlichen Idealen und höchsten Werten beschäftigt; er kennt Gott und dient den Menschen. Geglaubtes kann zu Gruppenbesitz werden, aber Glaube muss persönlich sein. Theologische Glaubensinhalte können einer Gruppe anempfohlen werden, aber Glaube kann einzig im Herzen des religiösen Einzelmenschen aufblühen.

101:8.3

Der Glaube verletzt das in ihn gesetzte Vertrauen, wenn er sich anmaßt, Realitäten zu leugnen und seinen Anhängern vorgetäuschtes Wissen zu verleihen. Der Glaube begeht Vertrauensbruch, wenn er auf einen Verrat an intellektueller Integrität hinarbeitet und die Treue gegenüber höchsten Werten und göttlichen Idealen verringert. Der Glaube drückt sich nie vor der Pflicht, die Probleme des irdischen Lebens zu lösen. Lebendiger Glaube begünstigt weder Frömmelei noch Verfolgung oder Intoleranz.

101:8.4

Glaube hemmt die schöpferische Einbildungskraft nicht, noch hält er an einem unvernünftigen Vorurteil gegen die Entdeckungen wissenschaftlicher Forschung fest. Glaube macht die Religion lebendig und zwingt den Gläubigen, heroisch nach der goldenen Regel zu leben. Der Glaubenseifer steht in direktem Verhältnis zum Wissen, und die Glaubenskämpfe sind das Vorspiel zu einem sublimen Frieden.


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